Die Kunst von Lynette Yiadom-Boakye: Sie malt keine Opfer

Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K20 in Düsseldorf: „Wenn sie pathetisch werden, überleben sie nicht“, sagt Lynette Yiadom-Boakye über ihre Figuren.

Vier Schwarze Tänzer zeigt dieses Gemälde. Drei sind entspannt im Gespräch, einer übt und hat ein Bein gerade nach oben gereckt.

„A Concentration“ heißt dieses Bild von Lynette Yiadom-Boakye aus dem Jahr 2018 (Ausschnitt) Foto: Carter Collection / K20

In sich ruhend und zugleich angespannt sitzen sich zwei Schwarze Männer in der Hocke gegenüber. Mit aufmerksamem Blick fixieren sie den jeweils anderen. Die Figuren wirken vertraut und geheimnisvoll zugleich, ihr Lauern ebenso verschwörerisch wie bedrohlich. Beide Männer scheinen bereit, der konzentrierten Pose schon im nächsten Augenblick eine unvorhersehbare Bewegung folgen zu lassen. Ihre rätselhafte Körperhaltung, die Voodoo-Rituale gleichermaßen impliziert wie kunsthistorische Vorbilder, ist ebenso wenig eindeutig zu bestimmen wie der undefinierte Raum aus weiß-grauen Farbspuren, der die beiden Körper hinterfängt.

Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K20 zeigt Lynette Yiadom-Boakyes „Fliegen im Verbund mit der Nacht“, die erste umfangreiche Ausstellung der britischen Künstlerin in Deutschland. Die Ausstellung folgt einer ersten Präsentation in der Tate Britain, die im Jahr 2020 aufgrund des Lockdowns nur wenige Tage geöffnet war – allerdings mit so großer Resonanz, dass die Schau in diesem Jahr nach einer weiteren Station in Luxemburg noch einmal in das traditionsreiche Haus zurückgeholt werden soll.

Lynette Yiadom-Boakye wurde 1977 in London geboren, wo sie heute lebt und arbeitet. Sie ist ghanaischer Abstammung und nahm 2019 am von der Kritik hochgelobten Ghana Freedom Pavilion auf der Internationalen Biennale von Venedig teil. Im Jahr 2018 wurde sie mit dem renommierten Carnegie International Prize ausgezeichnet und stand 2013 auf der Shortlist für den Turner Prize.

Yiadom-Boakye gilt als eine der bedeutendsten figurativen Künstlerinnen der Gegenwart. Ihre Arbeiten sind in Museumssammlungen auf der ganzen Welt vertreten und wurden in Einzelausstellungen, etwa im New Museum of Contemporary Art, New York (2017), oder im Haus der Kunst, München (2015), ausgestellt.

Bis 13. Februar, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K20, Düsseldorf, Katalog (Hatje Cantz) 38 Euro.

Das Porträt erneuern

Yiadom-Boakye gehört zu einer Reihe zeitgenössischer Künstler und Künstlerinnen, die in den zurückliegenden Jahren das traditionellste aller Genres modifiziert haben: das gemalte Porträt. In ihren Gemälden stellt sie ausschließlich Menschen dar, Frauen und Männer, einzeln und in Gruppen. Sie erscheinen in ihrer rätselhaften Besonderheit absolut lebensecht. Tatsächlich aber, so betont die Künstlerin, entspringen sie ihrer Vorstellung. Es gefalle ihr einfach, bemerkt die Künstlerin, die auch Schriftstellerin ist, dass ihre Figuren durchweg „erkennbar schwarz“, aber nicht real, sondern „ganz und gar mein Konstrukt“ sind.

Aus unterschiedlichen Bildquellen extrahiert Yiadom-Boa­kye ihre Motive, stöbert im Bildreservoir der europäischen Kunstgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, ebenso wie in Familienalben, Zeitungen und Modemagazinen, sie studiert Gesten, Begegnungen und Alltagserfahrungen gleichermaßen wie Details aus Gemälden Alter Meister. Den Rest schafft die Imagination im Zusammensetzen von Persönlichkeiten.

Motive aus der Kunstgeschichte

Das Verführerische dieser Mischwesen aus Fakten und Fiktion verstärkt sich in Szenen, in denen sich die Persönlichkeit der Dargestellten mit bekannten Motiven aus der Kunstgeschichte überlagert. Yiadom-Boakyes Erkundungen des Chiaro­scuro erinnern an Bildnisse von Rembrandt van Rijn oder die sogenannten schwarzen Bilder von Francisco de Goya. Die Verwendung subtiler Grau- und Weißtöne zeugt gleichermaßen von der Verwandtschaft mit Paul Cezannes Tischtüchern oder den voluminösen Kissen, auf denen Edouard Manets Olympia ruht. Die Leidenschaft der Malerin für ein intensives Rot ist vor allen auf die Bildnisse des britischen, heute kaum mehr bekannten Fin-de-Siècle-Malers Walter Sickert zurückzuführen.

