Die Kühne-Story: Wie ein Traditions-Unternehmen Jubiläum feiert: Kühne&Sohn
Kühne+Nagel pflegt einen äußerst eigenwilligen Umgang mit seiner Geschichte: Das liegt daran, dass die zugleich eine gut gehütete Familiengeschichte ist.
Es ist nicht so, dass Klaus-Michael Kühne in seinem Schweizer Hauptquartier jeden Abend persönlich auf den Stromspar-Knopf drückt. Aber er täte es, wenn dafür keine Automatik existierte – sogar noch in seiner formal entrückten Rolle als Ehrenpräsident des Verwaltungsrates.
Der Mehrheits-Aktionär will auch als 78-Jähriger bis ins Detail durchregieren. Sein Management malträtiert er mit täglichen E-Mails, obwohl er aus dem operativen Geschäft nominell längst raus ist. Doch in der Prä-Mail-Epoche waren die Führungskräfte auch nicht besser dran: Sie mussten Postboten spielen und jede Dienstreise, jeden Niederlassungs-Besuch zum Portosparen nutzen.
Den normalen Mitarbeitern verbot Kühne, K+N-Kalender im Büro aufzuhängen: Dafür hat man doch die entsprechenden Werbegeschenke der Geschäftspartner – selbst, wenn die eigenen Produkte noch im Sommer im Lager liegen.
Doch niemand kann dem Chef nachsagen, dass er das Sparen nur den Angestellten überließe. Legendär, zumindest firmenintern, ist die Geschichte von der Neu-Eröffnung einer K+N-Niederlassung im Schwäbischen: Kühne ließ sich anschließend zwar mit Gattin im Firmenwagen fort kutschieren – aber ausdrücklich nur bis zu nächst gelegenen S-Bahnhaltestelle.
Das skurril Dagobert Duck-hafte ist die eine Seite von Kühnes Chef-Gebaren. Die andere ist der Informations-Hunger, die Bestimmungs-Wut. Für jemanden wie ihn ist es sehr schwierig, den Daumen von der Darstellung der eigenen Geschichte zu nehmen.
Der Firmen-Geschichte, die während des „Dritten Reichs“ auch die des Vaters und des Onkels war: Alfred und Werner Kühne organisierten die flächendeckende Ausplünderung der deportierten Juden in Westeuropa.
Bis vor Kurzem schaffte es Kühne, diese Profiteurs-Rolle effektiv unterm Tisch zu halten. Forschern wird der Zugang zum Firmen-Archiv verwehrt: Es sei ohnehin alles verbrannt. Auch beim früheren Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv heißt es in Bezug auf Kühne+Nagel: „Dokumentation vor 1950 nicht auffindbar.“
Der taz gegenüber erklärte das Unternehmen, „der Rolle von Kühne+Nagel in dieser Zeitperiode“ mangele es „an Relevanz“. Das war im Januar, als der Konzern mit großem Aufwand sein aktuelles Jubiläumsjahr auf dem Bremer Marktplatz eröffnete.
Assistiert vom Bremer Bürgermeister beschwor Kühne den Beginn der Firmen-Entwicklung vor 125 Jahren, „aus kleinsten Anfängen heraus“. In Info-Trucks, die seither weltweit auf Tour sind, laufen historische Filme mit pittoresken Sackkarren und nostalgischen LKW-Karossen: K+N als schattenloses Traditions-Unternehmen. Eine sauber gewaschene Kühne-Story statt ernst zu nehmendem History-Marketing, wie es andere große Unternehmen betreiben.
Seither ist das Jubiläumsjahr allerdings anders gelaufen als von der Konzern-Zentrale geplant. Während der pompöse Bremer Auftakt noch auf positive Medienresonanz stieß, fanden die von der taz und dann auch dem Bayerischen Rundfunk recherchierten historischen Fakten nach und nach Widerhall.
Mittlerweile haben fast alle große Medien bis hin zu den Tagesthemen über die großen Deportationsgewinne der Spedition berichtet, die sich eindrucksvoll in den persönlichen Einnahme-Bilanzen von Alfred Kühne spiegeln, dem Vater des heutigen Mehrheitseigners.
