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Die Blaupause der Causa BöhmermannSo sorry

Mitte der sechziger Jahre verurteilte die Bundesregierung eine satirische Bildmontage über den persischen Schah – weil er beleidigt war.

Ein schlechter Witz über Schah Mohammed Reza Pahlewi und seine Frau Farah Diba löste in den sechziger Jahren diplomatische Verwicklungen aus (Archivbild von 1979) Foto: ap

Der Bundespräsident war nicht amüsiert. „Kürzlich hat ein Journalist das Staatsoberhaupt eines uns befreundeten Landes auf unerhörte Weise herabgesetzt“, empörte sich das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik. Der Angegriffene habe ihn wissen lassen, „dass er sich auf das Tiefste verletzt und beleidigt fühle“. Ihm müsse der „Schutz unseres Staates“ gewährt werden, weil sonst „unsere freundschaftlichen Beziehungen gefährdet“ seien.

Nein, das stammt nicht von Joachim Gauck. Denn was so aktuell klingt, ist mehr als 50 Jahre her. Bundespräsident war damals der Christdemokrat Heinrich Lübke. Und es geht bei dem so schwer Beleidigten nicht um den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, auch wenn der Fall bemerkenswerte Parallelen zur Causa Böhmermann aufweist. Tatsächlich ist er die Blaupause für jenes absurde Theater, das gerade die Republik erregt.

Was heute ein „Schmähgedicht“ ist, war seinerzeit eine witzig gemeinte Fotocollage: Am 5. Dezember 1964 erschien in der Wochenendbeilage des Kölner Stadt-Anzeigers auf der Seite „Unterhaltung“ eine Bildmontage des österreichischen Cartoonisten und Satirikers Harald Rolf Sattler. Sie zeigte den persischen Schah Mohammad Reza Pahlavi mit dem – zum Zeitpunkt der Veröffentlichung längst verstorbenen – saudischen Herrscher Abd al-Aziz ibn Saud und war mit der Unterzeile versehen: „Also gut, gib mir die 30 000.-, und du kannst Farah Dibah haben!“ Der schale Witz löste heftigste diplomatische Verwicklungen aus.

Wie jetzt die türkische ließ die persische Botschaft der Bundesregierung erbost eine Verbalnote zukommen und forderte die Anwendung des Paragrafen 103 StGB gegen die Verantwortlichen: „Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“. Innigst um gute Beziehungen zum iranischen Folterstaat bemüht, erteilte die schwarz-gelbe Bundesregierung Ludwig Erhards die nach Paragraf 104a erforderliche Ermächtigung zur Strafverfolgung.

Was Bundespräsident Lübke in seiner Neujahrsansprache mit Genugtuung kommentierte. „Wenn die Öffentlichkeit derartige Entgleisungen ernst nehmen und ihren Abscheu offen zeigen würde, dann wäre es leichter, unseren deutschen Namen sauber zu halten“, sagte er in seiner von Funk und Fernsehen übertragenen Rede. „Leider überlässt man das alles dem Staat, obwohl unsere Ehre doch einem jeden von uns teuer sein müsste.“

Große Reue, kleine Strafe

Herausgeber und Chefredaktion des Kölner Stadt-Anzeigers leisteten umgehend Abbitte. In einem Schreiben an die Botschaft, den Bundespräsidenten und den Presserat bedauerten sie zutiefst die Veröffentlichung, „deren Geschmacksverirrung sicherlich größer war als ihr vermeintlicher Witz“. Außerdem erschien eine Erklärung „in eigener Sache“, in der sich das Blatt schuldig bekannte: „Wir stehen dazu, objektiv einen Fehler gemacht zu haben. Wir wehren uns auch nicht dagegen, für diesen Fehler zur Rechenschaft gezogen zu werden.“

Am 1. Juli 1965 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage. Das Verfahren zog sich über drei Instanzen und dauerte fast drei Jahre. Schließlich wurden Collagen-Urheber Sattler und der verantwortliche Ressortleiter Rolf Elbertzhagen im Januar 1968 rechtskräftig zu Geldstrafen verurteilt. Bei der Strafzumessung hielt das Gericht den beiden zugute, dass der „Fotospaß“ keine politische Absicht gehabt und kein abwertendes Urteil enthalten habe. Es handele sich vielmehr erkennbar um einen „Scherz, der nur deswegen eine Beleidigung bleibe, weil er seine Grenzen überschritten habe“, wie ein Prozessbericht resümierte.

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