Die Logik der Lohnhierarchie: Passiv trägt Weiß
Obwohl alle wissen, wie wichtig Pflege ist, wird sie nicht anständig bezahlt. Und daran wird sich auch in der laufenden Tarifrunde nichts ändern. Warum eigentlich?
Wer leistet mehr, ein Bankangestellter, ein Chemiearbeiter oder eine Krankenschwester? Diese Frage wird nie offensiv diskutiert, aber trotzdem täglich beantwortet. In der Lohnhierarchie finden sich die Angestellten der Chemiebranche ganz oben – und die Pflegeberufe weit unten. Es scheint also klar, wer viel „wert“ ist: Es ist der Industriearbeiter, nicht die Krankenschwester.
Diese Lohnhierarchie hat ihre eigene Logik: Gezahlt wird nach Produktivität. In hochtechnisierten Branchen, wo nur noch wenige Mitarbeiter einen riesigen Maschinenpark steuern, sind die Löhne am höchsten. Also in der Chemie und in der Metallindustrie. Relative Verlierer sind hingegen die Mitarbeiter der sozialen Branchen, die sich kaum rationalisieren lassen, weil sie unmittelbar dem Menschen dienen. Gute Pflege benötigt genauso viel Zeit wie vor fünfzig Jahren. Eine „Effizienzrevolution“ wie in der Automobilindustrie ist dort weder möglich noch zu wünschen.
Lange Zeit wurde diese Logik der Produktivität klaglos hingenommen. Es war allgemein akzeptiert, dass die Löhne gespreizt sind und die PflegerInnen am wenigsten erhalten. Zumal diese Anordnung auch den Geschlechterrollen entsprach: In der Industrie arbeiten vor allem Männer, die Pflegeberufe hingegen sind vorwiegend weiblich. Und für Frauen gilt bis heute, dass ihre Arbeit oft behandelt wird, als würden sie freiwillig ein Ehrenamt ausüben, das eine Bezahlung kaum erfordert.
Diese Logik der Produktivität und der Geschlechterrollen zeigt sich auch bei den derzeit laufenden Tarifverhandlungen. Schon jetzt ist klar, dass die pflegenden Berufe weiterhin zu den Verlierern gehören werden. In harten Zahlen: Öffentlich angestellte Krankenschwestern erhalten momentan maximal 2.801 Euro brutto im Monat – wenn sie mindestens 15 Jahre berufstätig waren. ErzieherInnen kommen auf 2.864 Euro. Bei AltenpflegerInnen sieht es noch schlechter aus. Ihr Mindestlohn liegt im Westen bei 8,75 Euro pro Stunde, im Osten bei 7,75 Euro.
Der Maschine dienen ist mehr wert
Gerade bei der Pflege handelt es sich um Schwerstarbeit, körperlich und mental, wie die meisten Bürger bestens wissen, schließlich haben sie fast alle Angehörige, die pflegebedürftig sind. Da stößt es auf, dass 200 Vorfeldlotsen in Frankfurt den Flugverkehr weiträumig lahmlegen, um ihr Gehalt um bis zu 70 Prozent zu steigern – während sich die Pfleger weiterhin mit Mickerlöhnen begnügen sollen.
Es erscheint wie eine verkehrte Welt: Bei den Vorfeldlotsen versteht jenseits der Beteiligten niemand, warum sie so üppig verdienen müssen – aber bei den PflegerInnen wäre die Gesellschaft längst bereit, ihnen einen Aufschlag von mindestens 20 Prozent beim Lohn zu gewähren. Eigentlich warten alle nur darauf, dass die PflegerInnen in den empörten Massenausstand treten. Selbst das Streikchaos in den Altersheimen – mit überforderten Verwandten als Pflege-Ersatz – würde wahrscheinlich toleriert. Gute Betreuung ist nicht umsonst zu haben, das hat fast jeder begriffen.
Aber es tut sich nichts. Für Eliten wie Ärzte oder Piloten ist es völlig selbstverständlich, sich in Spartengewerkschaften zu verabschieden und maximale Lohnforderungen zu stellen. Am unteren Ende der Lohnskala scheint dieser Gedanke derzeit undenkbar. Die öffentlichen Tarifverhandlungen laufen zwar noch, aber es ist bereits entschieden, dass die PflegerInnen nicht gesondert berücksichtigt werden. Am Ende wird bei ihnen, wie bei allen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, eine 3 vor dem Komma stehen. Dieser kleine Zugewinn wird höchstens die Inflation ausgleichen – und ändert nichts an der strukturellen Benachteiligung. Die Lohnskala wird weiterhin signalisieren, dass Pfleger fast nichts wert sind und weit hinter Chemiearbeitern rangieren – weil sie dem Menschen dienen, nicht einer Maschine.
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