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Die Labelchefin Das Musikbusiness ist immer noch weitgehend Männersache. Petra Husemann-Renner hat ihr halbes Leben in dieser Branche gearbeitet. Ein Gespräch über Gleichberechtigung und Karriere„Frauen werden immer noch schlechter bezahlt“

Interview Uta SchleiermacherFotos Miguel Lopes

taz: Frau Husemann-Renner, was sind Ihre Aufgaben als Labelchefin bei Motor Entertainment?

Petra Husemann-Renner: Erstmal vorneweg: Wir haben keine traditionellen Labelaktivitäten mehr, das haben wir schon länger eingestellt. Seit 2008 bieten wir fast nur noch Dienstleistungen an – wir arbeiten im Team mit dem Künstler. Er behält die Rechte, dafür übernimmt er auch das finanzielle Risiko. Das machen inzwischen viele Künstler so, weil sie ansonsten wahnsinnig viel von ihrem Umsatz abgegeben müssen. In der Regel geht über 80 Prozent an die Musikindustrie. Künstler bekommen zwar in einem traditionellen Labeldeal einen Vorschuss, das macht aber nur Sinn, wenn der Vorschuss sehr hoch ist. Viele Künstler überlegen sich auch, ob es eine gute Lebensphilosophie ist: „take the money and run“.

Entspricht so eine Zusammenarbeit mit den Künstlern den neuen Verdienstmöglichkeiten mit Musik, zum Beispiel über das Internet oder mit Crowdfunding?

Wir helfen den Künstlern auch bei der Finanzierung, und da gibt es verschiedene Wege. Entweder du gehst zu einem Verlag und verkaufst Rechte und organisierst ihnen Geld für die Veröffentlichung, du unterstützt sie dabei, einen Förderantrag bei der Initiative Musik einzureichen, auch das machen wir, oder du entwickelst mit ihnen Crowdfunding-Ideen. Wir haben eine Band aus der Schweiz, The Bianca Story, mit der haben wir über 100.000 Euro durch Crowdfunding eingenommen. Dass Künstler mehr und mehr dazu kommen, Dinge auch selbst zu machen, hängt aber tatsächlich damit zusammen, dass der Anteil, den sie sonst abgeben müssten, immer größer wird. Die Musikindustrie tut sich gütlich an Rechten, mit denen sie eigentlich nichts zu tun hat.

Zum Beispiel?

In den 90er Jahren wäre es undenkbar gewesen, wenn ich zu Bands wie Element of Crime oder Tocotronic gesagt hätte, „ich veröffentliche eure Platte, dafür möchte ich gern 20 Prozent vom Live-Einkommen“. Die Künstler leiden darunter, dass sie nicht nur 80 Prozent ihrer Umsätze bei der Industrie lassen, sondern auch darüber hinaus noch Geld abtreten müssen. Ist das ein Problem, weil die Künstler inzwischen mit Konzerten mehr verdienen? Ja, das hat sich umgekehrt. In den 80ern war es so, live war nett, aber man hat das Hauptgeld mit Radio und Verkäufen verdient. Heute sind Live-Auftritte ganz wichtig in diesem Einkommen-Mix und sicher essenziell bei der Frage: Wie ernähre ich mich als Künstler?

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Ich bin verantwortlich für mein Team, wir setzen uns gemeinschaftlich hin und fragen, was für den Künstler am besten wäre und dann tragen wir es ihm vor. Für mich selbst und für den groben Überbau muss ich zusehen, dass wir genug Aufträge haben, damit die Firma existieren kann. Dann bin ich ganz normal im Tagesgeschäft. Seit einigen Jahren arbeite ich unter anderem im Management von Max Raabe, bin beteiligt am Management von Jan Blomqvist und dem neuen Projekt von Felix Räuber von Polarkreis 18. Eine ganz normale Geschäftsführertätigkeit in einem Kleinunternehmen. Da macht man beides: Arbeiten wie eine Angestellte für unsere Kunden und parallel die Firma leiten.

Es ist ja immer noch selten, dass Frauen solche Positionen im Musikbusiness einnehmen, wie sind Sie dazu gekommen?

Angefangen habe ich im Bereich Presse und Promotion. Ursprünglich wollte ich Journalistin werden, da war ich hier in Berlin, war aber liiert in Hamburg. Mit Mauer war das echt nervig. Da gab es dann diese Stellenausschreibung, und ich dachte, ich probiere das mal. Jetzt arbeite ich schon mein halbes Leben in dieser Industrie. Das zeigt ja, dass es mir Spaß macht. Und ich mag Künstler. Es kommt vielleicht darauf an, mit welchem Typ Menschen man gut klarkommt. Mit Künstlern zu arbeiten bedeutet immer wieder neue Herausforderungen, es sind immer wieder andere Leute, andere Ideen, manchmal sogar neue musikalisch Stile.

Haben Sie nicht das Gefühl, dass sich das wiederholt? Dass da immer wieder neue junge Künstler ankommen, die sich als das neue große Ding präsentieren, und es dann doch immer wieder das Gleiche ist?

Nein – weil ich viele Jugendwellen mitgemacht habe. 1984 habe ich in dieser Branche angefangen zu arbeiten. 1989 bin ich zu Polygram – später Universal – gegangen, und habe PR gemacht für diesen neu gegründeten Bereich „Progressive Music“. Weil man festgestellt hat, dass man mit Indie-Musik auch Geld verdienen kann. Die ersten Künstler waren Element of Crime und Phillip Boa. Dann kam DJ Musik aus Berlin, die hat Tim geholt – ich war mit ihm befreundet, heute bin ich mit ihm verheiratet, das weiß ja jeder (gemeint ist Tim Renner, heute Kulturstaatsekretär, Anm. d. Red.). Und er nahm Musik aus Berlin unter Vertrag, Westbam unter anderem. Das war eine völlig neue Art, Musik zu machen. Mit Klaus Jankuhn, seinem Produzenten, hat er Songs aus existenten Sampeln kreiert. Nun kann man sich fragen, ob das Kunst ist. Ich fand, das ist Kunst. Ich finde aber auch, dass Andy Warhol Kunst ist und nicht der Typ, der die Blume für den Blumenkatalog fotografiert hat, sondern die Entfremdung. Es hat einige Jahre gedauert, bis wir das vom Underground in die Medien und dann in den Mainstream bekommen haben.

Woran lag das?

Petra Husemann-Renner

Die Frau:Geboren 1964 in Detmold, Grundstudium Philosophie und Germanistik, verheiratet, zwei Töchter, seit 1986 in der PR-Branche, später als Geschäftsführerin im Musikbusiness tätig.

Das Label:Hat Motor 1994 gemeinsam mit Tim Renner als Tochtergesellschaft von Polygram (Universal) gegründet. Seit 1999 Geschäftsführerin. 2004 Trennung von Universal, ab 2008 Neuausrichtung mit Labelservice, Management und Verlag.

Die Musik: Motor mischt auch bei dem Fernsehformat "Berlin Live" mit, bei dem Konzerte im Schwuz aufgezeichnet und dann bei Arte ausgestrahlt werden. Im Januar spielen dort Bloc Party (sind allerdings schon ausgebucht). Wer bei einem der nächsten Konzerte dabei sein möchte, kann sich auf der Homepage von Arte Concert und Berlin Live kostenlos auf die Gästeliste setzen lassen – zum Beispiel für Heather Nova am 19. Februar. (usch)

Die DJs haben in der Regel nur Track und Maxis veröffentlicht – keine Alben. Aber für Maxis gab es keinen Platz, weder im Radio noch in der Presse. Ich denke, Westbam war der Erste, der das mit seinem Album „A Practising Maniac at Work“ durchbrochen hat. Aber die Presse hat ein Dance-Album nicht ernst genommen. Es musste eine Tour her, über die auch viele kleinere und lokale Medien berichten würden. Westbam ist damit dem Muster von Rock gefolgt: Albumveröffentlichung, Promoreise, Tour. Die Tour war ein großes Spektakel und sehr erfolgreich. Es hat dann noch ein bisschen gedauert, bis wir die Sachen in die Charts bekommen haben. Es war eben etwas völlig Neues, an dem man teilhaben konnte. Und alle haben es gefeiert. Danach kam Hiphop als weitere Jugendbewegung. Langweilig ist mir bei der Vielfalt nicht geworden.

Was passiert heute noch Neues?

Es gibt immer wieder neue, spannende Entwicklungen. Zum Beispiel Bands wie AnnenMay­Kantereit oder Alice Phoebe Lou, mit der haben wir gerade einen Vertrag unterschrieben. Beide haben als Straßenkünstler angefangen. Alice ist sehr selbstbestimmt, 21 Jahre, tourt auf der Straße und fängt erst jetzt an, ihre Konzerte in Clubs zu verlegen. Straßenmusik ist für viele Künstler im Moment ein gutes Sprungbrett. Für Alternative und Singer-Songwriter ist zurzeit nicht so viel Platz, und dann spielen die halt auf der Oberbaumbrücke oder sonst wo auf der Straße. Musik reflektiert oft das aktuelle Lebensgefühl, es ist ein ständiger Fluss.

