: Die Last der doppelten Staatsbürgerschaft
Der Berliner Kultursenator und frühere CDU-Bundesgeschäftsführer Peter Radunski fordert seine Partei in der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft zum Umdenken auf. Doch die verhält sich abwartend und ängstlich ■ Von Severin Weiland
Berlin (taz) – Die Berliner CDU spielt in der Gesamtpartei kaum eine Rolle. Vielleicht liegt es daran, daß eine Interviewpassage des Kultursenators Peter Radunski kaum Aufmerksamkeit erregte. In der Woche, als in den Medien die Äußerungen des SPD- Bundesinnenministers Otto Schily zur Einwanderungspolitik debattiert wurden („Die Grenzen der Belastbarkeit sind überschritten“), hatte der Christdemokrat im Nachrichtenmagazin Focus ein „klares Einwanderungsrecht“ verlangt.
Deutschland, so folgerte er nüchtern, „muß sich multikulturell einrichten“. Und als sei das der Zumutung für seine Partei nicht schon genug, schlußfolgerte der einstige Kohl-Vertraute: „Es hat keinen Sinn, sich in rechtliche Kämpfe über die doppelte Staatsbürgerschaft zu verstricken.“
Ein Satz, den der frühere Bundesgeschäftsführer der CDU wohl an seine Parteifreunde in Bonn adressierte. Hatte doch Partei- und Fraktionschef Wolfgang Schäuble und (Noch-)CSU-Chef Theo Waigel kurz nach der Bundestagswahl erklärt, die Union werde den rot- grünen Kompromiß zur doppelten Staatsbürgerschaft gerichtlich prüfen lassen.
Die Bemerkung stieß in Bonner Fraktionskreisen der Union nicht überall auf Zustimmung. Schließlich hatte eine Gruppe jüngerer Abgeordneter in der vergangenen Legislaturperiode versucht, mit einem eigenen Vorschlag die festgefahrene Partei aus der ausländerpolitischen Sackgasse zu führen. Doch der Gesetzesvorschlag, der Kindern von hier lebenden Ausländern ab Geburt die doppelte Staatsbürgerschaft verleihen sollte und sie mit 18 Jahren verpflichtete, sich für den deutschen oder den Paß ihres sogenannten Heimatlandes zu entscheiden, wurde intern blockiert.
Schon damals hatte es Schäuble für opportun gehalten, selbst mit diesem moderaten Konzept die Schwesterpartei CSU und den konservativen Flügel der CDU nicht zu verprellen.
Nun aber droht Rot-Grün das Zukunftsszenario für die Union dramatisch zu verändern. Mehrere hunderttausend Ausländer könnten in den nächsten Jahren Doppelstaatler werden. Bekanntlich sollen künftig diejenigen Ausländerkinder automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, deren Vater oder Mutter hier geboren wurde oder vor dem 14. Lebensjahr nach Deutschland gekommen ist. Zugleich wird die Einbürgerung erleichtert – beiden Gruppen, den eingebürgerten und den hier geborenen Immigranten, wird die doppelte Staatsbürgerschaft zugestanden.
Gesetzesvorlagen sind allerdings noch nicht ausgearbeitet. Das Thema sei zu diffizil, um einen Schnellschuß hinzulegen, heißt es aus der Grünen-Faktion. Zunächst wolle sich die rot-grüne Koalition um die Änderung entsprechender Passagen im Ausländergesetz kümmern, in einem zweiten Schritt dann das Staatsbürgerschaftsgesetz von 1913 überarbeiten.
In der Bonner Unionsfraktion wird damit gerechnet, daß wahrscheinlich erst im Herbst nächsten Jahres die Gesetze in den Bundestag eingeleitet werden. Bis dahin bliebe CDU und CSU also Zeit, sich zu einer Änderung ihrer bisherigen Blockadepolitik durchzuringen.
Doch der Appell des Berliner Kultursenators Peter Radunski, sich nicht an der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft zu verhakeln, stößt noch auf ängstliche Abwehr. Der Hamburger CDU-Landesvorsitzende Ole von Beust hangelt sich an jener Linie entlang, auf die sich Schäuble nach der Wahl öffentlich festlegte. „Die doppelte Staatsbürgerschaft bringt nichts. Dringend notwendiger ist es, die Möglichkeiten zur Integration zu verbessern“, so von Beust gegenüber der taz.
Ähnlich argumentiert auch der Vorsitzende des nordrhein-westfälischen Deutsch-Türkischen Forums (DTF), Bülent Arslan. Der türkischstämmige Christdemokrat befürchtet, daß mit der von Rot- Grün vorgesehenen doppelten Staatsbürgerschaft „eher noch ein Keil zwischen die deutsche und ausländische Bevölkerungsgruppe getrieben wird“. Die doppelte Staatsbürgerschaft könne „bei den Türken zu einer dauerhaften Orientierung an der Türkei“ führen.
Das „eigentliche Problem der Immigranten sind doch die Bereiche Bildung und Arbeitslosigkeit. Hier wollen wir als Christdemokraten Lösungsvorschläge anbieten“, sagt Arslan. Er könne die Forderung Radunskis „so nicht voll unterschreiben“, betont Arslan, um dann vorsichtig hinzuzufügen: „Ich hielte aber auch eine Konzentration der CDU auf das Thema doppelte Staatsbürgerschaft für falsch.“ Schließlich sei dieses Thema in der türkischen Öffentlichkeit auf „sehr große Sympathien“ gestoßen.
Wer in der Bonner CDU-Fraktion Beteiligte auf den künftigen ausländerpolitischen Kurs anspricht, spürt sehr schnell die Orientierungslosigkeit. Wie schon in der vergangenen Legislaturperiode zieht man sich auf taktische Finessen zurück. Manche hoffen gar, daß sich Bündnisgrüne und SPD bei Beratungen über die Gesetzesänderungen noch einmal auf das CDU-Modell einer befristeten Doppelstaatsbürgerschaft bis zum 18. Lebenjahr einlassen könnten. Von einer breiten Basis ist die Rede, die für ein derart heikles und in der Öffentlichkeit von Emotionen begleitetes Gesetzesvorhaben notwendig sei. Eine Hoffnung, die allerdings kaum in Erfüllung gehen dürfte. Denn Grüne und SPD sind mit ihren Vorschlägen, die im Koalitionsvertrag fixiert wurden, weit über jene Modelle zur Liberalisierung des Staatsbürgerschaftsrechts der CDU oder der FDP hinausgegangen.
Ob die CDU die doppelte Staatsbürgerschaft zu einem ihrer zentralen programmatischen Themenfelder machen wird, könnte nicht zuletzt vom Erfolg des wirtschaftspolitischen Kurses der neuen Regierung abhängen. Es mag paradox klingen, was ein jüngerer CDU-Abgeordneter in Bonn erklärt, aber ausgeschlossen scheint es nicht: „Sollte die neue Bundesregierung auf dem Felde der Wirtschaftspolitik Erfolge verbuchen, dann fiele eine der Angriffsflächen der CDU weg. Dann könnten manche in Versuchung geraten, ersatzweise das Thema doppelte Staatsbürgerschaft populistisch auszuschlachten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen