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Die EU und der Fall SkripalUneins und gespalten

Nach der Ausweisung russischer Diplomaten hat am Dienstag auch die Nato Sanktionen verhängt. Andere Länder weigern sich jedoch.

Ein Mann läuft vor der russischen Botschaft in Berlin entlang. Auch Deutschland wies Diplomaten aus Foto: dpa

BRÜSSEL taz | Die koordinierte Massenausweisung russischer Diplomaten aus zahlreichen EU-Staaten – darunter Deutschland und Frankreich – hat ein diplomatisches Nachspiel. Am Dienstag gerieten jene Mitgliedsländer unter Druck, die sich nicht bereits am Montag an der Aktion beteiligt hatten, mit der die EU ihre Solidarität mit Großbritannien im Fall Skripal bekunden will. Zugleich muss sich EU-Ratspräsident Donald Tusk rechtfertigen.

Tusk hatte am Montag am Rande eines Treffens mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Bulgarien angekündigt, dass jetzt ein Beschluss des EU-Gipfels vom Freitag umgesetzt werde. Da hatten die 28 EU-Staaten Russland für den Nervengiftangriff auf den Ex-Agenten Sergei Skripal und seine Tochter Julia im englischen Salisbury am 4. März verantwortlich gemacht und mögliche Sanktionen angekündigt. Allerdings beteiligten sich daran am Montag zunächst nur 14 EU-Staaten.

Tusk sprach also nicht für die gesamte EU, wie es sein Amt eigentlich vorschreibt – sondern nur für einen Teil, zunächst sogar nur für die Hälfte der Mitgliedstaaten. Zu den „Verweigerern“ gehörten nicht nur das neutrale und von Russland-freundlichen Rechten regierte Österreich. Auch Belgien zog nicht sofort mit, obwohl die EU und die Nato ihren Sitz in Brüssel haben.

Die EU wirkte uneins und gespalten – und versucht nun, die Reihen wieder zu schließen. Die „Verweigerer“ geraten unter Druck, ebenfalls russische Diplomaten auszuweisen. Einige Länder ziehen auch tatsächlich nach, allerdings eher symbolisch. So will Irland offenbar nur eine einzige Person ausweisen.

Denn die Aktion ist noch nicht vorbei. Tusk schloss „zusätzliche Maßnahmen“ ausdrücklich nicht aus. Allerdings dürften sie genau wie die Ausweisungen vom Montag auf Absprachen zwischen einzelnen Regierungen beruhen. Einen klaren EU-Beschluss für offizielle Sanktionen gibt es nämlich nicht. Mit ihrem Vorgehen gegen Russland setzen sich Tusk und die beteiligten EU-Staaten über die bisher gültigen Regeln der gemeinsamen Außenpolitik hinweg, die in wichtigen Fragen Einstimmigkeit vorsehen – oder zumindest eine qualifizierte Mehrheit.

Juncker in Außenseiter-Rolle

Dies führt auch zu Verwirrung in Brüssel. So wurde die eigentlich für die EU-Außenpolitik zuständige Außenbeauftragte Federica Mogherini, eine Gegnerin von Strafmaßnahmen gegen Russland, an den Rand gedrängt; sie schwieg am Dienstag zu den Vorgängen.

Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gerät in eine Außenseiterrolle. Anders als Tusk hatte Juncker vergangene Woche dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu dessen Wiederwahl gratuliert und sich für ein Ende der Eiszeit ausgesprochen. „Unser gemeinsames Ziel sollte die Wiederherstellung einer kooperativen paneuropäischen Sicherheitsordnung sein“, so Juncker in seinem Brief an Putin. Davon ist nun keine Rede mehr.

Am Montag hatten sich auch andere Länder wie Australien sowie die USA der konzertierten Aktion angeschlossen: Insgesamt 60 russische Diplomaten müssen binnen einer Woche die USA verlassen. Ein russisches Konsulat in Seattle wird geschlossen. Die USA weisen damit mehr russische Diplomaten aus als alle EU-Staaten außerhalb Großbritanniens zusammen.

US-Präsident Donald Trump stand zuletzt unter Kritik, weil auch er Putin telefonisch zur Wiederwahl gratuliert hatte. Zu den neuen Maßnahmen äußerte er sich nicht persönlich. Das führte in den Medien zu Spekulationen über eine politische Spaltung der US-Führung. Darüber frustriert äußerte sich Michael Anton, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, gegenüber der New York Times: „Egal was wir tun, immer heißt es, wir wären zu weich gegenüber Russland. Was sollen wir denn noch machen? Wir haben gerade eine Aktion von 22 Ländern koordiniert und 60 Russen rausgeschmissen.“

Auch die Nato beteiligt sich. „Ich habe heute die Akkreditierung von sieben Mitarbeitern der russischen Vertretung bei der Nato entzogen“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Dienstag in Brüssel.

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8 Kommentare

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  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Immer wieder staune ich darüber, dass Geschichte so folgenlos bleibt. Wundere mich, dass Menschen (und Nationen) so wenig aus ihren Fehlern lernen. Brandts Ostpolitik der 1970er Jahren wirkt rückblickend wie ein Betriebsunfall.