Einiges bleibt aber auch gleich: Warum haben Frauen es immer noch schwer in der Branche, als Musikerinnen, aber auch als Produzentinnen?

Um ganz ehrlich zu sein: das weiß ich absolut nicht. Ich kann mir vorstellen, dass das tradiert ist, jedenfalls in der Rockmusik. Mädchen werden anders erzogen als Jungs. Jungs müssen stark sein und rebellieren, die dürfen auch Schlagzeug spielen und Stromgitarre, und Mädchen, also auch meine Kinder, haben beide Klavier gelernt. (lacht)

Ich wollte grad fragen, wie Sie Ihre Töchter erzogen haben.

Die wollten aber tatsächlich auch nicht Schlagzeug spielen. Die Kleine hat Klavier und Gitarre gelernt und die Große Klavier. Sie sind musikalisch und musikinteressiert, streben aber beide keine Karriere als Musikerin an.

Meinen Sie, dass eine bestimmte Förderung gut und angebracht wäre, um Frauen in der Musikbranche zu unterstützen?

Es ist ja nicht so, dass es in den Plattenfirmen nicht viele Frauen gäbe. Zum Beispiel im PR-Bereich, wo ich ja auch angefangen habe. Meiner Meinung nach gibt es auch relativ viele Frauen im Management. Also überall dort, wo du soziale Fähigkeiten brauchst, gibt es viele Frauen. Es ist aber wahnsinnig hart in dieser Branche, sich auf das nächste Level zu kämpfen. Das hab ich auch nie gemacht, das war bei mir mehr Zufall. Da gab es diese Abteilung, und sie war wahnsinnig erfolgreich, wir hatten die erste Techno-Nummer Eins mit U96 und „Das Boot“. Auf jeden Fall kriegten wir eine eigene GmbH. Davor hatte ich mein erstes Kind bekommen und trotzdem weitergearbeitet, weil Tim meinte, er schaffe das alleine nicht. Ich würde es schon sehr gut finden, wenn Frauen speziell gefördert würden, denn ich kenne viele Frauen, die in dieser Branche arbeiten. Zu meiner Zeit habe ich viele Frauen als Produktmanager beschäftigt. Ich fand immer, dass Frauen gerade das Produktmanagement mindestens genauso gut machen wie Männer. Aber wie will man Firmen dazu zwingen?

Das frage ich Sie.

Ich glaube, das geht nur, indem die Frauen sich dessen selbst bewusst sind und sich immer wieder bewerben. Eine allgemeine Quote gibt es nicht, die gibt es nur für DAX-Konzerne und vielleicht noch für Behörden, aber Spitzenämter sind nur 21 Prozent weiblich besetzt. Es gibt ausreichend qualifizierte Frauen, aber sie müssen sich auch bewerben. Als ich 2004 eine(n) Produktmanager(in) gesucht habe, da haben sich nur Jungs beworben, da war keine einzige Frau dabei. Und dann kannst du sie dir leider auch nicht zaubern. Und ich weiß nicht, ob die Musikbranche für Frauen unbedingt das Paradies ist. Man muss viel abends arbeiten, Familie und diese Branche unter einen Hut zu kriegen ist ganz schön schwierig. Deswegen zahlen viele Promoter einen hohen Preis, haben oft keine Familie und keine Kinder.

„Jetzt arbeite ich schon mein halbes Leben in dieser Industrie. Das zeigt ja, dass es mir Spaß macht“

Was hat Ihnen geholfen, Beruf und Familie unter einen Hut zu kriegen?

Kindermädchen. Echt. Ganz am Anfang, als ich noch reine PR gemacht habe, habe ich einen Großteil meines Gehalts in ein Kindermädchen investiert. Sie war die Mutter einer meiner Musiker und hat mein großes Kind mit erzogen, vom ersten bis zum achten Lebensjahr hat sie meine Tochter betreut.

Das ist ja nicht selbstverständlich, dass man ein Kindermädchen so lange hat.

Beim zweiten Kind hatte ich eine Haushälterin, ein Au-pair, und ein größeres Kind. Und ich habe nur halbtags gearbeitet. Da konnte ich mir das aussuchen, das ist ein absoluter Luxus. Wenn du einen normalen Angestelltenjob hast, ist das schwierig.

Sehen Sie sich als Vorbild für andere Frauen im Business?

