Die Fehler des US-Flugzeugsbauers: Boeings kulturelles Desaster
Manager haben nicht auf die Warnungen ihrer Testpiloten gehört. Sie hielten blind an ihren Zielvorgaben fest.
E s war eine Form der Realitätsverweigerung: Obwohl keine neuen Bestellungen mehr für das Katastrophenflugzeug 737 Max hereinkamen, hat Boeing die Maschinen weiterproduziert. Die Nachricht vom Produktionsstopp entspricht daher zunächst einem Eingeständnis der wahren Ausmaße des Problems. Denn anders als anfangs versichert, geht es nicht um eine Softwarepanne. Das Unternehmen hat ein grundlegendes Problem damit, wie es Flugzeuge entwirft und baut.
Der Verdacht der Schlamperei kam schon kurz nach den Abstürzen in Indonesien und Äthiopien auf. Doch Experten und Öffentlichkeit zeigten sich zunächst ungläubig. Wie kann es denn sein, dass ausgerechnet der Entwurf eines Verkehrsflugzeugs kaum wirklich geprüft wurde? Welches Unternehmen würde es wagen, die Sicherheit von Menschen aufs Spiel zu setzen, um Kosten zu sparen oder um sich die Arbeit leichter zu machen?
Wie im Fall der japanischen Atomindustrie, die mit Fukushima Daiichi ein veraltetes Kraftwerk an einer unsicheren Stelle trotz alarmierender Gutachten einfach weiterbetrieben hat, ist das Undenkbare dennoch geschehen. Mitarbeiter haben sich in internen E-Mails offenbar schon vor dem ersten Absturz über die grundsätzliche Unsicherheit der eigensinnigen Flugsteuerung ausgetauscht. Die Manager haben jedoch nicht auf die Warnungen der eigenen Testpiloten gehört. Sie haben blind an ihren Zielvorgaben festgehalten.
Es geht für Boeing nun nicht mehr darum, ein technisches Problem zu lösen, sondern ein kulturelles. Der Fokus auf den Menschen war dort zum Lippenbekenntnis geworden. Die eigenen Mitarbeiter haben die Gefahren nicht mehr ernst genommen. Wer die Risiken kannte, durfte nicht offen kommunizieren.
Die Genehmigungsbehörden müssen die Firmen daher künftig viel härter anfassen. Vertrauen gegenüber der Industrie war nie gut, doch wo es um Massenverkehrsmittel geht, ist strenge Kontrolle die einzige Option. Hier ähnelt das Flugzeugdesaster dem Dieselskandal: Die Aufseher haben den Herstellern zu sehr vertraut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken