Die Kulturszene vor der Sachsen-Wahl: Es steht was auf dem Spiel
Muss Dresdens vitale Kulturszene Angst vor dem Wahlergebnis in Sachsen haben? Zwischen Kapitulation und Jetzt-erst-recht.
„Sehen Sie“, sagt Klement und zeigt auf die Sächsische Zeitung, „der Mann wird hier als ‚wendig‘ bezeichnet. Also: Das ist jemand, der sich beim Kyffhäuser-Treffen des ‚Flügels‘ blicken lässt. Er grenzt sich in keinster Weise vom rechtsextremen Rand ab. Dieser Mann ist alles andere als wendig.“ Klement sagt das mit leiser, heller Stimme, in der dennoch viel Entschlossenheit liegt. Den Zeitungsausschnitt legt er auf den Tisch, „Der Wendige“ ist auch die Überschrift des Porträts. Ein Wort, in dem nicht zufällig auch das Wort Wende steckt.
Joachim Klement ist seit zwei Jahren Intendant des wichtigsten Theaters der Stadt, direkt gegenüber dem Zwinger. Klement hat in Graz, Düsseldorf, Bremen und Hamburg gearbeitet, nun erstmals im Osten. Als Wessi. „Da höre ich natürlich oft: ‚Ihr aus dem Westen habt ja keine Ahnung vom Osten.‘ Ja, das stimmt. Umgekehrt gilt das aber auch, ich kenne das Ruhrgebiet sehr gut, das auch seine ganz eigenen Strukturprobleme hat. Dann denke ich, niemand aus Dresden würde dort tot überm Zaun hängen wollen.“
Das Staatsschauspiel weiß, wo es steht. Es hat sich 2014 der Initiative Weltoffenes Dresden angeschlossen, mit „Das blaue Wunder“ kommt hier aktuell ein sehr schlicht gegen die AfD polemisierendes Stück von Volker Lösch auf die Bühne. Das Theater hat auch die „Dresdener Erklärung der Vielen“ unterzeichnet, in der davor gewarnt wird, dass AfD, Pegida und Identitäre Bewegung in Sachsen „Hand in Hand“ arbeiteten. Klement: „Man könnte das als Verletzung des Neutralitätsgebots betrachten. Aber es sind einfach nur Tatsachen.“
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Streitende Stadt
Die Gräben, die sich in Dresden auftun, ziehen sich auch durch die Kulturszene der Stadt. Schriftsteller Uwe Tellkamp war Erstunterzeichner der „Erklärung 2018“, die sich gegen die „illegale Masseneinwanderung“ richtete, die Deutschland „beschädige“. Die stadtweit geschätzte Buchhändlerin Susanne Dagen schwamm in ähnlichem Fahrwasser.
Und erst im Mai gab es Zoff an der Hochschule für Bildende Künste, weil die dortige Bibliotheksleiterin auf der Liste der AfD kandidierte. Student_innen besetzten aus Protest die Bibliothek. Das Positive an alledem: Die Stadtgesellschaft redet, streitet, debattiert wieder darüber, was Konsens ist und was nicht. Und über ihr Dresdenbild.
Das Dresdenbild: ein vielschichtiges Gemälde, mehrfach überpinselt, teils ausgetrocknet, mit ein paar frischen Farbtupfern. Wenn man die Geschichte, die Sozialstruktur, die Selbst- und Fremdwahrnehmung betrachtet, ist wohl keine deutsche Stadt (abgesehen von Berlin vielleicht) komplexer als diese.
Da ist die Besonderheit Dresdens als Residenzstadt, in der Muster des Obrigkeitsdenkens besonders stark ausgebildet waren und der barocke Schein regierte. Da ist der 13. Februar. Da ist das „Tal der Ahnungslosen“ während der DDR-Zeit. Dann die Biedenkopf-Jahre, eine Art Adenauer-Zeit Sachsens. Und so weiter.
Vernetzen gegen Rechts
Die vitale Subkultur- und Kunstszene wird dabei oft übersehen. „Viele machen es sich zu bequem mit dem Bild, das sie von Dresden haben. Es ist immer falsch zu sagen, hier ist das Gute, und dort ist das Schlimme“, sagt Leif Greinus, Betreiber des in Dresden und Berlin ansässigen Verlags Voland & Quist. Greinus, 43, sitzt in der Scheune, einem Kulturzentrum in der Dresdener Neustadt, neben ihm sein Mitarbeiter Björn Reinemer, 32, der zudem Konzertveranstalter ist. Beide sind gebürtige Dresdener.