Viele, auch ganz tolle Frauen, sagen mir, ich sei so eine Art Vorbild. Darüber habe ich nie nachgedacht. Ich habe sowieso nie groß über Frauen in dem Business nachgedacht, ich habe es dann nur immer wieder bemerkt.

Wo haben Sie das bemerkt?

Bei internationalen Meetings war ich die einzige Frau. Da wurde ich dann indirekt aufgefordert, ich solle doch jetzt langsam mal gehen. Ob ich nicht müde sei. Weil die Männer aus verklemmten Territorien wie Japan zum Beispiel dann in einen Stripclub gingen und unter sich bleiben wollten. Wir sind eine Generation, die sich über Emanzipation nicht so viele Gedanken gemacht hat, wir haben uns immer emanzipiert gefühlt – das sind wir auch zum großen Teil. Es gibt aber Lebensbereiche, wo das nicht der Fall ist. Jobs, bei denen es wesentlich schwieriger ist, sie zu bekommen. Frauen werden immer noch schlechter bezahlt. Ich wurde angefeindet von Kollegen, als ich das Kind bekommen habe und wieder angefangen habe zu arbeiten. Ein Kollege sagte zu mir, das könne nicht gut gehen, die könne ja nicht normal werden.

Und Ihrem Mann wurde das nicht angekreidet?

Natürlich nicht, Männer arbeiten ja. Das Rollenklischee ist immer noch da. Manche Männer würden, glaube ich, gern sagen, ich bin Hausmann. Es gibt genug Beziehungen, wo die Frau mehr verdient und durchaus diese männliche Rolle einnehmen könnte. Die Gesellschaft macht einem das aber nicht leicht.

Was tun die Unternehmen dafür? Hätten Sie Ihren Job auch halbtags machen können oder in Teilzeit?

Als mein zweites Kind geboren wurde, hatte ich die Idee, dass ich mal ein Jahr zu Hause bleibe. Das habe ich meinem Personalchef in England vorgetragen, da hat der einen Lachkrampf gekriegt und meinte: Spinnst du? Ich habe einen Kompromiss vorgeschlagen: ein Halbtagsjob für mich, und mit dem eingesparten Geld könnt ihr zwei meiner Leute zu General Managern machen.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie hier in Berlin musikalische Entwicklungen aufnehmen oder anstoßen? Oder das Musiker besonders leicht den Weg zu euch finden, weil es Berlin ist?

Nein, aber ich glaube, dass wir in Berlin goldrichtig sind, weil Berlin an sich attraktiv ist für Künstler. Ich glaube, es gibt überhaupt gar keine Stadt in der Welt, außer vielleicht zurzeit Leipzig …

… ich dachte, Detroit?

Ich kenne die Dimitri-Hegemann-These und sein Bemühen um einen neuen Technoboom. War aber noch nie in Detroit und kann das nicht beurteilen. Die Mieten sind hier jedenfalls immer noch vergleichsweise günstig und Berlin ist wirklich international. Die Berliner sind offen und inzwischen ist es hier auch attraktiv für Künstler, weil hier so viele andere Künstler sind. Wenn du einen Schlagzeuger suchst, hast du in Berlin kein Problem, jemanden zu finden. Deswegen ist Berlin genau die richtige Stadt für eine Firma wie unsere, aber das trifft auch für größere Unternehmen zu. Davon profitiert natürlich jeder.

Husemann-Renner über das Potenzial der Stadt „Ich glaube, dass wir in Berlin goldrichtig sind, weil Berlin an sich attraktiv ist für Künstler. Ich glaube, es gibt überhaupt gar keine solche Stadt in der Welt, außer vielleicht zurzeit Leipzig …“

Wo entdecken Sie neue Musik?

Auf Festivals, bei Spotify, Blogs.

Nicht in Clubs?

Ich habe die Befürchtung, dass man heute in den Clubs keine neuen Bands mehr entdeckt. Neue Musik entdecke ich meist über Videoempfehlungen. Dann gucke ich sie mir live an, aber ich würde nicht zu irgendeinem Konzert gehen und sagen, mal schauen, wer heute Abend im „Krieg und Frieden“ spielt. Meistens höre ich mir das vorher an. Die Bands U3000 oder auch Raaz und Giant Rooks habe ich da kürzlich gesehen, und das war toll, alle drei sind sehr gute Live Bands.

Haben Sie einen Lieblingskünstler?

Wir legen uns bei Motor nicht auf eine bestimmte musikalische Richtung fest. Insofern kann ich das in diesem Kontext nicht sagen.

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