Frank Bajohr, Leiter des Zentrums für Holocaust-Studien am Münchner Institut für Zeitgeschichte, attestiert der damaligen Tätigkeit von K+N eine „relative Nähe zum Massenmord“. Die Spedition habe „eine Form von Leichenfledderei“ betrieben
Anfang Juli, zur groß inszenierten Halbzeit des Jubiläumsjahres, waren die dunklen Seiten der Firmengeschichte nicht länger zu verstecken. Kühne musste sich vor Hunderten von geladenen Gästen an den jüdischen Teilhaber seines Vaters erinnern lassen: Beim Festakt in der von Kühne gesponserten Elbphilharmonie erwähnte Bürgermeister Olaf Scholz „die moralische Pflicht“, zu den „Verstrickungen im Nationalsozialismus Stellung zu beziehen“ – ein gewaltiger Unterschied zur kritikfreien Bremer Szenerie sechs Monate zuvor.
Adolf Maass, der jüdische Teilhaber, hatte seit 1902 das Hamburger Geschäft aufgebaut und war später – bis 1933 – sogar größter Einzeleigner der Gesamtfirma. Zusammen mit seiner Frau wurde er, vermutlich 1944, in Auschwitz ermordet. Im selben Jahr bekamen seine früheren Kompagnons, die Brüder Kühne, zum wiederholten Mal ein Gau-Diplom als „NS-Musterbetrieb“ überreicht.
Am „Herrengraben“ war die Welt in Ordnung
So tief in die „Details“ stieg Scholz freilich nicht ein. Schließlich ist ihm auch wichtig, Kühne als Sponsor von HSV und Elbphilharmonie nicht zu vergrätzen. Unmittelbar vor der großen Jubiläums-Sause an der Elbe durfte sich Kühne daher ins Goldene Buch der Stadt eintragen und wurde zum mehrgängigen „Senatsfrühstück“ geladen. Aber dass sich Kühne, den Scholz bei anderer Gelegenheit gern als „echten Hamburger Unternehmer mit hanseatischer Gesinnung“ bezeichnet, bei seiner eigenen Party kritische historische Anmerkungen anhören muss – das ist etwas sehr Neues.
Bisher hatte Hamburg immer gespurt, wenn der Unternehmer etwas wollte: Zum Beispiel eine rasche Straßenumbenennung, um die Büroadresse „Düsternstraße“ zu vermeiden. Flugs wurde die Straße zur Verlängerung des „Herrengraben“ gemacht. So war die Welt für Kühne in Ordnung.
K+N erkämpfte sich im "Dritten Reich" ein Monopol für den Transport jüdischen Besitzes in ganz West-Europa nach Deutschland. Damit wurden unter anderem die "Juden-Auktionen" beliefert. Insgesamt transportierte K+N den kompletten Inhalt von fast 70.000 jüdische Wohnungen und Häuser ab.
■ Durch direkte Kontakte zum Reichsfinanzministerium verschaffte sich K+N immer wieder lukrative Sonderaufträge, etwa für die "Rückführung" des Besitzes, den Emigranten in italienischen Häfen zurücklassen mussten.
■ Für den berüchtigten "Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg" übernahm K+N den Transport geraubter Kunstschätze, vornehmlich aus Frankreich.
■ Während des Zweiten Weltkriegs avancierte K+N zum maßgeblichen Logistik-Partner der Wehrmacht – eine Rolle, die das Unternehmen bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr noch immer spielt. Das Verteidigungsministerium charterte 2013 bei K+N unter Umgehung des Bundestags 1. 250 Afghanistan-Flüge für 150 Millionen Euro. Davon wurden lediglich fünf durchgeführt.
Nun aber wankt Kühnes Welt selbst dort ein wenig, wo sie aus seiner Sicht – nicht zuletzt in steuerlicher Hinsicht – bislang sehr in Ordnung war: in der Schweiz, dem Sitz der Konzernzentrale.
Erst zitierte die Aargauer Zeitung die „linksgerichtete Tageszeitung,taz'“, dann zog Bilanz, das führende Wirtschaftsmagazin der Schweiz, mit dem Titel „Kühne+Nagel: Von der Vergangenheit eingeholt“ nach. Kühne fremdelt auch ohne solche „Anwürfe“ mit seiner Wahlheimat. Er ist der reichste in der Schweiz lebende Deutsche. Wirkliche Freunde habe er dort keine, bekannte er kürzlich.
Zurück in die Geburtsstadt Hamburg
Umso mehr investiert er seit ein paar Jahren, um sich in Hamburg welche zu machen: Im Alter zieht es den Patriarchen zurück in seine Geburtsstadt. Sein Haus in Schindellegi, hoch überm Zürichsee, will Kühne freilich nicht aufgeben, was einige andere auch so halten.
