Die Kinotipps für Berlin: Nicht vorhersehbare Volten

Vom Agatha-Christie-Update über einen Klassiker des ungarischen Films und die Geschichte eines Mafiaaussteigers bis zu einem Biopic-Musical.

Pierfranceso Favino in „Il Traditore“ Foto: © Copyright Lia Pasqualino/Pandora Film

Die Freiluftkinos halten immer noch durch, sie verlängern die Saison so lange es eben geht. Kein Wunder, fiel der Anfang der Spielzeit doch zunächst Corona zum Opfer. Als man dann wieder spielen durfte, hatte man wenigstens Glück mit dem Wetter – jetzt wird es nachts aber doch frischer und Regen kündigt sich an. Halten die Zuschauer trotzdem durch?

In Freiluftkino Pompeji am Ostkreuz präsentiert man ihnen jedenfalls eine Art Agatha-Christie-Update: Bevor Daniel Craig demnächt einmal mehr als James Bond die Welt retten wird, versucht er in „Knives Out – Mord ist Familiensache“ als Privatdetektiv mit dem schönen Namen Benoit Blanc (und mit einem Akzent, der noch breiter ist als sein Selbstbewusstsein) den Fall um einen toten Krimiautor (Christopher Plummer) zu lösen.

Klassischerweise haben sich im Herrenhaus (wo sonst) die Familienmitglieder (gespielt unter anderem von Jamie Lee Curtis, Don Johnson und Toni Collette) versammelt, die alle ziemlich gute Gründe gehabt hätten, den Patriarchen zu ermorden: Er wollte ihnen den Geldhahn zudrehen. Natürlich haben sie allesamt gute Alibis.

Und weil sich die Filmemacher um Regisseur Rian Johnson der Limitationen des Whodunit-Genres offenbar bewusst waren, schlägt der Plot dieser Krimikomödie eine ganze Reihe nicht vorhersehbare Volten, ehe der Detektiv das Geheimnis doch noch aufdröselt (OmU, 25. 9., 20.30 Uhr, Pompeji – Freiluftkino am Ostkreuz).

Animierte Reise in die Unterwelt

In einer ganz anderen Filmgattung ist der mittlerweile 78-jährige Oscar-Gewinner Marcell Jancovics tätig: Er dreht Animationsfilme, von denen der in der Zeit von 1979 bis 1981 in Handzeichnung gefertigte „Sohn der weißen Stute“ als Klassiker des ungarischen Kinos gilt. Erzählt wird darin eine Geschichte, die sich auf traditionelle Märchen und hunnische Sagen beruft:

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Ein Junge wird als Sohn der göttlichen weißen Stute geboren, ihre Milch gibt ihm seine übernatürlichen Kräfte. Im Lauf der Handlung lernt er seine beiden Brüder mit ebenfalls außergewöhnlichen Fähigkeiten kennen und begibt sich auf eine Reise in die Unterwelt, um dort drei Prinzessinnen zu retten.

Ein Soundtrack elektronischer Klänge gibt dem Geschehen sogar eine Anmutung von Science Fiction. Noch wichtiger ist natürlich die optische Gestaltung: ein temporeicher Rausch von Farben und Formen, die beständig ineinanderfließen und sich neu zusammensetzen. Die Formensprache ist teils ornamental verspielt, teils aber auch symbolisch zu verstehen: Rund um einen Baum des Lebens gruppieren sich hier immer wieder vaginale Formen, die an Geburt und Schöpfung erinnern (OmU, 26. 9., 14.30 Uhr, b-ware! Ladenkino).

Und noch einmal etwas völlig anderes: Seit den 1960er Jahren gehört der Italiener Marco Bellocchio zu den großen gesellschaftskritischen Regisseuren seines Landes. In „Il traditore“ erzählt er die wahren Begebenheiten beruhende Geschichte des Mafiaaussteigers Tommaso Buscetta (Pierfrancesco Favino), der in den 1980er Jahren dem berühmten Richter Giovanni Falcone Rede und Antwort stand und dabei erstmals umfassend das Schweigegelübde der sizilianischen Cosa Nostra brach.

Die Gespenster der eigenen Verbrechen

Seine Aussagen brachten schließlich über 300 Mafiosi hinter Gitter. Gefängnisse stehen denn auch im Mittelpunkt des Dramas: Die Mafiosi erlebt man bei verschiedenen Gerichtsprozessen eingesperrt in vergitterten Boxen, die an Käfige erinnern – tobend und geifernd, schimpfend und verwünschend, während sie feige alles abstreiten, was man ihnen zur Last legt. Und man sieht sie in ihren Einzelzellen auf und ab laufend wie Raubtiere mit Hospitalismus.

Buscettas Gefängnis hingegen ist gänzlich immateriell: ein einmal gewählter Lebensweg, der ihn nicht mehr loslässt, die Paranoia, dass irgendwo ein Mafiamörder auf ihn und seine Familie lauern könnte, die Gespenster der eigenen Verbrechen, die ihn verfolgen (OmU, 25. 9., 18 Uhr, Bundesplatz Kino).

Noch etwas Musik gefällig? Swing Jazz mit Glenn Miller? Die amerikanischen Biopic-Musicals waren ja immer berühmt dafür, dass sie es mit der Wahrheitstreue alles andere als genau nahmen. Insofern sollte man auch von Anthony Manns „The Glenn Miller Story“ keine Offenbarungen aus dem Leben des berühmten Orchesterleiters erwarten. Doch James Stewart pustet immerhin richtig herum in die Posaune – und macht auch sonst eine gute Figur in diesem Hollywoodklassiker mit überzeugendem Soundtrack (29. 9., 15.30, Bundesplatz-Kino).

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Lars Penning, geboren 1962. Studium der Publizistik, Theaterwissenschaft und der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der FU Berlin. Freier Filmjournalist. Buchveröffentlichungen: Cameron Diaz (2001) und Julia Roberts (2003). Zahlreiche filmhistorische und –analytische Beiträge für verschiedene Publikationen. Lebt in Berlin.

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