Die Kunst der Woche: Fehler aller Art
Fotos, überall Fotos: Ungewohntes Strahlen im Nachlass Daniel Josefsohn bei Crone. Personal Darlings mit reduziertem Fehlergehalt bei ep.contemporary.

U Untitled, 1996“, (archiviert unter DJo/F96-014) scheint eines der ganz harmlosen Porträts der Ausstellung „Unseen“ mit den nachgelassenen Bildern von Daniel Josefsohn (1961–2016) bei Crone zu sein. Doch die Fotografie hat es in sich. Sie zeigt ein strahlendes, unbekümmertes Mädchen unter der Dusche, eine glückliche junge Frau. Und wo bitte gibt es denn so etwas? Wo in aller Welt? Hinter diesem Bild steckt eine lange Geschichte der Auflehnung und der Selbstbehauptung. Eine Geschichte, die hier ihren Höhepunkt und womöglich auch ihr Ende fand – in einer Welt Mitte der 1990er Jahre, kurz nach der Wende, als die These vom „Ende der Geschichte“ aufkam und Karriere machte.
Es war eine sorglose Zeit, politisch, gesellschaftlich und finanziell, in der Daniel Josefsohns jugendliche Protagonisten unterwegs waren. Und niemand scheint die euphorische Atmosphäre von verschwenderischer, exhibitionistischer Freiheit und abgefucktem Glamour besser eingefangen zu haben als DJ, wie der Skater, Raucher und unternehmerischer Hans Dampf in allen Gassen seine Aufnahmen signierte.
In den von Ingo Taubhorn, dem bis 2023 tätigen Kurator am Haus der Photographie in Hamburg, ausgewählten 81 Aufnahmen fällt Josefsohns besondere Sensibilität für die Unbeschwertheit und berechtigte Naivität seiner Protagonisten auf. Darin unterscheidet er sich von Nan Goldin oder Wolfgang Tillmans, die wie er in der Szene unterwegs waren.
Man könnte jetzt meinen, dass er als Magazinfotograf für Zeitschriften wie Tempo, Jetzt, das SZ-Magazin und das Zeit Magazin einem Hauch Werbefotografie nicht entkam. Aber das ist es nicht. Er selbst, der als Sohn jüdischer Eltern weiß Gott um das Leid der Welt wusste, strahlt in seinen beiden Selbstporträts am Anfang und am Ende der Ausstellung diesen Lebensgenuss aus.
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Josefsohn konnte die Unbeschwertheit sehen, auch wenn das jetzt wie ein Widerspruch erscheint, weil seine Protagonisten rumhingen, knutschten, rauchten und ihr Leben lebten, ohne es ständig für die Kamera zu inszenieren und medial zu spiegeln. Sie waren ganz bei sich, nur manchmal war halt einer dabei, der fotografierte. Dass Josefsohn in diesen Jahren zu den stilbildenden Fotokünstlern zählte, dürfte den meisten, wenn sie es denn wussten, gleichgültig gewesen sein.
„Alle Fehler behoben!“
„Show Your Darling“ heißt die Ausstellung bei ep.contemporary, in der 38 Fotograf:innen mit je einer Arbeit vertreten sind. Sie sind der Einladung von Sabine Wild gefolgt, die seit 2015 unter diesem Titel Fotografen und Fotografinnen um ihre Positionen zu einem bestimmten Thema bittet. In Ausgave V geht es jetzt um den erleichterten Seufzer „Alle Fehler behoben!“.
Einige der Teilnehmenden wussten wahrscheinlich sofort, welche Arbeit sie einreichen wollten, während andere sich erst auf die Suche machen mussten und dabei ihr Portfolio noch einmal unter einem doch recht ungewöhnlichen Blickwinkel studierten. Denn was betrachtet man überhaupt als Fehler? Wann wäre er dann behoben? Und wie stellt sich das im Bild dar?
Am einfachsten wohl in der Fotografie von Norbert Holick, die ein kaputtes Rücklicht eines Minis zeigt, das mit transparentem Klebeband fixiert wurde. Holick zitiert dazu ChatGPT, das hier ein „Spannungsfeld: Praktikabilität vs. Rechtsstaat“ entdeckt: „In der Realität nutzen viele Menschen Provisorien, um Zeit, Geld oder Bürokratie zu sparen. Der Staat hingegen muss Sicherheitsstandards und Gleichbehandlung durchsetzen. Das führt zu Konflikten zwischen individueller Lebensrealität und rechtlichen Anforderungen – z.B. wenn sich jemand keine teure Reparatur leisten kann, aber das Fahrzeug braucht, um zur Arbeit zu kommen.“
Daniel Josefsohn: Unseen, Galerie Crone, bis 18. November, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Fasanenstr. 29
„Show Your Darling V“, ep.contemporary, bis 18. Oktober, Do.–Fr. 15–18.30 Uhr, Sa. 14–18 Uhr, Pohlstr. 71; Katalog zur Ausstellung, 88 Seiten, 10,- € + Porto 2,20 € via wild[at]kunstwild.de oder in der Galerie
Auch Eric Pawlitzkys neun kleine Schwarz-Weiß-Aufnahmen mit dem Titel „Der größte Fehler: teure Kamera. Behoben. Ein Sommertag in Berlin“ zeichnen sich durch einen unkomplizierten, überzeugenden Witz aus. Bei anderen Fotografien bleibt der behobene Fehler eher ein Geheimnis, was die Qualität der Arbeit natürlich nicht mindert, im Gegenteil. Besteht er beim „Pferd mit Gendefekt“ von Fred Hüning darin, dass das blonde, blauäugige Tier überhaupt lebt?
Und wo läge er bei Karoline Bofingers verwunschenem Porträt „Aisha Franz“? Darin, dass der ICC-Tunnel erst einmal gesäubert und von Glassplittern gereinigt werden musste, bevor sich die Illustratorin und Comicautorin der Fotografin dort als einer ihrer Figuren präsentieren konnte?
Unabhängig von der Themenstellung will die Selbstorganisation Berliner Fotograf:innen einfach Gelegenheit bieten, interessante Protagonist:innen kennenzulernen. Nora Bibel, die sich mit dem Klimawandel auseinandersetzt, Nadja Bournonville, die eine Fotorecherche in die Familiengeschichte unternimmt, und nicht zuletzt Sabine Wild mit ihren bildgewebten Architekturaufnahmen, um nur einige zu nennen.
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