Das landschaftlich idyllische Dorf im steuerlich besonders idyllischen Kanton Schwyz beherbergt nicht nur Kühnes Haus und Headquarter, sondern beispielsweise auch die „Pelikan“-Zentrale.
1969 ist Kühne hierher gezogen. Dafür, sagt er, seien neben Steuervorteilen vor allem die politischen Erfolge von Willy Brandt verantwortlich gewesen: „Wir waren skeptisch, wie sich die Dinge unter einer von der SPD geführten Regierung entwickeln würden.“
Dieses „wir“ ist wichtig: Sein Vater Alfred, seit 1932 Geschäftsführer von Kühne+Nagel, zog im Hintergrund noch immer die Strippen, obwohl er seinen Sohn mit 29 Jahren bereits zum Vorstands-Vorsitzenden gemacht hatte. Für Kühne senior war der Emigrant Brandt im Kanzleramt rotes Tuch und gefühlte Gefahr zugleich – nicht nur wegen der befürchteten Ausdehnung der betrieblichen Mitbestimmung.
Kühnes Steuerflucht war und ist keineswegs illegal. Aber qualifiziert sie ihn zu einem Eintrag ins Goldene Buch der ehemaligen Heimatstadt? Anders gefragt: Wie wahrscheinlich ist es, dass sich der heutige Junior-Chef Jan Meyer von der gleichnamigen Kreuzschiff-Werft in ein paar Jahren ebenfalls ins Goldene Buch der Stadt Papenburg (falls die eins hat) eintragen darf?
Es kommt darauf an, wie viele Millionen bis dahin in Gestalt von Sponsoring aus Luxemburg, dem neuen Verwaltungssitz der Meyer-Werft, zurück geflossen sein werden, bejubelt als Spende eines großherzigen Sohnes der Stadt. Dass das selbe Geld, und sehr viel mehr, ohne Firmenverlegung in Gestalt regulärer Steuern zur Verfügung stünde, unabhängig von den wechselnden Launen und Vorlieben des Sponsors, gerät dabei in Vergessenheit – wie es jetzt bei Kühne der Fall ist.
Ärgerliche Siegerpose
Ähnliche Widersprüche gibt es bei der so genannten Rettung der Hamburger Traditions-Reederei Hapag-Lloyd vor chinesischen Investoren, für die sich Kühne 2008 feiern ließ. TUI hatte die Reederei los werden wollen. Kühne liebt das Foto, das ihn nach erfolgreicher Übernahme mit hoch gestreckten Armen in Sieger-Pose zeigt, während die Hapag-Lloyd-Mitarbeiter an seinem Büro vorbei marschieren.
Dieses Bild sei „ein bisschen in die Geschichte eingegangen“, sagt Kühne selbstbewusst. „Ich ärgere mich noch heute, wenn ich an diesen Tag denke“, betont hingegen Thomas Sorg, damals Betriebsratsvorsitzender von Kühne+Nagel Deutschland. Kühne habe sich für „die Rettung,reinrassiger' deutscher Arbeitsplätze“ bejubeln lassen – die Rechte seiner schon vorhandenen Angestellten aber immer wieder missachtet.
In der Tat waren 15 Jahre prozessualer Auseinandersetzung notwendig, um beispielsweise die Bildung eines europäischen Betriebsrats durchzusetzen. Kühne hatte sich stur auf den Standpunkt gestellt, als Schweizer Unternehmen müsse ein europäischer Betriebsrat nicht geduldet werden.
Schließlich finanzierte sogar die EU ein Modell-Projekt für die K+N-Betriebsräte, um das Anliegen gegen den Widerstand des Patriarchen voran zu bringen. Aber: „Selbst nach einem eindeutigen Urteil des Europäischen Gerichtshofes konnte der Euro-Betriebsrat noch nicht konstituiert werden“, sagt Michael Kalis, bis vor kurzem dessen Vorsitzender.
Weitere fünf Jahre musste gegen die K+N-Geschäftsleitungen in Europa auf Herausgabe der gesetzlich notwendigen Informationen geklagt werden.
„Reinrassig deutsch“
Die „reinrassigen“ Arbeitsplätze beziehen sich auf Kühnes Bemerkung, mit der er eine Beteiligung der dänischen Maersk-Reederei am „Rettungs-Konsortium“ für Hapag-Lloyd kategorisch ausschloss: „Wir wollen uns möglichst reinrassig deutsch halten“, sagte er bei einer Podiumsdiskussion der „Deutschen Nationalstiftung“ in Berlin.
Dieter Graumann vom Zentralrat der Juden nannte Kühnes Vokabel „skandalös“. Doch dessen spontaner Abwehr-Reflex gegen Maersk klingt nicht nur geschichtsvergessen, sie hat wiederum einen virulenten familiären Hintergrund: Die Maersks sind eine konkurrierende Unternehmer-Dynastie.
Auch bei den Maerks gibt es den tüchtigen Großvater, der klein begann – nur sind dessen Kinder und Enkel eben noch erfolgreicher als die Kühnes. Maersk ist weltweit die Nummer eins in der Container-Schifffahrt.
Der Einstieg bei Hapag-Lloyd ist Kühnes zweiter Versuch, als Reeder erfolgreich zu sein. Denn wer kein Reeder ist, ist in Hamburg nicht wirklich ganz oben. Kühnes erster Versuch scheiterte katastrophal: Er kaufte en gros Schiffe, die er 1981 mit gewaltigen Verlusten wieder abstoßen musste – und das unter den Augen seines stockstrengen Vaters, der im selben Jahr starb.
Alfred Kühne hinterließ ihm zwei persönliche Berater, die bis in die 90er Jahre hinein, mittlerweile hoch betagt, im Betrieb präsent waren. Auch Kühnes Mutter Mercedes gehörte noch lange dem Verwaltungsrat an.
Kein Zweifel: Kühne, selbst kinderlos, ist ein zutiefst familiär geprägter Mensch. In seinem Rücken steht die Figur des übermächtigen Vaters, an den sich frühere Mitarbeiter als eines äußerst rigiden „Beriebsfürsten“ erinnern. Der gönnte dem einzigen Sohn noch nicht mal eine Studienzeit, sondern beschlagnahmte ihn sehr jung für die Firma.
Er sei „zu früh in Verantwortung gekommen“, bedauert Kühne selbst im Rückblick. Was freilich nicht bedeutete, dass „Klau-Mi“, wie der Jung-Chef von den Mitarbeitern genannt wurde, Entscheidungsfreiheit gehabt hätte.
Am väterlichen Denkmal darf trotzdem keiner kratzen. Auch nicht an dem von Großvater August Kühne, der sich im völkisch-kolonialistischen „Alldeutschen Verband“ engagierte. Und weil Familien- und Firmengeschichte im Fall der Kühnes kaum zu trennen sind, gilt das eben auch für letztere: Sie ist sakrosankt.
Kühnes Management hingegen hat nun erkannt, dass die Strategie des stupiden Leugnens nicht länger zu halten ist. Stattdessen gibt es seit Kurzem Teil-Eingeständnisse. Im März veröffentlichte K+N eine mit „Bekenntnis zu seiner Geschichte“ betitelte Pressemitteilung, in der die Firma „sehr bedauert“, dass sie ihre „Tätigkeit zum Teil im Auftrag des Nazi-Regimes ausgeübt hat“. „Ein solcher Zusammenhang“ war bis dahin als „unklar“ behauptet worden.
Allerdings, so heißt es im „Bekenntnis“ weiter, seien „die seinerzeitigen Verhältnisse“ zu berücksichtigen: Kühne+Nagel habe „in dunklen und schwierigen Zeiten seine Existenz behaupten“ müssen. Schon im April relativierte die Firmensprecherin abermals: Es sei „nicht bekannt, dass sich die Kühne-Brüder mit den Machthabern arrangiert haben.“
Kühne seinerseits verhindert weiterhin, was er kann. Noch im Mai fertigte er einen kritischen Aktionär, der bei der Generalversammlung nach der NS-Geschichte der Firma fragen wollte, mit der Bemerkung ab: „Wen geht es etwas an, was mein Onkel damals gemacht hat?!“ Auch die Ausstrahlung einer Dokumentation des Bayerischen Rundfunks versuchte er zu unterbinden: Um „nicht alte Wunden wieder aufzureißen“, solle der Sender auf eine Ausstrahlung verzichten.
