Die Knigge-Frage: Dürfen Kinder Alkohol essen?
Von wegen „Alkohol verfliegt beim Kochen“ – Forscher haben diese These kürzlich widerlegt. Also: Dürfen Kinder Gulasch mit Rotweinsoße essen?
Nein, früher war nicht alles besser. Früher zum Beispiel hat man Kleinkindern Cognac in die Milch geschüttet, damit sie während langer, unruhiger Nächte in Luftschutzkellern friedlich schlafen, anstatt alarmiert zu schreien.
Heute sind die Zeiten für Eltern und Kind nicht mehr ganz so gefährlich wie in Zeiten des Zweiten Weltkriegs. Doch umso größer werden nun die Ängste. Kinder sollen, nein müssen vor wirklich allem beschützt werden. Und so hört man an Stätten öffentlicher Gastlichkeit nun des Öfteren die bange, manchmal auch gestrenge Elternfrage: „Ist das Gulasch mit Rotwein gekocht“?
Die alte Volksweisheit „Alkohol verfliegt beim Kochen“ hat sich nämlich als falsch herausgestellt: Eine mit einem alkoholischen Getränk versetzte Flüssigkeit, die eine halbe Stunde gesiedet hat, enthält immer noch 35 Prozent des ursprünglichen Alkoholgehalts, nach zweieinhalbstündigem Sieden sind immer noch 5 Prozent des Alkohols nachweisbar. Das haben Forscher der Universität von Idaho (USA), die zufälligerweise im prohibitionistisch-puritanischen Bible Belt liegt, in Studien nachweisen können.
Natürlich kann sich nun jeder auch ohne Taschenrechner ausrechnen, wie viel Alkohol am Ende auf dem Tellerchen eines Kleinkindes landet, wenn das eine Stunde geschmorte Gulasch mit zwei Gläsern Rotwein versetzt war. Kinder, die schon feste Nahrung zu sich nehmen können, schweben nicht gleich in Lebensgefahr, weil sie ein bisschen Boeuf bourguignon essen – es geht eher um das Prinzip beziehungsweise folgendes Argument: Die Kinder sollen nicht frühzeitig an den Geschmack von Alkohol gewöhnt werden.
Diesen Text finden Sie auch in der taz. am wochenende vom 11./12. Mai 2013. Darin außerdem: die Titelgeschichte „Wo fängt irre an?“, eine Fotoreportage über den Drogenkrieg in Mexiko, ein Porträt von Muhlis Ari, der als „Mehmet“ vor 15 Jahren bekannt und abgeschoben wurde, eine Rezension des neuen Daft-Punk-Albums und drei Karottenrezepte von Sarah Wiener. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo.
Es besteht also die Angst, dass Kinder, die schon auf ihrem Kindergeburtstag Rotweinkuchen zu sich genommen haben, spätestens an ihrem 18. Geburtstag zum Flatrate-Säufer geworden sind.
Ob dem tatsächlich so ist? Die Erfahrung zeigt eher, „Kokowääh“, dass Kinder den Geschmack von Alkohol so wenig mögen wie sie Kaffee zu schätzen wissen oder sagen wir: Oliven, Spargel, Rohmilchkäse. Dafür ist Alkohol auch in reifen Bananen, Weißbrot und Traubensaft enthalten – alles beliebte Kinder-Snacks.
Man darf also ruhig ein bisschen Rotwein in den Schmortopf gießen. Es sei denn, Sie haben tatsächlich streng gläubige Muslime zu Besuch, dann wäre eine solche Art der Zubereitung in der Tat unhöflich.
Sie haben eine ungelöste Benimm-Frage? Mailen Sie an
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind