Die Kunst der Woche: Abgerockt, aber grandios in Form
Woche der gezeichnteten Raumsituationen: Nomadisches Baugeschehen mit Alban Muja in der Reiter Galerie. Buchholz zeigt Skizzen von Isa Genzken.
B ei Reiter ist Sommer. Das tut unglaublich gut in diesem kalten Winter. Der kosovarische Künstler Alban Muja entführt die Besucher und Besucherinnen seiner Ausstellung „Sooner Rather than Later You Will Catch the Sight“ mit dem Video „Above Everyone (2022)“ auf die Manifesta 14 im sonnigen Pristhina. Sein Beitrag zu dieser europäischen nomadischen Biennale: er schuf sich Wohnraum, indem er – wie viele andere Einwohner der Stadt – auf dem Flachdach eines bestehenden Gebäudes eine kleines, einstöckiges, perfektes Haus (mit Regenrinne und Abflussrohren) errichtete. Die Kamera beobachtet zuerst das Baugeschehen, um dann, nachdem der Bau fertig ist, in die Luft zu steigen und dadurch immer größere Bereiche der Stadt zu überblicken, wo weitere illegale Aufbauten zu entdecken sind.
Das Leben im Kosovo ist eine Herausforderung, der Alban Muja, 1980 in Mitrovica geboren, mit den Mitteln des Künstlers begegnet. So geht er die Merkwürdigkeiten zeichnerisch an und macht uns gleich im ersten Ausstellungraum mit seinen „Memories from Unlearned Lessons (2018-19)“ bekannt. Die meist schwarzweißen, hin und wieder aber auch farbigen Aquarell-Tusche-Blätter faszinieren mit seltsamen, schlecht deutbaren organischen Gebilden, die auch ein wenig an Architekturzeichnungen der 70er Jahre Pop-Moderne erinnern.
Tatsächlich wollte der Künstler eine Leber, eine Blase oder Nieren festhalten, menschliche Organe, von denen er nur eine vage Vorstellung hatte. Als Albaner war er 1989 durch das serbische Regime von allen öffentlichen Bildungseinrichtungen ausgeschlossen. In dem während der 1990er Jahre unterhaltenen albanischen Untergrund-Bildungssystem hatte Sprachen und Mathematik Priorität. Die Lücken anderer Fächer zu schließen war nolens volens der Findigkeit der Schüler überlassen.
So wenig Mujas schöne, phantastische Zeichnungen von der menschlichen Anatomie handeln, so wenig stehen die Werkstätten und Ladengeschäfte, die sich in den Vororten der albanischen Hauptstadt Tirana den Straßen entlang ziehen, für ein erfolgreiches Geschäftsleben. Infolge der Landflucht wachsen die Gemeinden in der Peripherie der Hauptstadt unreguliert und planlos an.
Alban Mujas Zwei-Kanal-Video-Installation „Why Kamza (2021)“ ist ein gleichermaßen reizvolles wie erschütterndes Road-Movie von 10 Minuten Dauer, das vom Beispiel der Gemeinde Kamza handelt. Während die Kamera dort eine Ausfallstraße entlang fährt, an der sich rechts wie links ein Möbelgeschäft an das andere reiht, fragt man sich verzweifelt, wer nur all diese Möbel kaufen soll. Falls sich hier also nicht eine Einnahmensquelle der Schattenökonomie an die andere reiht, ist es ein Insolvenzfall nach dem anderen. Aber auch ist Sommer und die Sonne scheint.
Raum der Möglichkeiten
Den Neubau-Kisten in der Peripherie Tiranas fehlt jeglicher Beton-Brutalismus-Charme. Stattdessen sind sie postmodern mit Säulen und Erkern verkitscht. Das fällt deswegen besonders auf, weil mit die schönsten Brutalismusbauten doch in Osteuropa entstanden sind. Teilweise sind sie heute noch zu sehen, abgerockt, aber grandios in Form.
So, möchte man sagen, zeigt sich der Beton auch in Isa Genzkens Arbeiten auf Papier in der umfassenden Überblicksschau „Zeichnung Plan Collage, 1965–2018“. Gezeigt wird die Ausstellung in der Galerie Buchholz, der die Künstlerin seit 35 Jahren verbunden ist. Isa Genzken ist als Bildhauerin berühmt. Entsprechend handeln viele der Zeichnungen von räumlichen Gebilden, etwa die mit Bleistift und Aquarellfarben ausgeführten Blätter aus dem Jahr 1983 (IG/P ND/87-89 und 194-196), die die konstruktiv riskante Form einer Art Betonturm in verschiedenen An- und Aufsichten zeigen.
An der Küste Albaniens verortet, könnte man sich darin Ferienapartments vorstellen. Diese Assoziation kommt auch daher, dass Isa Genzken die plastischen Objekte in ihren Zeichnungen gerne in einen urbanen Kontext stellt. Oder dass sie den städtischen Raum gleich durch ihre Objekte hergestellt sieht wie in den Blättern ohne Titel von 1987 (IG/P 1987/62 und 139), auf denen dunkel dräuende Hochhauskisten melancholische bis piranesihaft verschachtelte Raumsituationen hervorbringen.
Diese Zeichungen sind eher lose mit ihrem Werk verbunden, aber es sind auch Vorstudien zu ihren berühmten Ellipsoiden und Hyperbolos-Skulpturen zu sehen, genauso wie solche zu ihren aufgeständerten Betonradios, oder besonders schön die Foto-Collagen zu angedachten Eingriffen in den öffentlichen, den städtischen Raum, der bei ihr schönerweise immer als Raum der Möglichkeiten erscheint. Etwa um – anders als Alban Muja heute Häuser – im Jahr 2000 der Deutschen Bank in Manhattan (IG/C 2000/32) oder 1987 dem Arbeitsamt in Bielefeld (IG/F 1987/131) überdimensionierte Antennen aufzusetzen, wie man sie etwa vom Kofferradio her kennt.
Heute ist diese Idee realisiert, allerdings nicht durch die Künstlerin, sondern die Mobilfunkgesellschaften. Interessanterweise meint man in einzelnen von Genzkens Turmobjekten fast schon die Form der heute ubiquitären, überdimensionierten Mobilfunkmastern auf den Dächern der Stadt zu erkennen.
Am meisten überraschen die frühen Zeichnungen wie die teils noch vom Teenager Isa Genzken 1965 mit Acryl aufs Blatt gebrachten roten Rotorscheiben (IG/P ND/06) oder die figurativen Buntstift- bzw. Wachsmalstift-Zeichnungen, die möglicherweise Erste Hilfe-Aktionen wiedergeben (IG/P1972/02). Und ganz gar und wunderbar schließlich „Balance“ von 2013, eine Fotocollage auf der Genzken sich auf gewinnende Art leichtfertig und selbstironisch porträtiert, indem sie ein Weinglas auf Stirn und Mund balanciert, dazu lacht und komische Grimassen schneidet.
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