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Kochen fürs „Bergwaldprojekt“Die Hütte durchfüttern

Unser Autor hat eine Woche lang 20 Umweltschützer in den bayerischen Alpen bekocht. Dabei lernte er viel über Kreativität am Herd.

Das Küchenteam bei der Arbeit: Am Abend gibt es Kürbis-Graupenrisotto Foto: Frederik Kreß

Heiße Dampfschwaden stoßen unter dem klappernden Deckel des Kochtopfs hervor, der so groß ist, dass er gerade so unter die Dunstabzugshaube passt. Am Küchenschrank hängt provisorisch ein Becher mit Petersilie, darunter stapeln sich Mehl, Karotten und Ingwer neben einer leer getrunkenen Kaffeetasse. Es ist kurz nach halb sechs Uhr morgens, draußen ist es noch dunkel. Hinter einer weiten Almwiese baut sich eine hohe, mit einzelnen Fichten gesprenkelte Felswand der Nordalpen auf. Nach dem starken Regen der letzten Tage und dem ersten Schneefall prescht Wasser aus allen Felsspalten und stürzt hinab, ohne dass man sieht, wohin.

Max, ein Freund aus Berlin, tritt in die Küche und reißt mich aus meinen Gedanken. Was machen wir hier nochmal? Ach ja. Normalerweise arbeiten oder studieren wir im Bereich Informatik, aber jetzt stehen wir in einer Hüttenküche und bereiten gerade ein großes Frühstück vor: heißer Kaffee und Tee, Müsli, Brot, frisches saisonales Gemüse und viele Aufstriche. Eine Stunde später stolpern zwanzig hungrige Menschen aus ganz Deutschland noch etwas müde aus den Schlafsälen der oberen Etagen in den Aufenthaltsraum.

Wie wir sind sie Freiwillige für den Verein Bergwaldprojekt, der seit 1991 wochenweise Einsätze zum Schutz und zur Wiederherstellung der Ökosysteme in ganz Deutschland durchführt – zum Beispiel Moor-Wiedervernässungen oder, wie hier an der Nagelfluhkette in den bayerischen Nordalpen, Baumpflanzungen.

In den vorangegangenen Jahren waren Max und ich selbst noch als Teilnehmer mit im Einsatz und wurden bekocht. Inzwischen sind wir in die Küche gewechselt und sorgen dafür, dass der Rest des Teams sich auf die Arbeiten draußen konzentrieren kann. Also machen wir Frühstück, mittags eine wärmende Suppe für unterwegs und ein Abendessen mit Nachtisch. Manchmal backen wir auch Kuchen.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Die Einsamkeit genießen

Um sieben Uhr ist Abfahrt, davor wird es wie immer etwas hektisch: Während die einen noch abräumen und abspülen, rumpeln die anderen schon in voller Regenwettermontur durch den Flur und stellen ihre Hacken an die Wand. Max und ich haben die heiße Kartoffelsuppe in vorgewärmte Thermotöpfe gefüllt und übergeben sie an zwei Teammitglieder. Wir sind jetzt schon gespannt auf das Feedback am Abend.

Dann rollen auch schon die VW-Busse los, vollgepackt mit Menschen, Material und unserer Suppe. Jetzt ist es ganz ruhig. Erstmal durchatmen. Wir setzen uns vor der Hütte auf die Bank, genießen die Einsamkeit und wärmen uns schweigend in der herbstlichen Sonne. Dabei hören wir nur den kleinen Bach in der Nähe und grüßen gelegentlich Menschen auf Fahrrädern, die uns vielleicht für Älpler halten. Heute wird es nicht stressig, wir sind gut vorbereitet und müssen nur noch den letzten großen Einkauf der Woche planen.

Wer den ganzen Tag im Freien arbeitet, freut sich auf ein warmes Abendessen Foto: Bergwaldprojekt e.V.

Der erfordert Kreativität und Erfahrung. Elf Millionen Tonnen Lebensmittel wurden laut aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts im Jahr 2022 entsorgt. Durch eine Halbierung der Abfälle im Handel und Verbrauch könnten die deutschen Treibhausemissionen um zehn Prozent gesenkt werden. Für uns Motivation genug: Wir wollen alle sattmachen, aber trotzdem nichts auf den Kompost werfen. Bleibt doch etwas übrig, planen wir es wieder ein und verwerten es weiter. Gemüsereste vom Abendessen bringen dann zusätzlichen Gehalt in die „Waldsuppe“ des nächsten Tages, die übrigen Kartoffeln kommen ins Ofengemüse am Abend.

