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Die Kunst der WocheTastend im Archiv

Was kommt zum Vorschein, wenn Staatsakte in ihrer Ritualität betrachtet und Archive vom Alltag her gedacht werden? Drei Ausstellungen auf Spurensuche.

Vincent Haynes: „Großer Zapfenstreich“, 2024, verschiedene Farben auf Leinwand, 170 x 190 cm Foto: Courtesy der Künstler und Tanya Leighton Berlin/Los Angeles

A uf den melancholisch wirkenden Malereien von Vincent Haynes ist kaum etwas wiederzuerkennen. Obwohl er mit seinem breiten, aber dünn aufgetragenen Pinselstrich auch bekannte Bilder aus den Nachrichten festhält. Den Zapfenstreich für Ursula von der Leyen etwa. Auf der großformatigen Leinwand scheinen dann nur gesichtslose Uniformierte aus einem braun-grauen Dunkel, das ohnehin der Grundton vieler seiner Bilder ist.

Wie sie da so stramm in der Reihe stehen, einer hält die Fackel in der Hand, und dazwischen eine weibliche Figur auftaucht. Ihre blonde Fönfrisur deutet dann doch auf die CDU-Politikerin hin, die 2019 mit diesem Zeremoniell von ihrem Amt als Verteidigungsministerin entlassen wurde.

„Ceremonies“ heißt auch die Serie des in Bremen lebenden Haynes, die jetzt bei Tanya Leighton zu sehen ist. Ein Staatsbegräbnis auf Jamaika, ein Bankett auf den Philippinen – jeweils Bilder von offiziellen, politischen Zeremonien – sind in den Galerieräumen aufgereiht. Indem Haynes aber die Gesichter nur als leere Flächen, nur Konturen und Farben herausarbeitet, werden auf seinen Leinwänden sonst gern übersehene Strukturen und Symbole dieser politischen Riten sichtbar.

Und es kommen ungewöhnliche Fragen auf: Warum etwa wird weltweit, über viele Grenzen hinweg, immer ein roter Teppich bei Staatsbesuchen ausgerollt? Die Antwort darauf könnte viel über die globalen Zustände heute erklären, vielleicht.

Ji Dachun: „Bug Season“, 2024, Acryl auf Leinwand, 27,4 x 23,4 cm Foto: Sascha Herrmann, Courtesy der Künstler und Galerie Nagel Draxler, Berlin/Köln/Meseberg

Bestes Cover

Man kennt doch dieses Schielen aus der Kunstgeschichte. Der Kardinal mit Humanistenkäppchen blickt, über Gott sinnend, nach oben, wobei sich das eine Auge ganz besonders weit nach außen, sozusagen zu Gott hin, dreht. Raffaels Porträt des Tommaso Inghirami von vermutlich 1509 hängt jetzt im Nagel Draxler Kabinett. Aber es ist ganz seltsam: Kappe und Gewand sind blau, nicht kardinalsrot, und Inghirami schaut einen direkt an, also mit dem einen Auge, das andere strebt nach wie vor ins Weite.

Der zwischen Berlin und Peking lebende Ji Dachun hat Inghirami auf seiner kleinformatigen Kopie des Renaissanceporträts ziemlich gut getroffen, trotz gröberen Pinselstrichs als bei Raffael. Man erkennt ihn und ist zugleich etwas verwirrt von den veränderten Codes. Kaum wahrnehmbar lässt Ji Dachun Insekten über das Gesicht des Kardinals krabbeln.

Glatt ein bißchen albern, aber trotzdem gut ist auch seine Kopie von der rechten Hand Jesu aus Leonardo da Vincis „Salvator Mundi“, das Original entstand um 1500. Die ikonische Segensgeste wird bei Ji Dachun zur ironischen, wenn er dem Christus einen Joint zwischen die Finger klemmt. Das funktioniert, auch weil Ji Dachun meisterhaft kopiert, aber mit dieser und jener Ungenauigkeit des Pinsels die Kopie durchaus offenlegt.

