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Die Kunst der WocheLichte Räume

Slater Bradley hebt ins Göttliche ab, Ghislaine Leung legt mit Nichts den Kunstbetrieb frei und Alona Rodeh setzt Straßenlaternen Cappys auf.

Slater Bradley: „DRAGONSLAYER“, Installationsansicht Parochialkirche, 2025 Foto: Peter Cairns/MONA

A ls läge vor einem das Labyrinth von Richard Long, das der Land Artist 1971 in Connemara, im rauen irischen Nichts, plötzlich aus zusammengeklaubten Steinen im Gras auftauchen ließ. Und auch der Innenraum der Parochialkirche erinnert irgendwie an die elementare Gegend, in der Richard Long seine Steinfigur der Vergänglichkeit aussetzte. Er ist in rohem Backstein belassen, der Dachstuhl ist offen. Das Architekturbüro Kuehn Malvezzi wollte so seinen Zustand nach dem Zweiten Weltkrieg sichtbar belassen, als es die barocke Kirche von Johann Arnold Nering vor einigen Jahren sanieren ließ.

Dennoch ist etwas ganz anders an dem Labyrinth aus Hunderten Brocken Honigcalcit und Chevron-Amethyst von Slater Bradley auf dem Boden der kargen Kirche. Hatte Long noch ein gesellschaftliches Bewusstsein für die Umwelt wachrufen wollen, so deuten Slater Bradleys 1.200 Kilogramm Steinstücke total ins Innerliche, Spirituelle.

Esoterik all over herrscht in Bradleys Ausstellung „Dragon Slayor“. Der US-Amerikaner Bradley, Jahrgang 1975, der in den Nullerjahren mit seinen transmedialen Arbeiten über Ikonen der Pop- und Massenkultur viel Erfolg hatte, der jüngste Künstler, dem das New Yorker Guggenheim eine Soloschau ausrichtete, begibt sich jetzt ins Weltentrückte.

Geometrische Muster in Blau und viel Gold auf den Bildtafeln an den Wänden zeigen Sternenkonstellationen und abstrahierte Engel, auch den titelgebenden Drachentöter Erzengel Michael. Alles wird untermalt von einer Soundinstallation Dustin O’Hallorans. Der hat sich für seine sphärischen Klänge beim russischen Komponisten und Mystiker Alexander Nikolajewitsch Skrjabin bedient.

Die Ausstellungen

Slater Bradley: „Dragon Slayer“, Soundscape von Dustin O’Halloran, Parochialkirche, bis 10. August, Mi.–Fr. 14–20 Uhr, Sa.+So. 12–20 Uhr, Klosterstr. 67, 12 Euro/erm. 7 Euro; Karillonkonzert von Anna Kasprzycka: 27. 7.+3. 8.,15 Uhr

Ghislaine Leung: „Reproductions“, Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.), bis 3. August, Di.–So. 12–18 Uhr, Do. 12–20 Uhr, Chausseestr. 128-129

Alona Rodeh: „Nightcaps“, Brunnenviertel Berlin, zu jeder Zeit öffentlich zugänglich, rund um Schwinemünder Straße

Es kann einem unheimlich werden ob Bradleys erhabenen, immersiven Gesamtarrangements, das einen nur zu einem sprachlosen Partikel irgendeines göttlichen Geschehens macht. Aber diesen ästhetischen Trip kann man sich mal geben. Man kommt ja wieder raus.

Poetische Institutionskritik

Ziemlich hiesig, radikal realistisch ist hingegen die Ausstellung von Ghislaine Leung im n.b.k. Obwohl dort kaum etwas zu sehen ist. Die großen Säle im Erdgeschoss sind fast leer, nur ungewohnt licht. Die britische Konzeptkünstlerin hat dort die vorherige Ausstellungsarchitektur abbauen lassen, plötzlich sind jahrelang verdeckte Fensterflächen frei. Offene Kabelwege ziehen sich jetzt entlang der Wände und Schlieren von Buttermilch auf dem Fensterglas. Irgendwann mal, für irgendeine Ausstellung vor zig Jahren, hat man das fermentierte Milcherzeugnis zur Verdunkelung des Saals daran geschmiert. Auch alte Neonlampen aus dem Keller des n.b.k. liegen herum. Es passiert eigentlich nichts in Leungs Ausstellung „Reproductions“, aber man spürt, was im n.b.k. alles mal passiert war.

