Die Kunst der Woche für Berlin: Transitorte auf Umwegen
Nah zur Natur: Maria Loboda. Outdoor: Das „UM-Festival“ von Gudrun Gut und Co. Im Zustand der Latenz: der BER, fotografiert von Matthias Hoch.
A uch ohne Wissen um all die vielen kulturgeschichtlichen Anspielungen berührt Maria Lobodas Ausstellung in der Galerie Thomas Schulte an irgendeinem tief sitzenden, schmerzenden Punkt unseres Kollektivbewusstseins. „Listen to me, little pig!“ ist ein fragmentarischer Garten im White Cube. Vor dem Panorama pastoraler Landschaftsmalereien – eigentlich sind es Ausdrucke von Gemälden des 18. Und 19. Jahrhunderts, die sich als Public Domain des Metropolitain Museum of Art frei verwerten lassen – platziert Loboda eine Reihe junger Obstbäume, zwei weitere zierliche Metallskulpturen werden von Wein- und Kiwigewächsen umrangt.
Es scheint, als würden in dieser sehr reduzierten Installation Menschengemachtes und Natur zaghaft aufeinander treffen, doch kleine Disharmonien zeigen, dass es hier zwischen Natur und Mensch irgendwie ein Missverständnis gegeben haben muss: Bunt funkelnde Folienverpackungen am Fuß der Obstbäume und Textarbeiten an Wand und Bild sowie auf Sockeln verstören das feine Arrangement. Letztere sind weit aus der westlichen Kulturgeschichte gegriffene Zitate, vom Mythos um den Zauberer Merlin etwa, vom gefallenen Engel Luzifer, oder von jetztzeitlichen Noise-Tracks, die alle den menschlich-geistigen Versuch widergeben, die Kräfte der Natur zu deuten, aber in Fehldeutungen enden können.
„Listen to me, little pig!“ ist eine humorvolle Erinnerung daran, dass wir die Natur mit ihren sonderbaren Phänomenen nicht vollends begreifen können. Doch jetzt, wo außerhalb des White Cube die Naturkräfte in der menschengemachten Welt mit Unwettern, Hitze oder unbändigbaren Viren ihre Wirkung zeigen, hinterlässt die Ausstellung auch ein Gefühl der Beklemmung.
Galerie Thomas Schulte: „Listen to me, little pig!“ von Maria Loboda. Bis 4. September. Di.–Sa. 12–18 Uhr, Charlottenstr. 24.
UM-Festival: „Umwege“ mit u. a. Janine Adomeit, Lena von Goedeke, Hannah Hallermann, Ensemble Quillo, Gudrun Gut, Lindred, Teichmann & Söhne, Michael Sailstorfer, Andrea Winkler, Raul Walch, Iris Wolff, Ulrich Wüst. Sa., 28. August, 10–20 Uhr & So., 26. August, 10–18 Uhr. 17268 Fergitz. Eintritt: 16,50 €, ermäßigt 8,80 €. Informationen und Tickets: umfestival.loveyourartist.store.
Galerie Nordenhake: „BER“ von Matthias Hoch. Bis 4. September, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Lindenstr. 34.
Alles hängt mit allem zusammen. Die Interdependenzen von Natur und Mensch sind schon immer Thema des UM-Festivals gewesen, das nun Ende dieser Woche zum siebten Mal stattfindet. Man muss in den Zug steigen und sich auf einen Parcours durch die geformte Landschaft der Uckermark zwischen die Dörfer Fergitz und Pinnow sowie dem Drei-Seen-Blick begeben, um dann durch die Outdoor-Ausstellung zu streifen, die die alte Berliner Punkmusikerin Gudrun Gut gemeinsam mit dem Künstler Harald F. Theiss und der Lektorin sowie Texterin Ute Koenig unter dem Titel „Umwege“ zusammengestellt hat.
Inmitten alter Bauernhöfe, gedehnter Felder und Baumalleen wird es vor allem sensualistisch zugehen: Es werden visuelle Metaphern für das „Fliegen“ installiert, eingelesene Buchpassagen von den Bäumen klingen, Ad-Hoc-Konzerte im Schotter stattfinden, und es wird in Wort, Sound und Bild die Ästhetik der Leere besungen. 23 künstlerische Positionen.
Zur Funktionslosigkeit verdammt
Die Natur hätte den Hauptstadtflughafen einfach in Beschlag nehmen können, so viele Jahre stand das fast fertige Gebäude in Schönefeld leer und wartete auf seine Inbetriebnahme. Fotograf Matthias Hoch hat den zur Funktionslosigkeit verdammten Bau über drei Jahre mit seiner analogen Großformatkamera und einer digitalen Filmkamera erkundet.
Seine präzisen Aufnahmen in der Galerie Nordenhake zeigen die gewaltigen Räume dieses Infrastrukturprojekts im Zustand der Latenz: Folienverpackte Stühle, herausgerissene Lichtanlagen, noch nicht installierte Vitrinen werden in der Zufälligkeit, in der sie auf der Baustelle hinterlassen wurden, auf der Oberfläche der Fotografien zu einer farbenreichen Komposition geometrischer Linien und Formen. Diese Gegenstände für einen Transitort, der eigentlich von Geschwindigkeit und stetem Fluss geprägt ist, geraten durch Hochs Aufnahmen in noch eine zusätzliche Starre.
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