Die Ausstellungen

Vincent Haynes: Zeremoniell. Tanya Leighton, bis 15. Februar, Mi.–Sa. 13–18 Uhr, Kurfürstenstr. 156

Ji Dachun: Image, Time and Boundary. Nagel Draxler Kabinett, bis 1. März, Di–Fr. 11–18 Uhr, Sa. 12–18 Uhr, Rosa-Luxemburg-Str. 33

Swaying the Current. Alpin Arda Bağcık, Aziza Kadyri,İz Öztat, Sandra del Pilar, Neriman Polat, Sim Chi Yin, Cengiz Tekin. Zilberman Gallery, bis 15. Februar, Di.– Sa. 11–18 Uhr, Schlüterstr. 45

An anderer Stelle nimmt er sich die hybriden Höllenwesen eines Hieronymus Bosch vor oder mengt seinen Kopien Figuren der chinesischen Mythologie bei. Das alles ist so eingängig und befreiend wie die gute Coverversion eines Popsongs: Das Altbekannte wird verzerrt, slapstickartig unterbrochen, und zu etwas Ungewohntem übertönt.

Leerstellen der Geschichtsschreibung

Cengiz Tekin: „Socket and photo“, aus der Serie „Silence“, 2015-2017, Grafit auf Papier 30 x 25 cm Foto: Courtesy der Künstler und Zilberman, Istanbul/Berlin/Miami

Das Schweigen der Archive, davon handelte die Gegenwartskunst vor Kurzem noch viel. Von den Leerstellen der Geschichtsschreibung und von denjenigen, die darin verloren gegangen sind. Wer weiß etwa von den Opfern des „Malayan Emergency“ (1948–1960), jener Zeit, als die Kommunisten Malayas in bewaffneten Aktionen gegen die britische Kolonialherrschaft vorgingen? Die aus Singapur kommende Künstlerin Sim Chi Yin erinnert in der Galerie Zilberman an ihren Großvater, einen linken Journalisten, der von Antikommunisten während dieses Notstands ermordet wurde.

Briefe und Postkarten, aus London, aus Berlin, hängt sie an die Wände. Darauf vermengt sie heutige Eindrücke als Reisende mit Fragen an die Vergangenheit, Bemerkungen über das nicht anzugewöhnende europäische Essen überschneiden sich mit Überlegungen, warum die Familie nie über den Mord sprechen konnte.

Die Gruppenausstellung „Swaying the Current“ ist nicht ganz im Trend, ist doch das Zweifelnde, Suchende, Spekulative der sieben teilnehmenden Künst­le­r:in­nen mittlerweile von einer politischen Kunst abgelöst worden, die auf vermeintliche Wahrheiten oder Identifizierung setzt. Es ist aber gut, dass es in dieser Ausstellung keine Gewissheiten über Konflikte gibt, von denen man höchstens eine Ahnung hat. Man bleibt Außenstehende:r.

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Auch bei den hyperkonkreten Grafitzeichnungen von Cengiz Tekin, die sich durch alle Galerieräume ziehen und alleine schon einen Besuch wert sind: fotorealistisch in Schwarz-Weiß, wie der gekrümmte Nagel in der Wand einen Schatten wirft, wie ein kleines Bild der Mutter an den Lichtschalter geklemmt ist, dann ein Gewehr am Haken hängt.

Tekin fertigte diese Zeichnungen 2017 an, als in seiner Heimatstadt Diyarbakır ein kriegerischer Konflikt zwischen dem türkischen Staat und Teilen der kurdischen Bewegung ausgebrochen war. In ihrer Wirklichkeit machen Tekins Zeichnungen einen Moment greifbar, ohne wirklich eine Aussage über ihn zu treffen. Stattdessen vermitteln sie ein Gefühl: das der Abgeschiedenheit während eines Alltags in der Krise.

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Sophie Jung
Kunstredakteurin
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