Max wirft einen Blick in den Kühlschrank: Der grüne Salat muss dringend weg, dann gibt es den geplanten Karottensalat eben erst morgen. Auch trinkt diese Gruppe gerne Kuhmilch im Kaffee, da sollten wir noch eine mehr besorgen.

Auf dem Weg in den nächstgrößeren Ort können wir schon österreichisches Radio hören, so nah sind wir an der Grenze. Nach einer Stunde Fahrt und einer weiteren Stunde im Supermarkt sind zwei Einkaufswägen gefüllt, darin unter anderem mehrere Kilogramm Brokkoli für eine Cremesuppe, lokales Bier für den Abend und Mehl für Dampfnudeln zum Nachtisch.

Lieber regionale Birnen

Wir müssen aber auch Kompromisse eingehen, denn gerade in ländlichen Regionen ist das Sortiment einfacher als in der Großstadt – was paradox wirkt, sitzt man doch so nah an der Quelle. „Birnen aus Südafrika. Im September?“, wundern wir uns und greifen auf regionale Birnen zurück, die dafür aber leider eingeschweißt sind. Unsere geplante Seidentofu-Schokoladenmousse wird leider nichts, wir müssen auf schlichtes Puddingpulver zurückgreifen.

Viele Lebensmittel gibt es zudem nicht in Bioqualität. Die ist aber angestrebt und erwünscht, denn gute und nachhaltige Verpflegung gehöre nun mal zum Küchenkonzept des Bergwaldprojekts, sagt Friederike Zingler-Methner, die die 35 Küchenleitungen des Vereins koordiniert. 35 Küchenleitungen bedeuten gleichzeitig 35 Ideen, wie und was man kochen kann.

Wo eine Suppe ist, ist auch ein Weg. Man braucht nur das richtige Equipment Foto: Bergwaldprojekt e.V.

Manche, wie ich, haben lange Einkaufslisten mit genauen Mengenangaben, andere lassen sich beim Einkaufen inspirieren und dosieren ihre Gerichte mehr so aus dem Handgelenk. Einige sind Amateure, andere haben bereits beruflich gekocht und wollen ihr Wissen nun für die gute Sache einsetzen.

Für alle gibt es außerdem eine gewisse Grundausstattung an Zutaten und Equipment, beispielsweise überdimensionale Kartoffelstampfer und einen gasbetriebenen Hockerkocher. Friederike Zingler-Methner kümmert sich darum, dass hier alle auf dem aktuellen Stand sind – beispielsweise beim Umgang mit dem neuen Hafermilchpulver oder der komplizierten Reinigung der Thermotöpfe. Dazu plant sie regelmäßige Austauschtreffen und hat entsprechend der Leitlinien des Vereins auch das Küchenkonzept weiterentwickelt. Das gibt unter anderem vor, dass jede Mahlzeit vegetarisch und so saisonal und regional wie möglich sein soll.

Manchmal sind TK-Beeren okay

Dabei kann sich im Herbst aber auch mal eine Packung Tiefkühlbeeren in den Nachtisch verirren, das Obstangebot ist zu dieser Jahreszeit nun mal eingeschränkt. „Ich bin dankbar, dass es nicht nur Kohl mit Kartoffeln gibt“, merkt eine teilnehmende Person augenzwinkernd an.

In jeder Projektwoche mit dabei sind auch Biokäseräder aus Baden-Württemberg, die immer wieder Anlass für Diskussionen sind. Denn die Produktion von Hartkäse benötigt je nach Standort und Herstellung vergleichsweise viele Ressourcen und verursacht dabei mehr Treibhausgasemission als Schweinefleisch. „Aber am Käse hängt das Bergwaldprojekt auch inhaltlich dran“, erklärt Friederike Zingler-Methner, „weil wir uns nicht nur um Wälder und Moore kümmern, sondern auch immer um Pflege von Offenlandflächen“.