Leif Greinus, Betreiber eines Verlags
In der Gegend rund um die Scheune ballt sich die vielfältige Kultur der Stadt. Mit Cafés, Kneipen und Street-Art, mit einem heterogenen Straßenbild wie in St. Pauli oder Kreuzberg. Darüber hinaus hat Dresden Festivals wie den Schaubudensommer, das Straßenfest Bunte Republik oder das Literatur Jetzt!. „Alle Kulturakteure, die diese Vielfalt verteidigen wollen, sind seit dem Aufkommen von Pegida und dem Erstarken der AfD näher zusammengerückt“, sagt Reinemer, „Wir sind besser vernetzt, sprechen mehr mit einer Stimme.“
Manchmal aber rennen auch sie gegen Mauern mit ihrem Kulturbegriff. „Die Angst vor Neuem und Fremdem ist in Dresden besonders ausgeprägt“, sagt Greinus, „selbst Leute, die man eigentlich als progressiv einschätzen würde, haben hier manchmal überraschend altbackene Ansichten. Als ich zum Beispiel 2003 den ‚Poetry Slam‘ in Dresden etabliert habe, da sagten einige Leute zu mir: ‚So etwas brauchen wir hier nicht.‘ “
Es ist diese verhärtete Klientel, die die AfD in Sachsen gewinnen will. Stimmung gegen weite Teile der Kulturszene macht die Partei schon jetzt. Dem deutschlandweit bekannten Europäischen Zentrum der Künste in Hellerau will sie die Mittel streichen. Und im Dresdener Stadtrat sorgte ein rechtskonservatives Bündnis aus CDU und AfD Anfang Januar dafür, dass eine von Rot-Rot-Grün geforderte Aufstockung der Mittel für die freie Kulturszene von zwei Millionen auf 400.000 Euro eingedampft wurde.
Bangende Clubs
Muss die Kulturszene Angst vor den Wahlen am 1. September haben?
„Wenn die Politik nach rechts rückt, muss sich die Clubkultur schon fürchten, dass sie wieder ins Fahndungsraster gerät. Denn als Freiraum steht sie ja exemplarisch für das Unbeherrschbare, die Unordnung, den Rausch“, sagt Felix Buchta, Mitbetreiber des Clubs objekt klein a im Dresdener Norden. „Aber wenn man ehrlich ist, macht sich auch Resignation breit. Die Kommunalwahlen im Juni waren sachsenweit nicht gerade berauschend, und etwas bange ist natürlich allen.“
Elisabeth Heinz, alias DJ Elfaux
Buchta, 31, ein schlanker, ruhiger Typ mit Käppi, lebt seit zehn Jahren in Dresden, er sitzt auf dem Außengelände des Clubs, den er seit zwei Jahren mit einem Kollektiv betreibt. Zudem arbeitet er für den Verein Tolerave, der einmal im Jahr die Tanzparade Tolerade ausrichtet. Auch Elisabeth Heinz alias DJ Elfaux, die bereits häufiger im objekt klein a aufgelegt hat, ist auf mehreren kulturellen Feldern unterwegs.
Heinz, 29, gebürtig aus Jena, war zum Beispiel an der im Juni ausgerichteten Konferenz „Raumkon“ beteiligt, auf der über die Zukunft des urbanen öffentlichen Raums debattiert wurde. Events wie diese, sagt sie, seien häufig auf Crowdfunding angewiesen, denn die freie Szene habe es schwer: „Die Arbeit mit der Stadt kann unglaublich zäh sein. Subkultur wird oft von vornherein abgelehnt.“ Solche Sätze fallen mehr als einmal über eine Stadt, die 2025 Kulturhauptstadt Europas werden will.
Hoffen auf die Jungen
So bleibt der Eindruck, dass die Kulturszene zwischen Kapitulation und Jetzt-erst-recht-Attitüde schwankt. Mal schlägt das Pendel zur einen, mal zur anderen Seite aus. So auch bei Schriftsteller Marcel Beyer, der seit 1996 in Dresden lebt. „Es gibt hier einen Hang zur Griesgrämigkeit, den ich überhaupt nicht verstehe“, sagt der 53-Jährige.
„Ich frage mich, ob das mit einer Generation – Menschen meines Jahrgangs und älter – zu tun hat, die diese Verbitterung ausstrahlt. Ich setze auf die jungen Leute. Die werden Ideen haben, die diese Generation gar nicht haben kann.“
Joachim Klement, Theaterintendant
Es ist eine Hassliebe, mit der der in Kiel und Neuss aufgewachsene Beyer über seine Wahlheimat spricht. Beyer besucht auch gern Orte im Umland, die noch viel mehr von lebensweltlicher Verödung bedroht sind. Aber was tun? „Wandertheater helfen sicher nicht. Ich habe den Eindruck, der ganze Kulturbereich kann wenig ausrichten, weil er so in die Defensive geraten ist.“
Es wundert am Ende wenig, wenn Theaterintendant Klement über seine bisherige Dresdener Zeit sagt: „Das, was wir hier an Erfahrungen und Auseinandersetzungen erleben, ist zentral, um die derzeitigen Konflikte in der Gesellschaft zu verstehen. Ich möchte keine Sekunde missen.“
Ob er Angst vor dem 1. September habe? „Angst? Ach Quatsch, überhaupt nicht. Wir haben Haltungen. Und für die stehen wir. Die haben etwas mit lebendiger Demokratie zu tun und mit unerschütterlichem Glauben, dass sich die besseren Argumente durchsetzen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül