: Die ErbenzurKassebitten
Unternehmenserben in den Haushalt zahlen zu lassen, ist lange überfällig. Wichtig ist, den Leistungsanreiz hochzuhalten, auch wenn Subventionen abgebaut werden
Von Helmut Däuble
Beim angekündigten „Herbst der Reformen“ steht die Union der Forderung ihres Koalitionspartners SPD unerwartet offen gegenüber, auch von Vermögenderen mehr Abgaben einzufordern. Dies kann als Ausgleich für die Zustimmung zu Einsparungen im Sozialbereich gedeutet werden. So hat der Unionsfraktionschef Jens Spahn unlängst bei Maybritt _Illner die Situation kritisiert, dass in den letzten Jahren „Vermögen eigentlich ohne größeres eigenes Zutun von alleine fast gewachsen ist“, daher die gegenwärtige Vermögensverteilung „so nicht in Ordnung ist“ und dass die Frage sei, „wie man auch da eine größere Gerechtigkeit herstellen kann“.
Solche Worte waren in den letzten Jahrzehnten von der Union so gut wie nie zu hören. Spahns Hinweis auf eine anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu einer notwendigen Reform der Erbschaftssteuer gab auch die Stoßrichtung vor: Die Union wird sich im Gegensatz zur FDP in der Ampelkoalition nicht mehr schützend vor Firmenerben stellen. Diese angekündigte Kehrtwende, Unternehmenserben zur Finanzierung der staatlichen Aufgaben einzubinden, ist notwendig und längst überfällig. Allerdings birgt sie Gefahren, Reformen so zu beschließen, dass die negativen Nebenfolgen gravierend sein können.
Um was geht es konkret? Aus sehr guten Gründen gibt es gegenwärtig in Deutschland eine legale Möglichkeit für Firmenerben, die darauf eigentlich anfallende Erbschaftssteuer zum Teil drastisch reduziert zu bekommen. Die beiden Redakteure Bastian Brinkmann und Claus Hulverscheidt verweisen in ihrem Beitrag vom 6. August 2024 in der Süddeutschen Zeitung darauf, dass von 2,1 Milliarden Steuerforderung an die „reichsten Firmensprösslinge“ von diesen nur 6,3 Millionen bezahlt werden mussten, was einem „Rabatt von sagenhaften 99,7 Prozent“ entspricht.
Dieser massive Steuernachlass muss im Grunde genommen als eine wohlbegründete Subventionierung verstanden werden. Es liegt natürlich im allgemeinen Interesse, dass bei der Vererbung einer Firma über Nachlasssteuern nicht die Leistungsfähigkeit der Firma selbst massiv in Mitleidenschaft gezogen werden darf. Sollten solche direkt erhobenen und eingezogenen Firmenerbschaftssteuern die Innovations- oder die Investitionskraft einer Firma schmälern, dann wäre damit die langfristige Konkurrenzfähigkeit der Firma und damit auch der Erhalt und/oder der Aufbau von Arbeitsplätzen gefährdet. Dazu kommt der psychologische Effekt: Nimmt man Familienunternehmern die Chance, ihr aufgebautes Betriebsvermögen uneingeschränkt an die nächste Generation weiterzugeben, sinkt deren Leistungsmotivation. Fest steht: Niemand hat ein Interesse an einer im Ergebnis verringerten wirtschaftliche Dynamik.
Eine Debatte über die Reduzierung der gewährten Rabatte und über eine damit verbundene Subventionsverringerung führt zu einem vermeintlichen Dilemma: Hat zur Mittelbeschaffung für notwendige Staatsausgaben das Wohl der übertragenen Firmen samt Arbeitsplätzen Vorrang oder ist das Einbeziehen „stärkerer Schultern“ wichtiger, also derjenigen, die oft leistungslos durch Erbschaft zu größerem Besitz gekommen sind?
Tatsächlich ließen sich beide Ziele durchaus erfolgreich verbinden, wenn die Subventionsreduzierung so gestaltet wird, dass ein nachhaltiger Leistungsanreiz beibehalten bleibt. Eine mögliche Antwort finden wir erstaunlicherweise bei Helmut Kohl. Unter seiner Federführung wurde als eine der ersten Maßnahmen der neuen gelb-schwarzen Koalition 1983 der Bezug von Schüler- und Studentenunterstützung grundlegend geändert. Wer sogenanntes BAföG brauchte, bekam das nur noch als Volldarlehen. Vorher war es im Wesentlichen als nicht zurückzahlbarer Zuschuss gewährt worden. Diese Reform ist mit der gegenwärtigen Erbschaftssteuerdebatte durchaus vergleichbar: Es wurde eine drastische Reduzierung einer wohlbegründeten Subvention („Chancengleichheit“) umgesetzt. Und aus Kohl´scher Sicht war dies aus guten Gründen dringend notwendig („Leistungsansporn“).
Ergänzend dazu gab es daher einen leistungsorientierten Rabattkatalog aus vier Einzelnachlässen. Über diese konnte die Schuldenlast erträglicher gemacht werden und fast der ganze Kredit zu sehr guten Bedingungen getilgt werden. So erhielt ein BAföG-Empfänger erstens bis zu 50 Prozent Nachlass, wenn er die Schulden auf einen Schlag zurückzahlen konnte. Absolventinnen und Absolventen, die zu den 30 Prozent der Besten ihres Jahrgangs gehörten, konnten zweitens eine Kreditreduzierung von bis zu einem weiteren Viertel der Schuldensumme bekommen. Waren sie vier Monate vor der Förderungshöchstdauer mit dem Examen fertig, so gab es drittens einen weiteren Erlass von bis zu 5.000 Mark und viertens gab es noch Rabatte durch Erlass der Rückzahlraten während der Kinderbetreuung.
Wer für eine solche vergleichsweise überschaubare Subventionssumme einen solchen Aufwand samt Leistungskatalog betrieben hat, sollte heute nicht davor zurückschrecken, einen wesentlich höheren Subventionsbetrag leistungsorientiert umzugestalten. Wie beim Kohl’schen Leitfaden könnte eine Bezahlung der vollständigen Erbschaftssteuer auf Firmenerbschaften vermieden werden, wenn bestimmte Leistungen nachgewiesen werden. Die Unternehmenserben müssten dazu eine transparente und verlässliche Liste der Rabattbedingungen erhalten und selbst entscheiden, welche der Discountwege sie gehen wollen und welche nicht.
Würden die Erben nach einer vermögens- und betriebswirtschaftlichen Prüfung zu der Einschätzung kommen, dass das Geld für die Steuerzahlung aufgebracht und dem Finanzamt auf einen Schlag übergeben werden kann, so würde das mit einem massiven Nachlass belohnt werden. Bei der Kohl’schen BAföG-Reform gab es mit einem Discount von bis zu 50 Prozent einen effizienten Anreiz. Diese Form der Rabattierung müsste abgestuft auch in Folgejahren möglich sein.
Umgekehrt würde allerdings eine Entscheidung der Unternehmenserben, die Steuern zum Erhebungszeitpunkt nicht leisten zu können oder zu wollen, dazu führen, dass der Staat zum stillen Teilhaber der Firma avanciert – unter Beibehaltung der unternehmerischen Freiheit. Hätte etwa der festgesetzte Erbschaftssteuersatz 15 Prozent betragen, wäre der Staat dann mit jenem Satz Anteilseigner der Firma mit entsprechender Gewinnbeteiligung. Ob sich eine Verlustbeteiligung ausschließen ließe, ist eine offene Frage. Eine Kombination aus rabattierter Rückzahlung und Teilhaberschaft des Staates wäre dabei selbstverständlich möglich.
Eine abgestufte Minderung der Erbschaftssteuer oder gegebenenfalls der prozentualen stillen Teilhabe ließe sich zudem durch zahlreiche, politisch gewollte „Leistungen“ ermöglichen. So könnte eine Erhöhung der Zahl der Arbeitsplätze im Unternehmen oder der Bau und dauerhafte Unterhalt von Werkswohnungen oder von Wohnungen für sozial Bedürftige oder die Einrichtung von betrieblichen Kindertagesstätten einen solchen reduzierenden Effekt haben. Ebenso möglich wäre etwa eine Reduzierung durch den Nachweis, dass politisch vorgegebene Schritte hin zur Klimaneutralität und zu ökologischem Wirtschaften aus eigenem Antrieb und wesentlich schneller als gesetzlich vorgeschrieben, eingeleitet werden. Eine Verringerung des CO2-Ausstoßes über das ohnehin verordnete Maß hinaus, Nachhaltigkeitsmaßnahmen, die nicht vom Staat eingefordert werden, würden sich für die Unternehmenserben als Senkung einer als zu hoch erachteten Erbschaftssteuerlast bzw. als Rückabwicklung der so wahrgenommenen Zwangsteilenteignung lohnen.
Man darf nicht unterschätzen, wie effizient Unternehmer werden können, wenn sich für sie daraus Zugewinnmöglichkeiten in Form von geringeren Steuern oder dem Abschütteln von Staatsbeteiligungen ergeben. Zugleich wäre allerdings dafür zu sorgen, dass steuerreduzierende Leistungen konkretisiert und vereinfacht überprüft werden müssten, um kein Monster einer neuen ausufernden Finanzamtsbürokratie zu schaffen. Solche Leistungen ließen sich auch ohne generelle Nachweispflichten bürokratiesparsam einfordern: Sie müssten dem Finanzamt als „erfüllt“ rückgemeldet und nur stichprobenartig überprüft, im Nichterfüllungsfall allerdings als Steuerbetrug hart geahndet werden.
Dass sich insbesondere der „Verband der Familienunternehmer“ in den nächsten Wochen und Monaten vehement gegen eine Abschaffung dieser langjährigen Subventionspraxis mit aller Lobbymacht zur Wehr setzen wird, ist abzusehen. Schaut man sich allerdings an, wie weit führende Politiker der Union – Spahn ist hier nur die Speerspitze – von der früheren Überzeugung Abstand nehmen, dass an dieser alten Form der Subventionierung von Firmennachlässen festgehalten werden soll, dann wären die Lobbyisten gut darin beraten, sich konstruktiv an der Debatte zu beteiligen. Eigene Vorschläge, welche Leistungen denn zukünftig zu erbringen wären, um wenigstens einen Teil der Privilegien zu konservieren, würden durchaus sinnvoll sein. Denn in der Tat: Eine Reform, die zu einer unverhandelbaren Vollerhebung der Firmenerbschaftssteuern führte, würde zu den beschriebenen negativen Folgen führen, allen voran eine reduzierte Konkurrenzfähigkeit. Diese könnten durch die beschriebenen hohen Rabatte auf die Steuerlast vermieden werden.
Man kann den einschlägigen Verbändennur die Einsicht in ihr wohlverstandenes Eigeninteresse wünschen und hoffen, dass sie nicht in einer Totalblockade verharren, sondern am Modell eines leistungsorientierten Subventionsabbaus mitarbeiten. Das wäre ein notwendiger Sprung über ihren eigenen Schatten.
Wer hätte gedacht, dass in diesem Reformherbst ein Von-Kohl-Lernen das Gebot der Stunde sein könnte.
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