■ Die AKW-Gegner müssen den Ausstieg selbst in die Hand nehmen: Trittin – der Müllmann der Konzerne
Die Bundesregierung, so heißt es, hat sich den Ausstieg aus der Atomenergie auf die Fahnen geschrieben. Leider aber nur auf die Fahnen. In der Schweiz wurde ebenfalls der „Ausstieg“ verkündet – umzusetzen in 30 Jahren. Es wurde also eigentlich beschlossen, daß die AKW noch Jahrzehnte am Netz bleiben. Ähnlich in Schweden. Da ist die Abkehr von der Atomkraft seit 19 Jahren beschlossen, doch noch kein einziges Kraftwerk wurde abgeschaltet.
Unter dem Label „Ausstieg“ wird versucht, Akzeptanz für lange Jahre Weiterbetrieb der Reaktoren zu schaffen. Die Atomwirtschaft hat sich darauf eingestellt, Rot-Grün zu „überwintern“. Der bayerische Umweltminister lobt das „Ausstiegs“-Konzept von Rot- Grün, weil dabei Restlaufzeiten für die einzelnen Atomkraftwerke herauskommen, die den üblichen Betriebserwartungen entsprechen. Erfreut über Jürgen Trittin ist auch HEW-Chef Manfred Timm, der Sprecher der Stromkonzerne, weil der grüne Minister zu Beginn der Konsensgespräche zugesagt hat, keine „Verstopfungsstrategie“ betreiben zu wollen.
Die deutschen AKW leiden unter chronischer Atommüllverstopfung. Seit Amtsvorgängerin Angela Merkel die Castor-Transporte stoppte, wird es in den Lagerbecken immer enger. Jürgen Trittin hat nun versprochen, daß die neue Entsorgungsregelung in keiner Weise den Betrieb der Reaktoren behindern darf. Dabei tut der grüne Minister so, als wären die Reaktoren praktisch schon stillgelegt und jede Diskussion über strahlende Abfälle nur noch unter dem Aspekt zu betrachten, was nach dem Ende der Atomstromproduktion mit dem übriggebliebenen Müll geschehen soll.
Trittin als Müllmann der Atomkonzerne. Er verabreicht in den letzten Wochen ein Abführmittel nach dem anderen gegen die Verstopfung: Neubau von Zwischenlagerhallen an den Kraftwerken – das erste Projekt in Lingen ist für 30 weitere Betriebsjahre ausgelegt. Weitere Castor-Transporte aus den AKW nach Gorleben und Ahaus. Und schließlich als Ergebnis der Konsensrunde: Die Transporte zur Wiederaufarbeitung können bis zur Fertigstellung dieser Lager weitergehen.
Treppenwitz der Geschichte ist, daß die gleichen Leute, die noch Mitte Januar voller Entrüstung erklärt haben, wie unmoralisch und national borniert es wäre, Rücktransporte von deutschem Atommüll aus Frankreich zu blockieren, jetzt beschlossen haben, daß die strahlenden Abfälle aus der Bundesrepublik noch mehrere Jahre in die Nachbarländer gebracht werden, um dort zur schleichenden radioaktiven Vergiftung ganzer Regionen beizutragen.
Mit dem schnellen Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung wäre die Zahl der Transporte reduziert worden. Jetzt wächst die Zahl der Castor-Züge in beide Richtungen weiter an – Atommülltourismus wie gehabt. O-Ton Trittin: „Die Anti-AKW-Bewegung lehnt die Zwischenlagerung ab, sie lehnen weitere Transporte ab, und sie lehnen den Transport von Atommüll ab. Alles zusammen ist aber nicht zu haben. Da muß man sich entscheiden.“
Nein, Herr Minister! Für jede dieser Ablehnungen gibt es überzeugende Gründe, die nicht weniger gewichtig sind, nur weil die Grünen in Bonn mitregieren. Und noch immer gibt es kein Konzept zur gefahrlosen Aufbewahrung strahlender Abfälle auch für kommende Generationen. Bei fehlendem Entsorgungsnachweis, so schreibt es das Atomgesetz vor, ist den AKW die Betriebsgenehmigung zu entziehen. Wenn Trittin diesen Schritt nicht geht, dann muß er von der Anti-Atom-Bewegung erkämpft werden. Die beste Methode dazu ist, alle Pseudowege für den Atommüll zu versperren – Verstopfungsstrategie eben.
Die Anti-Atom-Bewegten nehmen nach 100 Tagen Schonfrist den Ausstieg wieder selbst in die Hand. Jochen Stay
Jochen Stay ist Verleger und lebt in Jeetzel. Darüber hinaus ist er Organisator in Sachen Anti-Atom
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