Die Lage im Berliner Amateurfußball: Kein Fußball ist auch keine Lösung
Bei den Profis steht das DFB-Pokalfinale an. Doch die Amateur*innen dürfen seit über einem halben Jahr nicht einmal mehr gemeinsam trainieren.
Zwar gibt es ein 89 Seiten umfassendes Hygienekonzept des DFB, das auch für den Pokal gilt. Wer und in welcher Form aber überhaupt Sport treiben darf, ist eine Frage, mit der sich nicht die Sportverbände, sondern die Innenministerien der Bundesländer zu befassen haben. Und deren Haltung ist bei allen regionalen Unterschieden doch zumindest in einem Punkt recht einheitlich: Profi- und Leistungssport ja, Amateur-, Kinder- und Jugendsport nur unter – teils extremen – Einschränkungen.
Das gilt auch für Berlin. Abgesehen von den Spielen der Bundesligisten Hertha und Union hat in der Hauptstadt seit Anfang November – also seit über einem halben Jahr – kein einziges Pflichtspiel mehr stattgefunden. Die Regionallisten wie Tennis Borussia oder der BFC Dynamo haben zwar in den letzten Wochen vereinzelt Testspiele absolviert. Den reinen Amateurmannschaften aus den Ligen darunter bleibt jedoch nicht einmal das.
Auch an einen geregelten Trainingsbetrieb ist nicht einmal ansatzweise zu denken. Das zeigt ein Blick Kreuzberg zur FSV Hansa 07. Mit über Tausend Mitgliedern und 42 Teams hat der Verein die größte Fußballabteilung des Stadtteils. Das aktive Vereinsleben ist jedoch weitgehend zum Erliegen gekommen.
Kontaktloses Trainieren in Kleingruppen
Berliner Pokal Nicht nur der DFB-Pokal, auch der Berliner Pokal soll trotz Pandemie sportlich zu Ende gespielt werden. Bis zum bundesweiten Tag der Amateure am 29. Mai sollen die fünf verbliebenen Regionalligisten Viktoria, Tennis Borussia, BFC Dynamo, Berliner AK und VSG Altglienicke den Pokal untereinander ausspielen. Die 27 Vereine aus den Ligen darunter haben aufgrund der aktuellen Infektionsschutzverordnung auch hier das Nachsehen. Sie sollen jedoch eine finanzielle Entschädigung erhalten. All das gilt allerdings nur für die Männer.
Ohne Siegerin Da es in Berlin keine Berufsfußballerinnen gibt, ist der Pokal der Frauen ohne Siegerinnen abgebrochen worden. Wer den Berliner Fußballverband in der kommenden Saison im DFB-Pokal vertritt, muss somit am grünen Tisch entschieden werden. (jt)
Die Spieler der ersten Herrenmannschaft, die immerhin in der Bezirksliga spielt, trainieren derzeit, wenn überhaupt, nur individuell. Bei den anderen Teams bis hinunter zur C-Jugend sieht es kaum anders aus. Die Jugendlichen bis zur D-Jugend trainieren immerhin kontaktlos in Kleingruppen. „Es ist aber relativ schwierig, den Kindern zu vermitteln, warum die Gruppen nun wieder so klein sein müssen und Spiele nicht erlaubt sind“, erläutert Yasmin Ranjbare, die Jugendleiterin des Vereins. „Sie sehen ja jeden Tag, wie voll zum Beispiel Busse und Bahnen sind.“
Zwei U-Bahn-Stationen weiter beim DFC Kreuzberg sieht es nicht viel anders aus. Gerade einmal zwei Pflichtspiele hat das 11er-Team des Vereins innerhalb des letzten Jahres absolviert, eines im Pokal und eines in der Bezirksliga. Hinzu kommen einige wenige Freundschaftsspiele, das letzte Ende Oktober gegen Berolina Mitte. Auch das Training findet derzeit nur per Videokonferenz statt. „Wir trainieren zweimal die Woche online zu unseren regulären Trainingszeiten“, erzählt Trainer*in Maria* Bochow. „Ich leite das Training komplett an, so wie auf dem Trainingsplatz – nur halt bei Zoom.“
Auf dem Trainingsplan stehen neben Aufwärmübungen, Fitness und Kondition auch Übungen am Ball, die so ausgelegt sind, das sie auch auf kleinem Raum durchgeführt werden können. „Ich finde, das es recht gut funktioniert“, so Bochow. „Es gibt aber auch Spieler*innen, die nicht daran teilnehmen, weil sie schon den ganzen Tag im Homeoffice vor dem Rechner sitzen und dann lieber draußen laufen gehen.“
Größere Austrittswellen hat es weder bei Hansa noch beim DFC gegeben. Das muss aber nicht so bleiben, wenn sich nicht bald etwas ändert. Die Fußballer*innen sind ja nicht Mitglieder im Verein, weil sie so gerne Mitgliedsbeiträge zahlen. Sie wollen Fußball spielen, und genau das ist derzeit nicht möglich. Zumindest nicht im Verein. Einige spielen stattdessen in den Käfigen, auf den Bolzplätzen oder im Park. Manche aber auch nur noch auf der Konsole. Oder halt gar nicht.
Das Vereinsleben ruht weitgehend
Die Situation ist auch für Trainer*innen nicht einfach, erzählt Bochow. „Ich kann mir gut vorstellen, dass einige die Lust verlieren und aufhören.“ Das Vereinsleben abseits des Platzes ruht ebenfalls weitgehend. Die Vereinsheime sind geschlossen, Gremien tagen meist online. „Der Vorstand hat zuletzt 2020 in Präsenz getagt“, berichtet Ranjbare. „Wir kriegen das auch so alles ganz gut hin, aber wir würden natürlich auch gerne mal wieder bei Waltraud im Hansa-Keller zusammen eine Limo trinken.“
Wann genau der geregelte Trainings- und Spielbetrieb wieder aufgenommen werden kann, weiß momentan niemand. Es gibt jedoch Grund zur Hoffnung. Nicht nur sinkende Inzidenzwerte und steigende Impfquoten weisen in eine positive Richtung, auch ein offener Brief der Gesellschaft für Aerosolforschung an die Bundesregierung Anfang April ließ viele Fußballer*innen aufhorchen. Das Coronavirus werde im Freien „äußert selten“ übertragen, hieß es dort, und Clusterinfektionen gäbe es überhaupt keine.
Beim DFC gibt man sich denn auch vorsichtig optimistisch, Trainer*in Bochow hofft auf einen Trainingsstart vielleicht schon im Juni. Yasmin Ranjbare von der Hansa 07 wird sogar noch etwas deutlicher. „Sport unter freiem Himmel muss wieder möglich gemacht werden. Die Konzepte dafür gibt es“, sagt sie. „Amateurfußball ist nicht das Problem, sondern ein Teil der Lösung!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?