Die Bilder verführen dazu, sich beim Betrachten vor allem auf die reduzierte, zurückhaltende Atmosphäre und die ruhigen, gelassenen Gesten der Figuren zu konzentrieren. Das genaue Studium der Hintergründe der Gemälde kann aber ebenso lohnend sein. Sie überzeugen als virtuose Übungen in Monochromie, welche die komplexe Rätselhaftigkeit der Darstellung noch verstärken. Im Verzicht auf detailreiche Inszenierungen und Hinweise auf konkrete Zeiten und Orte gelingt Yiadom-Boa­kye die Flüchtigkeit einer Stimmung. Interieurs sind oftmals dunkel und nur flüchtig markiert, und Außenräume werden in undefinierbaren Landschaften angesiedelt.

Traditionelle Genres subtil untergraben

Für die Düsseldorfer Ausstellung wurden rund siebzig meist großformatige Gemälde in einen überzeugenden Dialog gebracht. Er erlaubt einen profunden Einblick in das seit den frühen 2000er Jahren geschaffene Werk und konfrontiert frühe Arbeiten, in denen gedämpfte, erdige Farben überwiegen, mit aktuellen Arbeiten, die sich durch stärkere Kontraste auszeichnen. Durchweg zitiert Yiadom-Boakye Bildtypen wie das Porträt, das Konversationsstück und das Gruppenporträt. Indem sie in ihren Darstellungen jedoch jede soziale Zuordnung vermeidet, werden traditionelle Genres auf subtile Weise untergraben. Mittels der Fantasiekonstrukte ihrer People of Color paraphrasiert Yiadom-Boakye die westliche Moderne und kalibriert unsere Vorstellungen von Kunstgeschichte neu.

Den Prozess, in dem sich das besondere Wesen ihrer Subjekte herausbildet, beschreibt die Künstlerin so: „Wenn sie pathetisch werden, überleben sie nicht – sobald mir jemand leid tut, werde ich ihn oder sie los. Ich male keine Opfer.“ Die Aussage ist sowohl Verweis auf den jahrhundertealten Kanon der westlichen Malerei, in dem Schwarze Menschen oftmals auf eine marginalisierte Rolle reduziert wurden, als auch Beispiel einer „conceptual correctness“.

Indem Yiadom-Boakye es vermeidet, Stereotypen zu erfinden, werden ihre fiktiven Prot­ago­nis­t*in­nen zu nachdenklichen, souveränen und selbstbestimmten Akteur*innen. Die Stimmung in ihren Gemälden ist die eines Familienalbums, einer Gemeinschaft gleichgesinnter Freunde, die einander respektieren. Gemeinschaft wird Liebe und Eros vorgezogen.

Schöne, selbstbewusste Schwarze Menschen

Auch wenn der Begriff Blackness zentral für ihr Werk ist, hat Yiadom-Boakye immer wieder klarzustellen versucht, dass ihr die formale Seite der Malerei besonders wichtig ist: das Interesse an der Wechselwirkung und Erforschung von Form und Farbe. Raffinierte Schichtungen, modulierte Nuancen, Schattierungen und monochrome Modulationen demonstrieren Raffinesse und Vergnügen, mit denen die Künstlerin eine breite Vielfalt von Pigmentierungen innerhalb einer einzigen Farbe untersucht.

Bereits der assoziative Titel der Ausstellung, „Fliegen im Verbund mit der Nacht“, legt nahe, dass es die dunklen Koloraturen sind, die es Yiadom-Boakye besonders angetan haben. Das durchgehende Chiaro­scuro befördert allerdings weniger Assoziationen von Unterdrückung und Rassismus als von lapidar in dunkles Kolorit gefärbten Räumen und Landschaften, die die Figuren in harmonischer Tonalität wie selbstverständlich hinterfangen.

Hatte Yiadom-Boakye in den 2000er Jahren noch Figuren mit fratzenhaft verzerrten Gesichtern gemalt, sind ihre Prot­ago­nis­t*in­nen neuerdings schöne, selbstbewusste Schwarze Menschen. Das „vorsätzlich grob“ Gemalte und die „leicht böswillige Ausstrahlung“, das die Tate-Kuratorin Andrea Schlieker Yiadom-Boakyes frühen Figuren in ihrem Katalog­essay attestiert, ist in den jüngeren Arbeiten „weitgehend verschwunden“. Was durchaus zu bedauern ist: Auch wenn sie ihre malerische Handschrift über die Jahre perfektionieren konnte, die Emphase der frühen Werke von Yiadom-Boakye ist in den neuen Werken verglüht.

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