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Die Hoffnung kommt aus Duisburg

Bärbel Bas soll Vorsitzende der SPD werden. Freundlich, nahbar, authentisch – viele Ge­nos­s:in­nen freuen sich auf die Neue. Aber kann sie auch Lars Klingbeil und die CDU in Schach halten?

Bärbel Bas, Bundes­arbeits­ministerin und bald SPD-Chefin, hier im Juni beim Tag der Jobcenter Foto: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Von Anna Lehmann und Stefan Reinecke

Christiane Benner wartet schon. Die Erste Vorsitzende der IG-Metall eröffnet am vorigen Dienstag den Sozialstaatskongress ihrer Gewerkschaft in Berlin. Und da kommt schon der Stargast he­ran­ge­rollt: Bärbel Bas steigt, nein, nicht von ihrer Harley, sondern aus der schwarzen Dienstlimousine: blond, athletisch, hüninnenhaft. Die beiden Frauen umarmen sich auf Augenhöhe. „Schön, dich zu sehen“, sagt Bas. – „Wie läuft’s?“, fragt Benner. – „Läuft“, antwortet Bas.

Bärbel Bas ist seit sechs Wochen Ministerin und leitet mit dem Arbeits- und Sozialministerium ein Haus, das wie kein anderes den Wesenskern der Sozialdemokraten verkörpert: gute Arbeit, soziale Gerechtigkeit. Geht alles nach Plan, wird sie Ende Juni auf dem Parteitag zur Vorsitzenden der SPD gewählt und steigt damit nicht nur zur mächtigsten Frau in der Sozialdemokratie, sondern in ganz Deutschland auf. Das weibliche Gegengewicht zur Machtmaschine Lars Klingbeil, der im Doppel mit Bas für den Parteivorsitz antritt.

Und sie wird die einzige Frau im Koalitionsausschuss sein, jenem informellen Gremium unter Leitung des Kanzlers, das wichtige exe­ku­ti­ve Entscheidungen zwischen den Koalitionspartnern vorbereitet. Läuft also.

Die Erwartungen an Bas sind jetzt schon gewaltig. Die Arbeitertochter aus dem Ruhrpott soll den Sozialstaat, die letzte Bastion der SPD, gegen die Spahns und Linnemanns in der CDU verteidigen.

„Als Arbeits- und Sozialministerin wird sie unsere Punkte nach vorn tragen. Das Tariftreuegesetz, den Mindestlohn, die nötigen Sozialstaatsreformen – all das wird eine sozialdemokratische Handschrift tragen“, ist Dagmar Schmidt überzeugt. Die Fachfrau für Arbeit und Soziales ist wie Bas Parteilinke und vertritt deren Themen im Parlament. Gleichzeitig soll Bas die SPD wieder hochpäppeln. Für die einstige Volkspartei stimmten im Fe­bruar nur noch 16,4 Prozent der Wählenden. Gerade Arbeiter:innen, die einstige Kernklientel, zog es in Scharen zur AfD.

Fragt man in der SPD vom Rhein bis an die Spree, ob Bas der doppelten Mammutaufgabe gewachsen sei, heißt es einhellig: „Wer, wenn nicht sie?“ Sie sei authentisch, nahbar, pragmatisch, auch unter Stress freundlich – einfach „super“.

Und ihre Schwächen? Tja, da falle einem gerade gar nichts ein, ver­sichern sämtliche Ge­sprächs­part­ner:in­nen. Angesichts der Schwäche der SPD wird Bas zur Heilsbringerin. Zu einer, an die man glaubt.

Wenige Stunden zuvor war Bas an diesem Dienstag beim Tag der Jobcenter, einer Mischung aus Infobörse, Meinungsaustausch und Empowerment für Mitarbeiter aus ganz Deutschland. Die Moderatorin bleibt auf der Bühne mit ihren Stöckelschuhen hängen. Bas sagt: „Ich weiß, warum ich immer flache Schuhe anhabe.“

