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„Die Bakchen“ am Wiener BurgtheaterEkstasen im Viervierteltakt

Die Tragödie „Die Bakchen“ von Euripides bekommt am Wiener Burgtheater ein Update. Regisseur Ulrich Rasche macht Dionysos zum Wutbürger.

Auf den Laufbändern marschieren und skandieren die Schauspieler im Gleichschritt Foto: Andreas Pohlmann/Burgtheater

Theben ist am Wiener Burgtheater ein portalfüllender Geschützturm. Hydraulik hebt, senkt und dreht die dunkle Masse aus Stützen, Trägern, Kolben und Getrieben im gleißenden Seitenlicht vor schwarzem Bühnenhintergrund langsam und stetig, tilgt selbst noch den zartesten Gedanken an Widerstand. So wappnet Ulrich Rasche in seiner Inszenierung von „Die Bakchen“ die Stadt gegen drohende Zersetzung durch das Rauschhafte, Fließende, Allversöhnende, eben Dionysische, mit dem Euripides in seiner letzten nachgelassenen, im Jahr 405 vor unserer Zeitrechnung aufgeführten Tragödie die Verhältnisse zum Tanzen bringt.

Die Dicke Theater-Bertha feuert keine Projektile in den Schnürboden. Sechs schwarze Laufbänder setzen sich nach und nach in Bewegung. Darauf werden SchauspielerInnen unablässig schreitend sich auf Abgründe zubewegen, die diese Höllenmaschine im Dunkeln lässt, gebremst nur von der Gegenläufigkeit der Bänder. Der Takt der Schritte wird auf ihren Atem übergreifen, die Worte trennen, die Silben dehnen und in den leeren Raum hinausstoßen.

Der Schauplatz Theben, den der antike Dichter seinem Athener Publikum als das Andere ihrer Selbst vorführt, ist bis zur Unterlippe gewappnet gegen jeden äußeren Feind. Aber es wird sich wehrlos erweisen gegen den Feind im eigenen Kopf und im eigenen Bett. „Die Bakchen“ entdecken für das Theater mehr noch als „König Ödipus“ früh die Wirkungsmacht des Unbewussten.

Aufklärungskritik

Im Reich des jungen thebanischen Soldatenkönig Penteus (Felix Rech) herrscht Vernunft. Aber tut sie das auch aus vernünftigen Gründen und mit vernünftigem Ausgang? Womöglich hat ­Euripides, der mit dem politischen Athen, dessen Weg zur Großmacht und wieder zurück, nie ganz einig war und zuletzt ins Exil ging, ein Stück Aufklärungskritik avant la lettre hinterlassen.

Vernünftig ist Pentheus alles, was in der hierarchischen Ordnung der Dinge machbar erscheint, vor allem militärisch. Alles andere stört, das Uneindeutige, das Ambivalente, das Dazwischen, die Frauen, die Anderen.

Genau das aber bricht in einer religiösen Erweckungsbewegung von Osten her, von woher sonst, über die Stadt herein. Dionysos (Franz Pätzold), der „kommende Gott“, verheißt eine Daseinserfahrung jenseits moralischer Kategorien, Gemeinschaft ohne gesellschaftliche Konvention, Versöhnung mit den Trieben.

Empfänglich sind vor allem die Frauen

Empfänglich für die Botschaft, die hellhäutige Männer mit Grundbesitz in Theben das Fürchten lehrt, sind vor allem die Frauen der Stadt, die fortan als Mänaden in die Berge ziehen. Die Antwort der Herrschenden ist Repression – und Neugier. Zudem ist das ganze eine Familienangelegenheit. Der Gott, der in der eigenen Stadt nichts gilt, ist der Enkel des Stadtgründers Kadmos (Martin Schwab).

Die Rache wird fürchterlich sein, das Konzept göttlicher Allmacht verteilt Gnade nicht nach dem Verdienst der Menschen. Pentheus, der als Spanner im Tannenbaum sitzt, um dem differenzfeministischen Ringelreihen der Mänaden verbotene Blicke abzugewinnen, wird von der eigenen Mutter Agaue (Katja Bürkle) im Rausch zerrissen.

Verzweifelt, aber ohne schnellen Vorwurf führt Kadmos Agaue in einer talking cure aus ihrer Wahnepisode in die Wirklichkeit zurück. Seit diesen Sätzen ist Bewusstsein, das von sich weiß, nur aus der Erkenntnis der eigenen Schuld zu gewinnen. Martin Schwab und Katja Bürkle lassen hinter dem Viervierteltakt Theater als komplexes Zeichensystem für einen glückhaften Moment wieder durchscheinen.

Der postmodernen Ironie den Garaus machen

Rasches Exerzierreglements im stundenlangen Gleichschritt zum Trommelschlag (Perkussion: Katelyn King) verfolgen langfristig ein Programm. Es will nichts weniger als der postmodernen Ironie im Theater den Garaus machen. Hohe Form kann wiedergewonnen werden, aber nur durch die Arbeit von Körpern und Maschinen, die sie der Idealität entreißt und auf dem Boden ihrer Trümmer neu erstehen lässt.

Auch Pathos ist möglich, aber es stinkt fortan nach Schweiß und Getriebeöl. Die lustvollen Abbrucharbeiten setzen sich fortlaufend selbst aufs Spiel in der Gratwanderung zwischen dem Versprechen neuer Denk­räume hinter den Trümmern der Konvention und einem Rückfall in die wohlige Trance ihrer Monotonie.

Der postmodernen Ironie im Theater will Rasche den Garaus machen

Was „Die Bakchen“ von der dunklen Seite der Vernunft wissen, ergreift Rasche in Wien seltsam unterkomplex nur mit der Kneifzange. Als bloße Ausgeburt menschlichen Geistes wäre die Religion umso mehr zu fürchten. Über der Uniformität seiner Schrittfolgen sind ­Rasche Unterscheidungen verloren gegangen. Dionysos tritt auf als zu kurz gekommener Wutbürger, dem die Textbearbeitung den Jargon der Eigentlichkeit und moderne Abstrakta wie „Identität“ in den Mund legt.

Die „thymotischen Energien“, von der die intellektuellen Ausläufer der AfD schwafeln, sind in marodierenden weißen Männerhorden zweifellos andere als in den Resten mutterrechtlicher Spiritualität, so sehr „mann“ sie belächeln mag. Die Aufführung verkennt schlicht das Fortwirken der Geschlechterdifferenz im Diskurs der Macht. Rasches Mänaden beiderlei Geschlechts tanzen nicht, sie marschieren und stampfen. Der Glanz ihres Chorkörpers ist schwitzend und heldenhaft männlich, die Brüste der Frauen sind von fleischfarbenen Trikots weggebunden wie ein Makel. Der misogyne Mief männlicher Machtroutinen durchströmt die ganze Apparatur. Große Zweifel, ob das alles jemals so gemeint war.

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