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Die CDU-Spendenaffäre und ihre Folgen (5): Der Skandal offenbart Krankheitsbilder der bundesdeutschen PolitikDie Spendenaffäre als politische Zäsur

Als Folge des Skandals wird der Fundamental-Idealismus Auftrieb erhalten

Der Skandal der CDU-Spendenaffäre wird Folgen haben: für die CDU und das Parteiensystem, für die Politik als Beruf und nicht zuletzt für die demokratische Kultur im Lande.

I. Sollte die CDU in Stücke zerbrechen oder auch nur wie ihr Gegenstück jenseits der Alpen, die Österreichische Volkspartei (ÖVP), binnen zehn Jahren auf dreißig Prozent schrumpfen, dann werden auch die anderen Parteien nicht bleiben, was sie sind. Die Optimisten mögen hoffen, dass FDP und/oder die Grünen jene fünfzehn bis zwanzig Prozent einsammeln, die dann zu verteilen sind und zum Regieren ja auch gebraucht werden. Wahrscheinlicher aber ist ein anderes Szenario: Aus den untergehenden Männerbünden, aus der Angst der alten Mitte vor dem Abstieg und aus den neuen sozialen Deklassierungen und Ressentiments könnten stabilisierende links- und/oder rechtspopulistische Parteien entstehen, mit denen man nicht und ohne die nur eine „große“ Koalition regieren kann. Die Folge könnte ein politischer Immobilismus sein, der fortlaufend jene Frustrationen verstärkt, die zu ihm geführt haben: österreichische, nicht italienische Verhältnisse.

Die Fortexistenz der CDU liegt also möglicherweise im öffentlichen, im demokratischen Interesse. Wenn das aber so ist, warum dann nicht eine gesellschaftliche Initiative „Rettet die CDU jetzt!“ ins Leben rufen, eine NPO (= Nicht-Parteien-Organisation), eine Art politische Cap Anamur, die nach der Katastrophe die Schiffbrüchigen sammelt und erst einmal fürs Überleben sorgt? Was für sie als Partei zu tun ist, das hat die CDU wohl begriffen: Aufräumen, Altlasten entsorgen, den Parteitag vorbereiten. Das wird die Aufgabe von Wolfgang Schäuble sein. Im April gilt es dann, einen neuen Vorsitzenden (oder ein Triumvirat mit Dame) zu wählen mit dem Auftrag, den Übergang zu gestalten, den Neuanfang vorzubereiten. Danach, in zwei bis vier Jahren, käme dann eine neue Generation mit Leuten, die schon länger (wie Angela Merkel) oder jetzt plötzlich, eine Sekunde vor zwölf, Format zeigen (wie zum Beispiel Christian Wulff). Andere werden hinzu kommen, deren Namen noch keiner kennt.

II. Der Skandal zeigt nicht nur eine Spendenaffäre. Er offenbart auch, wie in einem Röntgenbild, die Grenzen, die Gefahren und die Krankheitsbilder von Politik als Beruf. Die politische Generation Kohl/Schäuble/Schröder ist ja die erste, die ein Leben lang ausschließlich von der Politik und für die Politik lebt. Politik verdirbt nicht den Charakter, aber Politik als Beruf birgt die Gefahr in sich, dass Menschen verkümmern, dass sie zu seelisch-emotionalen Krüppeln werden, dass sie eindimensional Leben leben. Am Ende stehen oft schwache Persönlichkeiten mit Omnipotenzgehabe, die – vor allem vor und nach ihrem Rückzug aus der Politik – unberechenbar werden, die dann aktiv und systematisch an ihrer eigenen Zerstörung arbeiten. Eine Mischung von Selbstmitleid und Aggressivität gehört zur Symptomatik der Rückzugstendenz.

Der amerikanische Politikwissenschaftler Harold D. Lasswell hat vor bald siebzig Jahren die These zugespitzt: Politik ist die gesellschaftlich anerkannte Möglichkeit, seine persönlichen Neurosen öffentlich auszuleben. Das gilt gewiss doch nicht für alle Politiker, und es gilt für die einen mehr, für die anderen weniger, und ohne eine Mindestausstattung an Narzissmus, Lust auf Dominanz und Unterwerfung und andere Besonderheiten lässt sich Politik als Beruf weder erklären noch aushalten. Das Gift liegt in der Dosis. Politik macht süchtig und abhängig. Sie wirkt wie eine Droge. Die Folgen sind bekannt: Man verliert erst die Kontrolle über sich selbst und dann über die Verhältnisse.

Wenn das aber so ist, dann stellt sich die Frage: Brauchen wir Vorkehrungen, welche die Politiker, die Institutionen, die Parteien und die Gesellschaft insgesamt vor den schädlichen Folgen politischer Suchtgefahren besser schützen? Die CDU sollte deshalb, aus Erfahrung klug, Gerhard Schröder beim Wort nehmen und entsprechende Gesetze auf den Weg bringen. Acht Jahre sind genug. Wer sich ein Leben nach der Politik vorstellen muss, der wird, so ist zu hoffen, auch vor und während der Politik anders leben und sich anders geben. Das aber wäre ein Segen für die Politik – und für die Politiker. Wenn eine Person sich nur aus einem einzigen Leistungsbereich heraus versteht, dann wird ihre Identität schmal und sie ist in hohem Maße gefährdet. Politik, und die noch lebenslänglich, führt zur Selbstschädigung – der Person und des Systems.

III. Nach dem Skandal wird es schwerer werden, Demokratie zu begründen, nicht nur den Menschen in den neuen Ländern. Der demokratischen Kultur drohen Gefahren von zwei Seiten. Einmal von jenen, die durch ihren politischen Vandalismus und durch ihr destruktives Verhalten gegenüber Institutionen Recht und Gesetz schwer beschädigt und ihre eigene „christlich-demokratische“ über die freiheitlich-demokratische Grundordnung gestellt haben. „Schaut auf diese Demokratie“, werden ausgerechnet Leute wie Gysi sagen und die alten Ohrwürmer weiter summen, Demokratie werde erst durch den Sozialismus so richtig mit Leben erfüllt. Als Folge des Skandals wird jener demokratische Fundamental-Idealismus wieder Auftrieb erhalten, der, der aus der reinsten Seele heraus ein Bild von Demokratie malt, an dem alle real existierenden Demokratien scheitern müssen.

Wer wird den Zweiflern sagen: Demokratie bedeutet nicht, dass es keine Skandale gibt, sondern wie man mit ihnen umgeht: kritisch, öffentlich und rechtlich konsequent? Wer wird dem alten deutschen Anti-Parteien-Affekt entgegentreten und erklären, dass ihre Metastasen und Geschwüre keine Argumente gegen die politischen Parteien sind, sondern eine Indikation für entsprechende Operationen? Wer kann die jungen und östlichen Bürger noch davon überzeugen, dass die Moral der Politik nicht zuletzt in Formen, Regeln und Verfahren steckt und nicht in einem außerirdischen Gemeinwohl? In ihren besten Zeiten und Repräsentanten hat die alte Bundesrepublik als Summe ihrer Erfahrungen und Konflikte ein nüchternes Verständnis von Demokratie mit einem anspruchsvollen Begriff von Politik zu verbinden gewusst, eine Art Vermächtnis der Bonner an die Berliner Republik, und man darf hoffen, dass es sich nicht in Nichts auflöst, wenn es drauf ankommt.

Die Fortexistenz der CDU liegt möglicherweise im demokratischen Interesse

Warnfried Dettling

PS: Wo bleibt Rau? Er heftet Orden und zählt Flüge. Die deutsche Demokratie wird im Jahre 2000 einen besonderen Beweis ihrer Stärke liefern. Sie wird ihre größte Krise durchleben, und das ganz ohne, vielleicht sogar trotz ihres Bundespräsidenten. Wenn das nichts ist.

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