Sie wollte ja technische Zeichnerin werden. Jetzt ist sie Ministerin. Was da schiefgelaufen sei, fragt die Moderatorin. Bas antwortet mit tiefer Stimme: „Ich habe immer gemacht, was auf mich zugekommen ist.“ Das ist, knapp zusammengefasst, die Karriere von Bärbel Bas. Vater Busfahrer, Mutter Hausfrau. Nach dem Hauptschulabschluss besuchte sie zunächst eine Berufsfachschule. „In dieser Zeit habe ich das Schweißen gelernt und konnte perfekt einen U-Stahl feilen“, schreibt Bas über sich selbst. Nach 80 Absagen machte sie eine Ausbildung zur Bürogehilfin, wurde Sachbearbeiterin, dann Krankenkassenbetriebswirtin, später studierte sie auf dem zweiten Bildungsweg und leitete dann den Personalservice bei einer Betriebskrankenkasse. Von weit unten nach oben, ohne Universität und Doktortitel. Das ist längst keine typisch sozialdemokratische Bilderbuchkarriere mehr. Es ist in der SPD-Welt voller Juristen und Politikwissenschaftler die Ausnahme.

Mit ihrem Auftreten und ihrer Biografie könne Bas wichtige Wäh­le­r:in­nen für die SPD zurückgewinnen, hofft der Generalsekretär der SPD, Tim Klüssendorf, der auf dem Parteitag ebenfalls offiziell ins Amt gewählt wird.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Bas war mangels Alternativen die einzige Frau, die infrage kam und ein Gegengewicht zum macht­taktisch versierten Klingbeil an der Parteispitze sein konnte. Mi­nis­ter­prä­si­den­t:in­nen wie Anke Rehlinger und Manuela Schwesig winkten ab, andere Interessentinnen wurden erst gar nicht gefragt.

Klüssendorf formuliert es di­plo­matischer: „Wenn es jemanden gibt, der mit Lars Klingbeil auf Augenhöhe zusammenarbeiten kann, dann ist es Bärbel Bas. Sie vertritt Nordrhein-Westfalen und die parlamentarische Linke und hat eine breite Basis, die hinter ihr steht. Damit hat sie die gleiche Hausmacht wie Lars.“ Klingbeil gehört zum konservativen Flügel der SPD, dem Seeheimer Kreis, kommt aus Niedersachsen und ist bestens vernetzt in der Partei. „Wenn man in Duisburg groß wird, kann man sich durchsetzen“, hofft Frederick Cordes, Generalsekretär der nordrhein-westfälischen SPD, der Bas seit 15 Jahren kennt.

Ganz so sicher ist das jedoch nicht. Klingbeil ist Vizekanzler und hat alle Personalentscheidungen eingefädelt. Bas, so ein erfahrener Sozialdemokrat, habe das Amt letztlich ihm zu verdanken. Wie harmonisch beide zusammenarbeiten, wird entscheidend für die Popularitätskurve der SPD. Weiter abwärts oder wieder ein Stückchen bergauf?

Bas’ politische Kurve zeigte bisher nur nach oben. 2009 wurde sie zum ersten Mal in den Bundestag gewählt, als Direktkandidatin der SPD im Wahlkreis Duisburg I. Seitdem gewann sie den Wahlkreis viermal in Folge. 2021 nahm ihre Kar­riere in Berlin richtig Fahrt auf. Lars Klingbeil wollte Rolf Mützenich nicht als Bundestagspräsidenten. Und eine Frau wäre auf dem Posten doch eine gute Idee. So bekam sie das formal zweitmächtigste Amt im Staat. Kann sie das?, fragten auch manche in der SPD. Bas konnte, führte das Amt sachlich und robust. Sie war da, machte, was auf sie zukam, und das gut.

Vier Jahre später lief es ähnlich. Mit Arbeitsminister Hubertus Heil war ein Niedersachse zu viel im Kabinett. Doch wer sonst konnte das Amt ausfüllen? Bärbel Bas. So wurde die Frau aus NRW seine Nachfolgerin. Cordes sagt: „Sie ist keine Strippenzieherin, keine, die sich in Position bringt.“ Anders gesagt: Bas organisiert sich nicht wie Klingbeil die Macht. Sondern ist verlässlich zur Stelle, wenn irgendwo Not am Mann ist. So scheint es.