Aus „Belasteten“ wurden „Mitläufer“
Die Kollegen vom Bayerischen Rundfunk hatten recherchiert, dass es einen sehr speziellen Grund für die rasche Rehabilitierung der Kühne-Brüder nach 1945 gab: Obwohl Alfred und Werner Kühne Parteibücher hatten und von eigenen Mitarbeitern als „große Nazis“ qualifiziert wurden, setzte das US-Militär eine nachträgliche Abmilderung des Spruchkammer-Urteils durch. Aus „Belasteten“ wurden „Mitläufer“ – was notwendig war, um sie die Firma weiter zu führen zu lassen.
Denn die Firma wurde wegen ihrer internationalen Verästelung für Geheimdienst-Zwecke gebraucht. Insbesondere die Bonner Kühne+Nagel-Niederlassung, aber auch Bremen und München dienten demnach als logistische Zentren der „Organisation Gehlen“ – jenes Sammelbeckens des versprengten NS-Spionage-Fachpersonals inklusive ehemaliger Gestapoleute, aus der der Bundesnachrichtendienst entstand. Insofern war die Kühne-Rehabilitierung eine Frucht der Staatsraison – was die Firma auf Nachfrage allerdings als „abwegige Unterstellung“ bezeichnet.
Zuletzt war die Neuauflage der Firmenchronik zum 125-jährigen Jubiläum ein Streifall zwischen Patriarch und Management. Vor dem Hintergrund des nicht mehr zu übersehenden kritischen Medienechos weigerte sich der beauftragte Autor, die NS-Zeit – wie aus den früheren Firmen-Publikationen gewohnt – einfach auszublenden.
Auch die „Key Dates“ auf der aktuellen internationalen Firmen-Homepage lassen zwischen 1932 – dem Tod von Firmengründer August Kühne – und 1946 ein auffälliges Loch.
Nun ist die neue Chronik als Festschrift offiziell erschienen – aber niemand bekommt sie zu sehen. Entsprechende Anfragen ignoriert das Unternehmen, die Auflage soll allerdings auch so gering sein, dass es nicht einmal für alle Mitglieder der Geschäftsführung langt.
Kühne will offenbar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Er spart – und hält den Daumen weiterhin auf der Geschichte. Die Unternehmens-Kommunikation kann ebenso unverdrossen wie unkontrollierbar behaupten, nun sei die Geschichte doch selbstkritisch aufbereitet – und Hamburgs Bürgermeister spendet für diese „Bereitschaft“ prinzipielles hohes Lob.
Keine Enladung für die Maass-Enkel
Was hielte der Hamburger Senat im Jahr des Firmen-Jubiläums von einer kleinen Ehrung auch für Adolf Maass, der den Hamburger Firmensitz ja schließlich aufgebaut hat? „Posthume Ehrungen gibt es grundsätzlich nicht“, sagt der Regierungs-Sprecher. Aber auch die in Kanada lebenden Maass-Enkel wurden von keiner Seite eingeladen.
Der Fall Kühne+Nagel ist ein erratisch in die Gegenwart ragendes Beispiel dafür, wie komplex und inkonsistent der Umgang mit NS-Vergangenheiten noch immer sein kann. Andere Unternehmen ähnlicher Größenordnung haben längst ganze Historiker-Kommissionen mit einschlägigen Studien beauftragt. Wie geht die Gesellschaft mit solch einer Situation um?
Die Medien berichten kritisch, die Grünen halten vor dem Bremer Firmensitz von K+N eine Mahnwache ab, Autonome bewerfen das Gebäude mit Farbbeuteln und Steinen. Aber die überwältigende Mehrheit der Online-Kommentare unter den kritischen Medienberichten erklärt die historische Thematik für komplett irrelevant.
Auch Kühne selbst fragt sich öffentlich – nachdem er sich diesem Thema nun immerhin stellen muss – was er mit der „Zeit zwischen 1933 und 1945, die ich selbst faktisch nicht erlebt habe“, zu tun hat. Im übrigen habe seine Vater allen Juden stets geraten, schnell auszuwandern. Und Maass habe er für „besonders tüchtig“ gehalten.
Auch bei Kühne+Nagel darf übrigens nach 18 Uhr gearbeitet werden, trotz des Stromverbrauchs. Es ist sogar ausdrücklich erwünscht. Nur muss man sich das Licht selbst wieder anschalten – so, wie man sich seiner Geschichte eben selbst stellen muss.
Der Chef hingegen lässt die Lichter lieber aus.
Mehr über den Konzern Kühne + Nagel, dessen NS-Vergangenheit und Verbindungen zum HSV finden Sie in Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen in der gedruckten Ausgabe der taz oder am eKiosk.
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