Diane Torr über Sex jenseits der 60: „Ich habe viele One-Night-Stands"
In den Siebzigern wurde Diane Torr Feministin, in den Achtzigern arbeitete sie als Go-Go-Tänzerin. Mit dem Alter werde ich wählerischer, sagt die Performance-Künstlerin.
taz: Diane Torr und die Eroberung der weiblichen Sexualität, wann hat diese Geschichte angefangen?
Diane Torr: Ende der Sechziger habe ich in einer Beratungsstelle gearbeitet, in der wir junge Frauen zum Thema Abtreibung beraten haben. Ich war verdammt jung damals, Anfang Zwanzig. Und diese Zeit, in der Frauen die Kontrolle über ihre eigene Sexualität und Fortpflanzung übernommen haben, das hat mich sehr geprägt. Das waren radikale Zeiten damals, die mich radikal gemacht haben.
Inwiefern betraf das Ihre eigene Sexualität?
Die Zeit der Frauenbewegung fiel ja zusammen mit der Idee der freien Liebe. Es wurde einfach erwartet, dass man zu jeder möglichen Zeit Sex hatte. Natürlich nicht im Allgemeinen, aber in der alternativen Gemeinschaft aus Künstlern, in der ich mich in den Siebzigern bewegt habe, schon. Man hat Sex gehabt, wie man eine Tasse Kaffee getrunken hat. Mal eben so. Nur Sex. Keine große Sache. Das gab uns Frauen auch die Freiheit, Nein zu sagen und etwas anderes zu wählen.
Zum Beispiel Frauen...
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Ja. Das betraf auch die Orientierung – es war damals nicht seltsam, queer zu sein – auch wenn man das noch nicht so nannte. Es ging einfach um Spaß. Ich erinnere mich, wie ich mit der Besetzung der ersten Rocky Horror Show herumgereist bin. Die waren sexuell so offen, haben ihre Partner getauscht. Nicht wie bei einer Sexparty oder so. Das waren einfach Leute, die Spaß liebten. Und Sex gehörte da dazu. Das war eine Zeit echter Freiheit, der Revolution, des Idealismus, echter Abenteuer. Zu heiraten wäre mir damals so lächerlich vorgekommen.
Stattdessen sind Sie nach New York gegangen.
Oh ja, Ende der Siebziger war das. Ich war Teil einer Punkszene und einer Frauenband namens Disband. Das bin ich immer noch und wir treten auch immer noch auf – seltsam genug. Wir lebten damals tatsächlich, als gäbe es kein Morgen. Alles hatte diese hedonistische Qualität. Ob Tanz auf der Bühne oder Sex – alles war „Fast and Furious“. Ganz anders als die Siebziger, die viel lyrischer und weicher waren. Das hatte vielleicht etwas mit den Drogen zu tun. New York in den Achtzigern – da war alles aufgefüllt mit Kokain.
Die Gender-Aktivistin und Performance-Künstlerin wurde 1948 in Kanada geboren und ist in Schottland aufgewachsen. In den Siebzigern studierte sie am Darlington College of Arts in England und zog 1976 nach New York, wo sie als Go-Go-Tänzerin arbeitete und mit ersten Tanz-Performances auftrat. Seit dem Beginn ihrer künstlerischen Karriere beschäftigt sich Torr mit der Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlechter-Stereotypen. International bekannt wurde sie mit ihren Drag-King-Performances. Ihre „Man for a Day“-Workshops, in denen sie seit über 20 Jahren Frauen mit den Geheimnissen des Mannseins vertraut macht, veranstaltet Torr auch regelmäßig in Berlin. Der Film „Man for a Day“ von Katarina Peters gibt einen Einblick in den Workshop und das künstlerische Schaffen von Diane Torr.
Sie auch?
Nein. Ich war in dieser Zeit sehr mit meinem Körper beschäftigt. Ich habe damals mit Aikido angefangen..
Eine japanische Kampfkunst ...
Ja. Harte Drogen und Aikido – das geht nicht zusammen. Ich habe Aikido gelernt und getanzt – das war das, was ich Anfang der Achtziger gemacht habe. Ich hatte keine Green Card und habe schwarz als Go-Go-Tänzerin gearbeitet.
Von der Frauenrechtlerin zur Go-Go-Tänzerin?
Das ist eine der intensivsten Beschäftigungen mit sich selbst, die man sich als Frau vorstellen können. Die Leute sehen ja, die zieht ihre Kleider aus. Und erwarten: Die hat Sex mit jedem. Um sich in dieser Branche die Selbstachtung zu bewahren, muss man sehr genau wissen, was man will. Viele Frauen gingen dort verloren. Weil ich zur gleichen Zeit Aikido trainiert habe, hatte ich einen sehr muskulären Körper. Ich denke, das hat viele Männer verunsichert. Mich hat es in die Lage versetzt, zu wählen, ob ich mit einem mitging oder nicht. Um genau zu sein, ist das vielleicht zwei Mal passiert in den zwei Jahren, in denen ich das gemacht habe. Aber mich in diese potenzielle Gefahrensituation zu begeben, ohne darin manipuliert oder degradiert zu werden, hat mir sehr viel Stärke gegeben. Viele Erfahrungen dieser Zeit nutze ich bis heute für meine Performances. In gewisser Weise war das Feldforschung.
Wurde auch Ihr eigener Sex dadurch besser?
Oh ja. Auch der Sex mit mir selbst. Ich bin in Aberdeen in Schottland aufgewachsen – da wurde geheiratet, bevor man das erste Mal Sex hatte. Und so was wie Selbstbefriedigung machte man als Frau nicht. In Deutschland war man da sicher offener. Ich hatte jedenfalls zunächst Sex mit Männern und Frauen, ehe ich die Freuden der Selbstbefriedigung entdeckt habe. Ich kam da echt spät dazu. Durch Gespräche mit anderen Frauen, durch meine Erfahrungen mit Frauen.
Erzählen Sie mir von Ihrem beglückendsten sexuellen Erlebnis.
Meine aufregendste Zeit hatte ich mit einer Frau in den Neunzigern. Sie lebte in England und ich in New York. Wir haben uns in verschiedenen Städten getroffen, in denen ich aufgetreten bin oder Workshops gegeben habe. Das war eine großartige Romanze, ein Abenteuer. Wir haben sehr viel Zeit mit Telefonieren verbracht, mit Telefonsex. Wir waren wirklich versessen aufeinander. Weil wir uns so selten gesehen haben, war unsere gemeinsame Zeit so intensiv. Ich denke, diese Art von Romanzen sind sehr erfüllend. Und diese intensive Nähe zu verlieren, das war nach knapp vier Jahren, ist sehr niederschmetternd.
Haben Sie deshalb doch noch geheiratet?
Nein, nein. Das war viel früher. Den Mann habe ich 1982 auf einem Festival in Amsterdam getroffen, auf dem ich performed habe. Und nach zwei Monaten habe ich festgestellt, dass ich schwanger bin. Da war ich schon zurück in New York. Was macht man da?! Wir haben geheiratet, zusammen in New York gelebt und das Kind gemeinsam aufgezogen.
Das klingt recht konventionell.
Na ja. Wir haben 18 Jahre zusammen gewohnt, weil wir unser Kind nicht allein lassen und eine Familie sein wollten. Und weil eine Wohnung in New York verdammt teuer ist. Wir haben uns gegenseitig sehr unterstützt, aber die körperliche Anziehungskraft war schnell weg. Deshalb hatten wir unser eigenes Leben, eigene Freunde, sexuelle Begegnungen.
Inzwischen sind Sie 65. Wie steht es heute um Ihre Sexualität?
Ich habe eine Menge One-Night-Stands. Ich reise halt unheimlich viel. Aufritte und Work-Shops in Berlin, Indien, New York, Australien, alles in ein paar Wochen. Ich treffe die Leute nur sehr kurz, da ist eine Beziehung schwierig.
Ist es nicht schwerer, potenzielle Sexualpartner zu treffen, wenn man, nun ja...
Wenn man alt ist? Natürlich bin ich nicht mehr jung. Und treffe auch nicht mehr so oft Menschen, mit denen ich schlafen möchte, wie in den Siebzigern. Damals war das leichter, aber es war auch oft furchtbar. Da hat der Typ gern mal ejakuliert und ist eingeschlafen. Und du selbst liegst in dieser Spermapfütze, hattest nicht mal einen Orgasmus und musst dann in dieser Pfütze masturbieren. So was hat mich wütend gemacht. Oh, ich denke, 75 Prozent des Sex, den man hat, wenn man jünger ist, kann man vergessen. Wenn man älter wird, wird man viel wählerischer.
Ist Ihr sexuelles Verlangen in all den Jahren gleich geblieben?
Ich weiß nicht. Ich denke mit Ende 20, Anfang 30, als meine biologische Uhr anfing zu ticken, hat das enorm meinen Sexualtrieb beeinflusst. Aber ansonsten ist mein Wunsch nach Sexualität Teil meiner Persönlichkeit. Es gab zum Beispiel auch Jahre, in denen ich abstinent war. Zwischen 2001 und 2007. Da war mir anderes wichtiger. Und jetzt habe ich eben wieder mehr Sex.
Heute sind Sie unter anderem bekannt für Ihre Strip-Show-Performances als Mann. Zehren Sie auch privat von Ihrer radikalen Art, sich zu präsentieren?
In gewisser Weise ja. Ich habe mir meine Radikalität immer bewahrt. Das hat mir auch viel Ärger beschert, aber vor allem Freude. Ich hatte und habe Sex mit sehr vielen Menschen, zu sehr vielen Gelegenheiten. Ich habe mal versucht, mich zu erinnern, wie viele das wohl waren. Aber das kann ich nicht.
Eins noch: Werden Männer auch immer besser im Bett, je älter Sie sind?
Dazu kann ich nichts sagen. Ich habe ja fast nur noch Sex mit Frauen. Nicht, dass ich keinen Sex mit Männern haben würde. Aber es kreuzen kaum noch welche meinen Weg, mit denen das passt. Und wenn, dann sind sie jung. Eher Anfang 30 als Mitte 60.
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