     

    Wenn ich mich recht erinnere, war es erst 2003, als ein amerikanischer Außenminister vor die Weltpresse trat und von 'Beweisen' für die Produktion und Lagerung von Chemiewaffen im Irak munter drauflos schwadronierte. Die Folge war der Irakkrieg. Die angeblichen Beweise stellten sich später als plumpe Lügen dar.

     

    Alles schon vergessen? Wenn die neueste Entwicklung Ausdruck der vermeintlichen Krone der Schöpfung ist, dann wünsche ich der Welt eine Rückkehr zu Einzellern. Unsere so genannten Freunde in der NATO sind bereits auf dem Weg dorthin.

     

    Mir gruselt - mehr als bei jedem Horrorfilm.

  • Der Putin lässt also unliebsame Zeitgenossen ausserhalb Russlands vergiften. Das haben die Engländer rausgefunden. Dafür im Namen der Weltgemeinschaft schon mal vielen Dank. Warum fühlen sich jetzt aber nur die EU-Staaten, Amerika und Australien bedroht? Ich verstehe das nicht. Also die Chinesen, die Inder, Bürger der Länder Afrikas und Südamerikas - werden die denn nicht wie wir vorbildlich vor diesem bösen Mann beschützt? Wieso weisen die nicht auch die Diplomaten aus?

  • 8. Mai, Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus und allseits beliebter Treffpunkt der Alliierten unter den Linden.

    Putin hat die Reduzierung der Armut um die Hälfte als Ziel für seine nächste Amtsperiode angegeben, sowie angekündigt für Abrüstung zur Verfügung zu stehen. Klingt gut. Deutschlands Militärausgaben sollen sich im Zuge des Trumpismus im laufenden Jahr verdoppeln von 10 auf 20 % des Bundeshaushalts, die USA geben jährlich zwei Drittel ihrer öffentlichen Gelder für Militaria aus. Darum plädiere ich einmal spontan für die Einladung Weissrusslands in den Schengen-Raum (und Russlands, Türkei und Maghreb). Die Grenzen werden fallen so oder so.

    Los Leute wir ziehen das jetzt durch, "All we are saying, ..."

  • Wir erinnern uns an die Untersuchung zu Giftgas in Syrien: Die Untersuchungskommission hatte die dezidierte Order, lediglich festzustellen, ob überhaupt Giftgas eingesetzt wurde, nicht jedoch von wem (das war dem Westen ja sowieso schon vorher klar).

     

    Wir schauen uns an, welche Länder mit wieviel Millionen die OPCW finanziell unterstützen und wundern uns dann über das Ergebnis, so es denn dann überhaupt eins geben wird, außer dass Giftgas eingesetzt wurde?

     

    Die ganze Affäre spielt sich doch sowieso auf geheimdienstlicher Ebene ab, sodass jetzt, wo allemal sämtliche Spuren beseitigt oder manipuliert sein können, nur noch eine offizielle Sprachregelung zu dem Vorfall bleibt.

     

    Vielleicht hätte eine sofortige unabhängige kriminologische Untersuchung eindeutige weiterreichende Spuren sichern können, aber die fand ja offensichtlich nicht statt, da man sich sofort nur auf den Giftstoff und das Verdächtigungsgerüst drumherum stützte.

     

    Somit wird der Fall Skripal ein weiteres ewiges Thema für Verschwörungstheoretiker und Truther werden.

  • Traurig. Wie schnell der dünne lack von Rechtsstaat und Demokratie in der EU abplatzt und eine reine Doppelmoralpolitik mit keinerlei nachvollziehbaren Standards Einzug hält. Die Monarchen der Welt haben entschieden. Die regeln gelten immer nur für andere.....

  • Die EU-Staaten haben gehandelt, ohne die Untersuchungsergebnisse der OPWC abzuwarten. Warum? Kennen sie das Ergebnis schon? Wollen sie Stimmungen und Fakten schaffen, bevor ein unpassendes Ergebnis kommt? Die wissen alle, wer sowjetische Chemiewaffen(forschungs)anlagen stillgelegt hat und wo sowjetische ABC-Waffenexperten nach 1989 gelebt und gearbeitet haben. Es gibt mehrere Möglichkeiten und diverse Motive potentieller Tätergruppen. Doch die Reihen werden schon geschlossen. - PS. geht es noch jemandem so, dass ihm bei NATO Nahtod einfällt?

  • Also, ist der Kalte Krieg wieder da oder sind wir im Kalten Krieg, oder was nun?! Ich muss doch wissen, ob ich Vorräte anschaffen muss..bzw. ach nein, die bekriegen sich dann alle woanders als hier, hm? Puh, Glück gehabt! Na, dann sollen sie sich doch jetzt alle der Rhetorik des Kalten Krieges hingeben und sich ihres Lebens freuen! Und vielleicht können wir so auch wieder wirtschaftlichen Aufschwung erzielen...also in so manchen Ländern, deren Militär das Geld gut gebrauchen kann! Hach, gute Aussichten!

  • Man sollte dann jemand verurteilen wenn die Schuld feststeht. Vorher sollte man sich nicht der Publicity wegen oder der Solidarität wegen so aufblasen. Das schadet nur und nutzt keinem!