Editorial von Frederik Eikmanns und Franziska Schindler zum Flucht-Dossier: Die EU schottet sich ab, aber das machen nicht alle mit
Heute scheint es ewig her, dass EU-Grenzen für Geflüchtete geöffnet waren. Doch die Zeit währte nicht mal den Sommer 2015 über. Bevor Angela Merkel „Wir schaffen das“ sagen konnte, begann Ungarn bereits, seinen Grenzzaun zu Serbien zu errichten. Ab November 2015 baute Slowenien einen Zaun an der Grenze zu Kroatien, Österreich und Mazedonien folgten. Die Liste ließe sich fortführen. Ein Jahrzehnt beschleunigter Abschottung hatte begonnen.
Denn bei Grenzzäunen von einzelnen Mitgliedstaaten sollte es nicht bleiben. Die EU rüstet auf gegen Migrant*innen, finanziell, technologisch, skrupellos. Für die Grenzschutzagentur Frontex hatte sie 2014 noch 6 Millionen Euro eingeplant, 2024 betrug das Budget schon 922 Millionen Euro. Um den Mittelmeerraum zu überwachen, werden Daten von Satelliten und Drohnen mittlerweile KI-gestützt ausgewertet. KI-Lügendetektoren und Software zur automatisierten Stimmerkennung hat die EU auch schon ausprobiert. Frontex ist ganz vorn mit dabei, wenn es darum geht, Überwachungstechnologien an Geflüchteten zu testen.
In der Theorie gilt zwar bis heute der völkerrechtliche Grundsatz des „Non-refoulement“, das heißt: Niemand darf zurückgewiesen werden in ein Land, in dem Verfolgung oder andere Menschenrechtsverletzungen drohen. Die Realität ist eine andere. Allein für das Jahr 2024 dokumentieren Menschenrechtsorganisationen über 120.000 Pushbacks von EU-Ländern in Drittstaaten. Doch die Nachricht verhallt, Europa scheint sich an die Rechtsbrüche gewöhnt zu haben. Mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) geht die Abschottung weiter.
Woher kommt der europäische Abgrenzungswahn historisch? Welche Folgen hat er für die Menschen, die als nicht zugehörig markiert werden? Und wie schaffen Geflüchtete und Aktivist*innen trotz alledem, die Festung Europa zu durchbrechen? In der dritten von fünf Sonderausgaben zum Sommer der Migration, seinen Folgen und der Zukunft der Migrationspolitik widmet sich die taz Abschottung und rechter Gewalt.
Die Themen gehören leider zusammen. Ein politisches Klima, in dem der Bundeskanzler vermeintliche Probleme im Stadtbild mit mehr Abschiebungen beheben will, lädt zu flüchtlingsfeindlicher Gewalt ein. Angriffe auf Unterkünfte von Geflüchteten nehmen seit Jahren zu – also ausgerechnet auf die Orte, wo sich Rechtsextreme ganz sicher sein können, ihr Ziel zu treffen.
Aber es gibt auch die andere Seite: Seenotretter*innen, die trotz Gefahr der Kriminalisierung weitermachen. Aktivist*innen, die trotz harter Repressionen dabei unterstützen, Landgrenzen lebend zu überqueren. Und vor allem: Geflüchtete, die sich trotz aller Widrigkeiten hier ein neues Leben aufbauen.
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