Sie kann aber auch anders. Auf dem Weg in den Bundestag knallte es bei der SPD in Duisburg. Bas versuchte schon 2005, Petra Weis, damals Bundestagsabgeordnete für den Duisburger Süden, zu verdrängen, und scheiterte knapp. 2009 kam es wieder zur Kampfabstimmung, Bas boxte ihre Konkurrentin aus dem Feld. Sie kann also durchaus Ellbogen ausfahren – und wartet nicht nur, was so vorbeisegelt.

Die Ellbogen wird sie in der nächsten Zeit brauchen. Als Ministerin muss sie das Bürgergeld, einst Stolz, dann Schmach der SPD, reformieren. Der Parteilinke Klüssendorf hofft, „dass nicht der gesamte Charakter der Reform umgedreht wird“. Bas hat angekündigt, dass sie Menschen, die Termine schwänzen, härter sanktionieren will. Außerdem will sie den „mafiösen Strukturen“ im Bürgergeld den Kampf ansagen. Gemeint sind nach Auskunft ihres Ministeriums Netzwerke, die Menschen aus Rumänien und Bulgarien nach Deutschland holen, sie in geringfügigen, zuweilen nur fingierten Beschäftigungsverhältnissen anmelden und ihre aufstockenden Sozialleistungen einsacken. Für den Vorsitzenden der SPD in NRW, Achim Post, spricht Bas das aus, was viele im Ruhrgebiet denken. Auch den Segen der Koali­tionspartner CDU und CSU hätte sie sicher.

Die Arbeitertochter aus dem Ruhrpott soll den Sozialstaat, die letzte Bastion der SPD, gegen die Spahns und Linnemanns in der CDU verteidigen

Anders sieht es bei der Erhöhung des Mindestlohns, der Ausweitung der Arbeitszeit oder der Zukunft der Rente aus. Hier liegen Union und SPD zum Teil meilenweit auseinander. Die SPD hat 15 Euro Mindestlohn im Wahlkampf versprochen, im Koalitionsvertrag einigte man sich darauf, dass die Kommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern entscheidet. Was aber, wenn die Ende Juni zu einem weit niedrigeren Ergebnis kommt? „Dann muss das politisch entschieden werden“, findet Post. Die Union sieht das aber anders. Und Bas? „Ich bin schon sehr daran interessiert, mit den Sozialpartnern gemeinsame Lösungen zu finden“, meint sie bei der IG Metall. Das klingt eher nicht nach Ellbogen.

Gemeinsame Lösungen werden auch bei der Rente schwer zu finden sein. Die SPD will die gesetzliche Rente stärken, die CDU die kapitalgedeckte Altersvorsorge. Bas hat vorgeschlagen, dass auch Beamte in die Rentenkasse einzahlen sollen. Die Kritik folgte sofort, Union und der Deutsche Beamtenbund wetterten gegen die „Zwangs-Einheitsversicherung“.

Ein strategischer Schachzug war Bas’ Vorstoß eher nicht. Vor den Jobcentermitarbeitern sagt sie, dass sie nach der diplomatischen Zeit als Bundestagspräsidentin mal „ausprobieren wollte, konfrontativ zu sein“. Man wird sehen, ob die Art, spontanen Eingebungen zu folgen, sich im Job der Arbeitsministerin auszahlt. Später, bei den Metallern, legt Bas nach. Ihr Ziel sei eine Erwerbstätigenversicherung, in die alle einzahlen: Beamte, Selbstständige, Abgeordnete. „Das ist ein Gerechtigkeitsthema.“ Sie muss das zunächst nicht selbst entscheiden, sondern will eine Kommission einberufen, die Vorschläge erarbeiten soll. Noch mal Glück gehabt also – Konfrontation ja, aber mit Ausweichstelle. Dennoch ist sich Bas sicher: „Es wird noch großen Streit gerade in meinem Feld geben.“

Bei der IG-Metall stärkt man ihr den Rücken. Ein Gewerkschaftsfunktionär aus Duisburg drückt Bas seine Karte in die Hand: „Wenn es mal Stress mit Merz gibt, dann melde dich. Bei uns hast du Rechtsschutzversicherung.“

Eine Rückversicherung als SPD-Vorsitzende hat Bärbel Bas allerdings nicht. Nicht das geballte ­Wohlwollen der Genoss:innen, ­sondern die Wahlergebnisse werden der Maßstab, an dem man sie misst.

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