Die Kinder der Reichen: Erstarrt im Exzess
Mit ihrer Büchner-Adaption „Rich Kids“ kritisieren die Bremer Jungen Akteure in barocker Staffage die Online-Konsumwelt.
Der Raum ist schwarz und röhrenförmig. Ein Techno-Track läuft, schwarze Servietten bedecken den goldenen Boden. Sie erinnern an verkohlte Geldscheine. Im Hintergrund verloren tanzt ein Junge in weißer Unterwäsche. Ein Mädchen mit Blümchenleggins und dunkelrotem Spitzen-Stringbody beugt sich vorn über – und steckt sich den Finger in den Hals.
„Rich Kids“ beginnt in diesem „leeren Tanzsaal in meinem Kopf“, wie es in Georg Büchners Drama „Leonce und Lena“ heißt. Nach dem berühmten Zitat zu Beginn löst sich die sehr freie Adaption von Regisseurin Christiane Renziehausen und den Jungen Akteuren schnell von der Vorlage.
Das Stück wurde ohne Budget produziert, obwohl es doch von Übersättigung handelt und die vulgäre Wohlstandsgesellschaft karikiert. Lena schläft in pinken Dessous auf dem Boden, während Leonce seinen Kopf mit Pelzen umwickelt und hineinbrüllt. Sein Oberkörper zuckt, doch zu hören ist nichts. Und dann bleibt Leonce bis zum Ende regungslos und gefühlskalt.
Stadt der armen Kinder
Das experimentelle Stück feierte vergangenen Samstag Premiere am Goetheplatz – im Stadttheater des Bundeslandes mit der höchsten Kinderarmut in Deutschland. Zwei Tage später wird der Oxfam-Bericht für weltweites Aufsehen sorgen. Er besagt: 62 Menschen besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der gesamten Weltbevölkerung. Das Vermögen der steuerhinterziehenden Reichsten hat kosmische Dimensionen erreicht, das Leistungsprinzip gilt nicht mehr.
Schon bei Büchner steht, dass es nur vier Arten gebe, sein Geld auf „menschliche Weise“ zu verdienen: es finden, in der Lotterie gewinnen, erben oder stehlen. „Wer sein Geld auf eine andere Art erwirbt, ist ein Schuft.“
Wie Büchners Adel wissen diese reichen Kinder nicht, wie sie in ihre privilegierte Situation kamen. Sie wurden hineingeboren und genießen ohne Anstrengung. Das einzige, was sie noch antreibt, ist die Suche nach Liebe oder zumindest SexpartnerInnen, mit denen der Geschlechtsverkehr nicht „nach dem dritten Mal“ langweilig wird, wie sie aus Erfahrung sagen.
Gnadenlos und depressiv
Auf der Bühne wirken diese Figuren befremdlich, abstoßend und doch faszinierend. Die Widersprüchlichkeit einzufangen, gelingt dem Jugendensemble beeindruckend treffsicher: Mit monotonen Stimmen tragen sie ihre gnadenlose und depressive Sicht auf das Leben und ihre Mitmenschen vor, während sie sich zugleich erotische Streicheleinheiten gönnen.
Obwohl die Jugendlichen keinen äußeren Zwängen ausgesetzt sind, ist die Partnersuche schwierig – wenn nicht unmöglich. Leonces Begleiter war mit einer Prostituierten am glücklichsten und Lenas Freundin verabscheut die Armen. Sie versuchen zu fliehen: Lena träumt sich in den samtweichen Körper eines teuren Spitzhunds hinein und Leonce in seinen ausgeprägten Hang zu Schönberg, Wagner und zur Melodramatik. Aus dem gelangweilten Milieu aber finden sie doch nicht heraus. Der Reichtum ist die Grundlage ihrer Beziehungen und ihre einzige Gemeinsamkeit. Die Verkupplung von Leonce und Lena durch ihre Freunde wird zum Muss, die Liebe zum Automatismus.
Dekadenz und Gewalt
Nicht nur der gelegentlich zitierte Text stellt Bezüge zum historischen Kontext der Vorlage her: Die Tänzerin Rosetta erscheint in barocker Kleidung. Doch ihr Körper ist busenlos und männlich gebaut. Als Leonce ihren Rock fordert, wehrt sie sich zunächst, wird dann aber von seinem Begleiter zu Boden gebracht. Rosettas Körper fixierend lacht er nur, als Leonce sich auf sie setzt und seine Zunge lüstern zu ihrem Gesicht streckt. Dann zieht er ihr den langen Faltenrock aus, sodass männlich behaarte Beine in Strapsen und gerüschter Unterhose erscheinen. Dekadenz, Gewalt und die Auflösung der Geschlechter gehen Hand in Hand.
Das historisch scheinende Setting deckt sich mit der Online-Welt von heute: Lena hält einen langen Monolog über ihre letzte Shopping-Tour in Los Angeles und zitiert damit die so genannten Luxus-Haul-Videos, in denen junge Reiche in London oder New York bei Gucci oder Chanel einkaufen. Lena zeigt aber keine Modeartikel, sondern beschreibt die Stücke minutiös und fesselnd allein in Worten, während sich ihre namenlose Freundin auf dem Boden räkelt.
Ein wenig übertreiben sie es auf der Bühne mit dem Erstarren in Standbildern. Die SchauspielerInnen stehen nahezu ausschließlich en face, zu selten brechen Einzelne mit der Statik. Allerdings erinnern die Bilder auch gerade wegen dieser Künstlichkeit an Instagram, den derzeit beliebtesten Online-Dienst zum Teilen von Bildern. Und das ist die Bühne für die echten Reichen – und die deutlich größere Masse jener, die gern welche wären.
Konsumwelt Internet
Auch die „Rich Kids“ auf der Bühne sind den Durchschnittsjugendlichen deutlich näher als es zunächst scheint. Und eben darum ist das Stück auch trotz der extremen Überzeichnungen eine schmerzhafte Konfrontation mit der vorherrschenden Konsumideologie. Denn das Leben aller ist auf den Konsum und dessen Darstellung in den sozialen Medien ausgerichtet.
Der Ausdruck der eigenen Persönlichkeit wird größtenteils reduziert auf den exzessiven Kauf von Kleidung. Und dabei geht es um Quantität: Jahreszeiten, Trends, Feiertage – jeder Anlass verlangt das richtige Outfit, wie die Dezember-Kollektion von H&M oder die Youtube-Gigantin Bethany Mota im vergangenen Jahr gezeigt hat. Die Kleidung ist meist unfair produziert – und die Ästhetik des Reichtums vulgär.
„Rich Kids“ ist am 24., 27., 28. und 30. Januar um 19 Uhr im Brauhauskeller zu sehen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!