In der traditionellen Landwirtschaft erhalten Schafe und Kühe diese besonders artenreichen Biotope durch ihre umfassende Beweidung. Das Bergwaldprojekt unterstützt diese landwirtschaftliche Arbeit, zum Beispiel durch das Entfernen von Büschen oder den Kauf von Käse.

Am späten Nachmittag kehrt das Leben zurück in die Hütte. Viele durchnässte Menschen laufen grüßend an der Küche vorbei oder schauen neugierig herein. Sie haben die letzten Stunden im Nieselregen Ahornbäume in den Alpenhang gepflanzt und stehen nun rotwangig im warmen Aufenthaltsraum und essen Nussecken.

Zeit, mit ihnen zu plaudern, haben Max und ich nicht, denn wir bereiten schon das Abendessen vor: sechs Kilo Kartoffeln mit noch mal so viel mariniertem Gemüse aus dem Ofen. Mitte September freuen wir uns über die letzten deutschen Zucchini, Blumenkohlköpfe, Fenchelknollen, Karotten und Porreestangen. Dazu gibt es selbst gemachten Humus und Kräuterquark.

Nicht immer gibt es fließend Wasser

Heute sind wir beide froh, gleich zwei große Gasöfen zu haben, denn so kann das Gemüse zeitgleich fertig werden. So gut ausgestattete und geräumige Großküchen sind nicht der Standard. In der Bergwaldprojektwoche bei Triberg im Schwarzwald ist es spartanischer, dort fehlt es sogar an fließendem Wasser und zum Kochen muss die Küchenhexe mit Brennholz geschürt werden. Noch extremer sind manche Zeltplätze ohne irgendeine Küche, mit einem Hockerkocher unter dem Pavillonzelt und dem nahen Bach als einziger Kühlmöglichkeit. „Flexibel bleiben“ lautet das Motto des Küchenteams und macht für viele auch den Reiz aus.

Bei uns in den Alpen zischt und brutzelt das Gemüse, den Rosmarin kann man bis in die oberen Stockwerke riechen. Der Humus steht angerichtet mit Kichererbsen und Olivenöl bereit. Langsam haben alle geduscht und der Aufenthaltsraum füllt sich wieder. Obwohl man bei der Hitze im Ofen Eisen schmelzen könnte, wird das Gemüse irgendwie nicht richtig durch. Heute müssen wir lernen, dass jeder Ofen anders ist. Zum Glück stört es niemanden, ein paar Minuten zu warten. Da bleibt uns noch Zeit, den grünen Salat mit der vorbereiteten Vinaigrette aus Sonnenblumenöl, Senf der lokalen Mühle und Apfelessig anzumachen.

Als das Essen endlich fertig ist, bildet sich schnell eine Schlange vor den Auflaufschalen und wir bekommen viele Fragen zur Zubereitung gestellt. Das freut uns natürlich, auch wenn es ja eigentlich nur Ofengemüse ist. Zugegeben, der Humus ist wirklich cremig. Mitglieder der Gruppe erzählen uns freudig, dass sie heute ein Auerhuhn gesehen haben. In solchen Momenten sind wir immer ein bisschen traurig, dass wir fast den ganzen Tag in der Küche stehen.

Während die Gruppe unterwegs ist, zischt und brutzelt in der Küche das Gemüse, den Rosmarin kann man bis in die oberen Stockwerke riechen

Es ist schön, der Gruppe beim Zusammenwachsen zuzuschauen, viel Platz für Individualismus bleibt nicht, wenn man jeden Tag zusammen isst, schläft und arbeitet. Jede Woche ist ein neues soziales Experiment. Obwohl wir draußen nicht mit dabei sind, wissen wir, dass hier jede Person gleich wichtig ist, unabhängig von ihrer Leistung oder der Rolle im Team.

Dann ist es Zeit für den Schokopudding. Weil so viele beim Abwasch helfen, können wir parallel die Minestrone – was viel schöner klingt als Restesuppe – für morgen vorbereiten. Um 21 Uhr ist Schluss für heute.

Max geht noch eine Runde Tischtennis spielen, ich setze mich auf ein Bier zu den anderen. Wirklich nur auf eins. Denn morgen früh geht der Wecker wieder um halb sechs.

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