Ausstellungsansicht Ghislaine Leung. „Reproductions“, Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.), 2025 Foto: n.b.k. / Jens Ziehe

In einer hinteren Ecke hängt großformatig eine Kostenauflistung an der Wand. Solche Listen kennt man von der 1980 geborenen Leung, wie diejenige, die sie letztes Jahr in der Kunsthalle Basel simpel mit „Jobs“ betitelte. All ihre Tätigkeiten im Kunstbetrieb zählte sie darin chronologisch auf, angefangen mit der Babysitterin, zur Grafikdesignerin, Art Händlerin, Assistentin bis hin zur eigenständigen Künstlerin und Mutter. Im n.b.k. legt sie nun offen, wie viel auch eine so minimalistische Ausstellung wie „Reproductions“ kostet: 54.775,29 Euro. Das meiste geht für Material und (De-)Installation drauf, die Künstlerin selbst erhält brutto 2.500 Euro für Konzept, Aufbau, alles.

Den Kunstbetrieb und seine prekäre Ökonomie freizulegen, ist ja eigentlich klassische Institutionskritik. Aber Ghislaine Leung gibt ihrer Soloschau im n.b.k. dann noch etwas ungewohnt Nahbares. Sie macht sich selbst als fragile Figur darin ablesbar. Und auch die Be­su­che­r:in­nen werden Teil ihres nichtshaften Geschehens: Bonbonpapiere auf dem Boden, Taggs an der Wand – überall sind kleine Anwesenheitsbekundungen zu finden.

Alona Rodehs „Die kühnen Gorgonen“ im Brunnenviertel Foto: Alona Rodeh, VG Bild-Kunst Bonn, 2025

Caps für Straßenlaternen

Aus den fragilen White Cube in den öffentlichen Raum des nahegelegenen Weddinger Brunnenviertels, wo die Künstlerin Alona Rodeh kürzlich ihre zweite Serie von Straßenlampen-Caps einweihte. Ja: Kopfbedeckungen für Stadtleuchten. Das einstige Flächensanierungsviertel entlang der Berliner Mauer mit seinen spätmodernen und postmodernen Wohnanlagen ist nämlich, ganz gemäß der Westberliner Stadtplanung der 1960er bis 70er, von Grünanlagen durchzogen. Und darin befinden sich auch jede Menge kugelförmige Straßenlaternen. Die Wohnungsbaugesellschaft Degewo ließ diese charakteristische Straßenbeleuchtung mit ihrem freundlich-spielerischen Design dort aufstellen.

Allerdings strahlen die netten Kugeln nachts ihr Licht in alle Richtungen ab. Lichtverschmutzung. Alona Rodeh, die selbst im Brunnenviertel lebt und ohnehin gerne die nächtliche Stadt zum Thema ihrer multimedialen Kunst macht, hat daher solche „Nightcaps“ konzipiert. Waren es in der ersten Serie noch diverse Kopfbedeckungen, die auch eine diverse Be­woh­ne­r:in­nen­schaft spiegeln – Caps mit Propeller, Helme, Krempenhüte, Tücher -, greift Rodeh jetzt ins Mythische: Eine Fledermaus liegt auf einer Kugel, eine Leuchte wird zum Kopf der Medusa mit züngelnden Schlangen. Die „Nightcaps“ sorgen dafür, dass das Licht der degewo-Lampen nur nach unten strahlt. Und für ein bisschen Pop und Goth bei Nacht.

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Sophie Jung
Kunstredakteurin
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