piwik no script img

DER WESTEN MUSS DRUCK AUF DIE KOLONIALMACHT ISRAEL AUSÜBENDie Arroganz der Besatzer

Israels Sicht auf den Palästinakonflikt besagt: Jassir Arafat ist das zentrale Problem. Mit dem „Kampf gegen den Terror“ hat es aber nichts zu tun, wenn Israel dessen Hubschrauber bombardiert, ihn in Ramallah festhält und nicht an der Weihnachtsmesse in Bethlehem teilnehmen lässt. Den gegenwärtigen israelischen Maßnahmen gegen Arafat ging ein arroganter und paternalistischer Diskurs über den „Charakter von Arafat“ voraus. Wir, die Israelis, nehmen uns die Freiheit, einen politischen Führer seines Amtes zu entheben und ihn durch einen anderen zu ersetzen.

Dieser arrogante Diskurs gipfelt in dem paternalistischen Argument, dass „wir wissen, was für die Palästinenser besser ist“. Als Folge plädiert jeder Flügel des israelischen politischen Spektrums für einen Führer, der seinen speziellen Zwecken am besten dienen würde. Die „Moderaten“ in der Regierung ziehen einen Moderaten vor – einen, der als Geschäftsmann gekleidet ist und der sich nach rationalen westlichen Manieren zu benehmen weiß. Die Extremisten hätten gern einen Hamas-Typen, der ihnen als Vorwand für einen offenen und blutigen Krieg gegen das „palästinensische Böse“ dienen würde. Beiden Lagern gemeinsam ist die Annahme, dass die Last der drückenden Probleme allein auf Arafats Schultern liege, während Israel gleichzeitig seiner eigenen Verantwortung ausweichen könne. Ignoriert wird, dass die israelische Regierung Arafat und seine Sicherheitskräfte nicht bekämpfen und gleichzeitig erwarten kann, dass diese wirksam gegen islamische Extremisten im Autonomiegebiet vorgehen.

Arroganz und Paternalismus liegt jeder Besatzung zugrunde; die israelische Okkupation bildet keine Ausnahme. Europäische Kolonialherren verhielten sich ähnlich. Die einheimische Bevölkerung galt als minderwertig und primitiv und besaß keinerlei individuelle oder kollektive Rechte auf ein eigenes Heimatland. So sah es auch in Israel/Palästina seit dem Beginn der Kolonisierung des Landes aus. Auch durch das Osloer Friedensabkommen war keine wirkliche Veränderung erkennbar. Das Land gehört uns, den Israelis, wir sind seine Herren; die Palästinenser müssen mit dem zufrieden sein, was wir ihnen anbieten. Man „überließ“ Arafat Jericho und Gaza und gewährte ihm eine Probezeit. Sollte er den Test bestehen, würde er mit zusätzlichem Land belohnt – wenn nicht, würde der Prozess angehalten, wie Rabin öffentlich verkündigte. Von Arafat wurde erwartet, das zu gewährleisten, was die israelische Armee nicht zu Stande brachte: Sicherheit für Israel. Von der Sicherheit und Unabhängigkeit des palästinensischen Volkes allerdings war keine Rede. Arafats Macht basierte nicht so sehr auf dem Willen seines Volkes und dessen legitimen Rechten, sondern auf Israels Einwilligung. Eine Ausweisung bzw. Vertreibung Arafats ist also keineswegs undenkbar.

Was hat Israel im Zuge des Oslo-Prozesses als Gegenleistung gebracht? Einige größere palästinensische Städte wurden freigegeben – und ein wenig Land in deren unmittelbarer Nachbarschaft. Gerade so, wie es Israel passte. Man gestattete Arafat, Regierungsbeamte einzusetzen und Polizisten aufzustellen, verweigerte ihm aber zusammenhängende Gebiete und territoriale Souveränität. Weder verzichtete Israel auf militärische Kontrolle, noch ermöglichte es die Schaffung eines palästinensischen Staates oder gewährte wirtschaftliche Unabhängigkeit. Man zog sich nicht zu den Grenzen von 1967 zurück und trug nichts zu einer Lösung der besonders schwierigen Probleme bei – wie etwa Jerusalem oder die palästinensischen Flüchtlinge. Nicht einmal den Siedlungsbau in den besetzten Gebieten hat Israel beendet oder auch nur zeitweilig unterbunden.

Wenn wir, die Israelis, unsere Arroganz und unsere Position als Besatzungsmacht nicht überdenken, wird sich die gegenwärtige Spirale des Blutvergießens nur noch schneller drehen – mit oder ohne Arafat. Europa, das einst gleichsam zum Zeugnis für die Arroganz der Besatzung bzw. Kolonialisierung wurde, sollte nicht den Fehler begehen und diese Haltung aufs Neue einnehmen – selbst dann nicht, wenn es sich um den jüdischen Staat handelt. Eine internationale Intervention, um Scharon Einhalt zu gebieten, ist dringend nötig um beider Völker willen, der Palästinenser genauso wie der Israelis. LEV GRINBERG

Der Autor ist Direktor des Humphrey Institute for Social Research an der Ben-Gurion-Universität in Negev/Israel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen