: Die Angst vor Wackelkandidaten
In der SPD werden Abgeordnete bearbeitet, die sich dem Misstrauensvotum nicht anschließen wollen. Drei sind bekannt, doch bei der geheimen Abstimmung könnten es mehr werden. Bei acht Abweichlern droht das Scheitern. Austritt bei den Grünen
von RICHARD ROTHER
Kurz vor der entscheidenden Sitzung des Abgeordnetenhauses schrumpft die Zahl der Wackelkandidaten in der SPD. Der SPD-Abgeordnete Jürgen Radebold hat gestern angekündigt, am Samstag nun doch die Abwahl des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU) zu unterstützen. Er habe immer von der CDU gefordert, dass sie einen kurzfristigen Termin für Neuwahlen nennt. Darauf habe sich die CDU aber bisher nicht eingelassen.
Es gebe „sicherlich viele Kollegen in der SPD, die Probleme mit der PDS haben“, so Radebold. Allerdings könne man sich jetzt aber nicht den Stimmungen hingeben, „denen wir persönlich anhängen.“ Der Weg zu Neuwahlen müsse so schnell wie möglich frei gemacht werden. Die Abstimmung über den Misstrauensantrag am Samstag könnte nach Einschätzung Radebolds allerdings „knapp werden“. Dem Antrag müssen 85 der 169 Abgeordneten zustimmen. SPD, Grüne und PDS verfügen über 93 Stimmen. Da es bei den Grünen bis auf Dietmar Volk, der am Dienstag seien Austritt aus der Grünen-Partei verkündet hat, keine weiteren Abweichler gibt, müssten sich also acht SPD-Genossen dem einstimmig gefassten Beschluss des Landesparteitags widersetzen. Das hält selbst Diepgen für unwahrscheinlich. Er rechne mit seiner Abwahl und der Bildung eines neuen Senats, sagte Diepgen gestern.
In SPD-Fraktionskreisen rechnet man gestern mit maximal drei Wackelkandidaten, die die Diepgen-Abwahl nicht unterstüzten könnten. Im Gespräch waren drei Abgeordnete aus dem Ostteil der Stadt. Als sicher gilt jedoch, dass sie die Wahl des SPD-Fraktionschefs zum neuen Regierenden Bürgermeisters unterstützen würden. Auch über das Stimmverhalten bei der Diepgen-Abwahl würden derzeit intensive Gespräche geführt, hieß es. Dabei hat sich offenbar auch SPD-Generalsekretär Franz Müntefering eingeschaltet.
Unterdessen bekräftigte der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und frühere Grünenpolitiker Dietmar Volk, dass er die geplante Abwahl des Regierenden Bürgermeisters gemeinsam mit den Abgeordneten der PDS ablehne. Er werde sich bei der Abstimmung über den Misstrauensantrag ebenso der Stimme enthalten wie auch bei der Wahl des Nachfolgekandidaten Klaus Wowereit (SPD), sagte Volk gestern in einem Radiointerview. In der Fraktion stieß dieses Verhalten auf großes Unverständnis.
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