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Dramedy „Die Farben der Zeit“Mit Ayahuasca ins neunzehnte Jahrhundert reisen

Cédric Klapischs Spielfilm „Die Farben der Zeit“ erzählt auf zwei historischen Ebenen von Feminismus und der Ambivalenz von technischen Innovationen.

Schöne Farben der Zeit: Adèle (Suzanne Lindon) in Paris Foto: Studiocanal

Alles beginnt mit einem Renoir. Eine Influencerin wird vor dem Gemälde des impressionistischen Malers gefilmt, achtet aber vor allem darauf, dass ihre Klamotten sitzen und ihre „Moves“ stimmen. Der Hintergrund ist ihr egal. Im Laufe des Films von Cédric Klapisch wird der Maler noch eine Rolle spielen, ebenso wie Hintergründe. Denn das Bild mit seinen Tupfern, Farben und seiner Raumaufteilung erzählt eine Geschichte und gibt etwas weiter.

Mit einer ähnlichen Konstellation im echten Leben werden auch ein paar Dutzend Menschen in „Die Farben der Zeit“ konfrontiert. Per Gentest wurde ermittelt, dass sie alle entfernt miteinander verwandt sind. Von ihrer gemeinsamen Vorfahrin Adèle, die 1873 in der Normandie geboren wurde, haben sie ein seit 1944 leerstehendes Haus geerbt.

Vier Ver­tre­te­r*in­nen der erweiterten Familie – der Content-Creator Seb, der Imker Guy, die Geschäftsfrau Céline und der Lehrer Abdel – sollen über die Zukunft der Immobilie bestimmen. In dem verfallenen Gebäude inmitten der normannischen Pampa finden sie eine Menge vergilbter alter Fotos, aber auch Briefe vor.

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Bald erforschen indes nicht nur die Nachfahren, sondern auch die Zu­schaue­r*in­nen die Vergangenheit ­Adèles (Suzanne Lindon) und entdecken in Rückblenden ins Jahr 1895 ihren Werdegang. Die junge Frau fährt mit dem Seine-Dampfer nach Paris, um ihre Mutter Odette zu finden, die sie als Baby weggegeben hatte.

Das Treffen ist enttäuschend

Das Zusammentreffen mit Odette (Sara Giraudeau) erweist sich (zunächst) als Enttäuschung. Denn sie ist Prostituierte in einem Nobelbordell. Trost findet die geschockte Tochter bei Anatole und Lucien, zwei jungen Künstlern, die sie auf der Reise kennengelernt hat und denen sich in Paris ganz neue Perspektiven eröffnen.

So springt der Film zwischen beiden Zeitebenen hin und her und bebildert Fotos oder Briefe, die die Erben im Jetzt studieren. Die historische Ebene erweist sich als die deutlich spannendere in der Historiendramödie. Der Kontrast Stadt/Land und die Metropole Paris als Verheißungsort voller Leben, Innovationen und wahr werdender Träume werden hier sehr anschaulich in Szene gesetzt.

Der Montmartre, auf den es die drei jungen Figuren verschlägt, hatte damals noch ein sehr ländliches Flair. Das sorgt beim Publikum von heute für Erstaunen, lindert aber auch die Anlaufschwierigkeiten der drei Provinzler*innen. Zwar ist die Betrachtung des Paris von 1895 mit ihrer Prise Feminismus und ihrem Herzen für Künstler und Ausgestoßene eine recht heutige.

Doch die Identifikation mit Adèle samt Neugierde auf ihre Lebensentscheidungen funktioniert deutlich besser als die Zeichnung der Figuren von 2025. Dominieren auf der Historien­ebene Tatendrang und Ent­deckergeist, belässt es die Interaktion zwischen den neuen Verwandten im Jetzt bei geschwätziger Selbstanalyse und Idealismus.

Die Parallelen der Epochen

Doch Regisseur Klapisch kommt es vor allem auf die Parallelen zwischen den beiden Epochen an. Fotograf Lucien glaubt anno 1895, dass sich die Malerei seines Freundes Anatole bald erübrigen wird. Doch dieser wird Impressionist. Eine technische Revolution jagt während des Fin de Siècle die nächste. Im Heute dagegen entdeckt Seb die Oberflächlichkeit der sozia­len Medien, entbrennt für die „wahre“ Kunst und bewundert „nützliche“ Berufe wie den von Lehrer Abdel.

Die Farben der Zeit

Regie: Cédric Klapisch. Mit Suzanne Lindon, Abraham Wapler u. a. Frankreich/Belgien 2025, 126 Min.

Die Forschung nach ihrer Herkunft beschäftigt Adèle ebenso wie die Verwandten im Heute, die in einer lustigen Szene per Ayahuasca-Drogen-Trip im 19. Jahrhundert auf einer mondänen Party landen – wobei Céline von Victor Hugo höchstpersönlich angebaggert wird.

So erweist sich „Die Farben der Zeit“ als doppelte Erforschung der Herkunft und als Reise in eine Zeit voller Déjà-vus: Der Film suggeriert, dass die Belle Époque eine ähnlich bahnbrechende Epoche gewesen sei wie die post­analoge Zeit heute. Der Twist am Ende wiederum wirkt wie aus einem Groschenroman, wie man ihn heute kaum noch findet.

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