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Die Blechdosen-Lawine rollt

Alte Regierung hat noch die Recycling-Gesetze aufgeweicht. Provokantes Positionspapier des Viag-Konzerns – bayrische Brauer kündigen Widerstand an  ■ Aus Kempten Klaus Wittmann

Die Dosenlawine rollt mehr denn je, und die Viag-AG mischt dabei kräftig mit, vor allem mit ihrer Tochterfirma Schmalbach-Lubeca: Ein Drittel des Gesamtumsatzes des Ratinger Verpackungskonzerns von 4,34 Milliarden Mark entfällt auf die Dosenproduktion. Vorbei sind die Zeiten, als Slogans wie „Nur Flaschen trinken aus Dosen“ populär waren. Vielmehr gilt heute der Schluck aus der 0,5-Liter-Dose als cool – für die Dosenhersteller ein gutes Geschäft.

Für die Kleinbrauereien sind die Dosen jedoch eine Gefahr, weil nur die Großen die teuren Abfüllanlagen auslasten können. Sogar im brauereienreichsten Bundesland Bayern werden es immer weniger eigenständige Brauer. Von den knapp 1.600 Braustätten, die es hier 1960 gab, sind gerade einmal 600 übriggeblieben. Eine erhebliche Mitschuld geben die mittelständischen Brauereien dem Verdrängungswettbewerb mit Hilfe der Blechdose. Braumeister Herbert Zötler aus Rettenberg, Mitinitiator der Aktion „Dosenfreie Zone Allgäu“, kündigt massiven Widerstand an. „Jetzt ist die Zeit vorbei, wo wir freundliche Briefe geschrieben haben oder irgendwelche netten Aktionen gemacht haben. Jetzt geht es wirklich an die Existenz von vielen mittelständischen Betrieben.“

Der Aktion „Dosenfreie Zone Allgäu“ habe die noch amtierende Bundesumweltministerin Merkel bei einem Termin in Bonn versprochen, der müllbergeproduzierenden Dosenflut Einhalt zu gebieten. Doch genau das Gegenteil sei der Fall, die Verpackungsverordnung sei ausgehöhlt worden. In den ersten vier Monaten des Jahres 1998 stieg der Anteil der 0,5-Liter-Dose bundesweit erneut um 10,6 Prozent. Das haben Erhebungen der GFK, der Gesellschaft für Konsumforschung, im Auftrag des Verbandes der Mittelständischen Privatbrauereien ergeben. Negativspitzenreiter in diesem Zeitraum ist das Bundesland Thüringen mit 26,5 Prozent.

„Nach meiner Rechnung ergibt der Dosenbierabsatz in Deutschland aneinandergestellt eine Kette, die sechseinhalbmal um die Erde reicht“, so der Geschäftsführer des Verbandes, Roland Demleitner. Vier Milliarden Dosen würden jährlich alleine im Inland abgesetzt, was auch eine enorme Belastung für die Umwelt darstelle. Durch das als Recycling verkaufte Einschmelzen käme es zu einer sinnlosen und umweltbelastenden Energieverschwendung.

Einen Hauptfeind haben die Dosenhersteller offenbar in dem ehemaligen grünen Landtagsabgeordneten Raimund Kamm entdeckt. So schreibt der Viag-Konzern in einem provokanten Positionspapier unter anderem, daß im Freistaat noch immer von gewissen Gruppierungen gegen die Getränkedose polemisiert werde. „So startete der frühere Landtagsabgeordnete Raimund Kamm im April 1998 anläßlich der Münchner Mehrwegwochen erneut eine Anti-Bierdosen-Kampagne.“

Der Mischkonzern Viag mit knapp 50 Milliarden Mark Jahresumsatz (eine Tochter sind die Bayernwerke) macht sich in seinem Positionspapier für die ersatzlose Streichung der Mehrwegquote stark. Den mittelständischen Brauern wird quasi die Geschäftsunfähigkeit attestiert. „Sie haben in den vergangenen Jahren den Anschluß an die Marktentwicklung und insbesondere den Export verpaßt“, schulmeistert die Viag. Gemeinschaftlich betriebene Dosenabfüllanlagen seien die Rettung und nicht Mehrwegquoten.

Die novellierte Verpackungsverordnung ist, zur Freude der Dosenindustrie, in wesentlichen Punkten im Vergleich zur Fassung von 1991 gerade noch rechtzeitig vor dem Regierungswechsel aufgeweicht worden. Die sogenannten Länderquoten, die vorschrieben, daß in keinem Land die Mehrweganteile des Referenzjahres 1991 unterschritten werden dürfen, sind komplett weggefallen. Auch die jährliche Berichtspflicht zum 30.6. wurde auf einen beliebigen Meldetag verschoben, was der Umweltministerin auch prompt ein Lob der Viag einbrachte.

Der Abteilungsleiter Abfallrecht im Bundesumweltministerium, Dieter Ruchay, erklärt lapidar, man könne doch keine Wirtschaftspolitik zum Schutz von kleineren und mittelständischen Brauereien betreiben. Man müsse vielmehr „einen Ausgleich finden zwischen den Anforderungen der Ökologie einerseits und dessen, was wirtschaftlich in Deutschland überhaupt machbar ist“.

Trotz der Änderungen an der Verpackungsverordnung werde im Falle einer Unterschreitung das Zwangspfand von fünfzig Pfennig eingeführt, versichert der Spitzenbeamte. Die Brauer glauben freilich nicht daran, angesichts der Verstrickung von Dosenindustrie und Politik – schließlich hält der bayerische Staat das größte Aktienpaket an der Viag. Der Chef der Augsburger Riegele-Brauerei, Sebastian Priller, fragte jüngst in seiner Bierzeitung: „Ob es vielleicht daran liegt, daß der Staat beim größten Dosenhersteller der Republik, dem Viag-Konzern, mit 25 Prozent beteiligt ist?“

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