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Dialog im Beach-Club

Die Türkische Gemeinde in Deutschland lud zum interkulturellen Meinungsaustausch an die türkische Riviera. Journalisten und Politiker kamen  ■ Von Eberhard Seidel-Pielen

„Die Türkei zwischen Fundamentalismus und Laizismus und deren Auswirkungen auf die Deutschland-Türken“ – wo läßt sich das Thema besser diskutieren als in einem der Feriendörfer an der türkischen Riviera?

„Gehört die Türkei zu Europa?“ Ja, natürlich. Was will man auf solch eine Frage auch anderes antworten, wenn man im klimatisierten Traum Palm-Beach sitzt. Wer mag da noch an solche Häßlichkeiten wie Menschenrechtsverletzungen, Armut, Folter und Krieg im Südosten denken? Das Elend Anatoliens ist ausgesperrt. Drinnen gibt es nichts, was des Deutschen Auge, Hirn oder Ohren irritieren könnte. Eine wohlgeordnete Welt ohne Widersprüche, deutschen Urlaubern vom Hamburger Reiseunternehmer Vural Öger nähergebracht.

Vural Öger ist der Beweis, daß es ihn tatsächlich gibt – den anderen Türken, jenseits von Döner, Moschee und Gemüse. Der Fundamentalismus lockt ihn nicht, allenfalls der wirtschaftliche Erfolg. Binnen weniger Jahrzehnte hat er es geschafft. Aus dem Berliner TU-Studenten wurde der Anbieter von Gastarbeiterflügen; aus dem Anbieter von Billigflügen wurde der sechstgrößte Reiseunternehmer Deutschlands und ein respektabler Hamburger Großbürger. Vural Öger, stellvertretender Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), lud zum Symposium an die Südküste der Türkei, und rund 60 Journalisten und Politiker aus Deutschland und der Türkei kamen, um mit ihm und seinen TGD- Mitstreitern über „Die Türkei zwischen Fundamentalismus und Laizismus“ zu diskutieren.

Welche Türkei? Angesichts der sich am Pool genüßlich in der Sonne räkelnden TouristInnen drängen sich unweigerlich ganz andere Problemstellungen auf. Mit ein wenig Konzentration und Imagination gelang es dann doch, zwischen beeindruckenden Mahlzeiten der Frage nachzugehen: Wie konnte es geschehen, daß in einem Land, das bereits vor knapp 75 Jahren den Laizismus (Trennung von Staat und Religion) in der Verfassung verankert hat, die Fundamentalisten plötzlich als eine Gefahr erscheinen?

Eine recht eigenwillige Erklärung lieferten der türkische Religionswissenschaftler Hüseyin Atay und der Bonner Korrespondent der Tageszeitung Milliyet, Mehmed Aktan. Deutschland sei, wenn nicht gänzlich schuldig, so doch in erheblichem Maße mitverantwortlich. Schließlich, so die Begründung, hätten bundesdeutsche Behörden dem Aufbau islamistischer Organisationen lange Jahre untätig zugesehen. Von Deutschland aus unterwanderten diese dann ungestört die demokratische Türkei. Eine bizarre These. Sie erlaubt ihren Propagandisten, sich auch in Zukunft um eines der großen Tabus der Türkei herumzudrücken – der kritischen Auseinandersetzung mit dem Kemalismus. Der Kolumnist der linksliberalen Tageszeitung Cumhuriyet, Toktamiș Ateș, beschränkte sich in seinem Grundsatzreferat darauf, den zivilisatorischen Charakter der kemalistischen Revolution zu unterstreichen. Demnach war sie die Transformation einer theokratischen Monarchie in eine Republik, die Untertanen in mündige Bürger verwandelte.

Mehmet Ali Kilicbay, ein als Provokateur berüchtigter Hochschullehrer aus Ankara, meldete Zweifel an. Er fragte, wie stabil eine laizistische Verfassung sein kann, wenn sie Menschen gegen ihren erklärten Willen und häufig mit Gewalt aufgezwungen wurde? Wie demokratisch ist ein Gesellschaftsprojekt, wenn westlich orientierte Eliten bestimmen, welche Kleidung zu tragen, welche Musik zu hören, welche Sprache zu sprechen ist? Auch heute, so Kilicbay, sei die Türkei noch weit von einer Bürgergesellschaft entfernt, weil es den kemalistisch orientierten Eliten bis heute nicht gelang, das Volk für sich zu gewinnen.

Zur Erklärung der aktuellen Krise des politischen Systems lenkte eine Teilnehmerin den Blick zurück in das Jahr 1980. Damals putschte das Militär gegen eine rebellische Jugend und deren Ideale von mehr Freiheit und Gleichheit. Dem eigentlichen Problem der Türkei, der gerechteren Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, stellte sich das Militär nicht. Ganz im Gegenteil. Die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößerte sich in den Folgejahren.

Der Sozialismus, auch der demokratische, geriet nach 1980 ins Abseits. Als Ersatz für gesellschaftliche Reformen bot das kemalistische Establishment den Darbenden die Religion an. Ab 1983 förderte das Militär ausgerechnet die Hatip-Schulen (Koranschulen), die sie heute gerne wieder schließen würden.

Während sich die feinere (kemalistische) Gesellschaft in Antalya oder Bodrum tummelt und darüber erregt, daß „das Volk“ in die Städte strömt und diese anatolisiert, sind die Aktivisten der Refah-Partei vor Ort bestens organisiert. Wie einst die zerschlagenen kommunistischen und sozialistischen Stadtteilgruppen kennen sie die Nöte der Menschen vor Ort.

Ist die Regierungsbeteiligung der Refah-Partei nur eine historische Episode, die sich schon bald erledigt? Nach Einschätzung Günter Seuferts, Mitarbeiter des Orient-Instituts in Istanbul, ist der Islam als „Sittlichkeit“ weit tiefer in der Gesellschaft verankert, als dies die 21 Prozent Stimmenanteil der Refah-Partei vermuten lassen. Und weil diese „Sittlichkeit“ von Teilen der bürgerlichen Kräfte mißachtet wird, entstünden Solidarisierungseffekte mit der Wohlfahrtspartei Erbakans, die weit über das bisherige Wählerpotential hinausreichten.

Als der Bielefelder Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer einige Thesen seiner umstrittenen Studie „Verlockender Fundamentalismus“ (die taz berichtete) vorgetragen hatte, kam doch noch Stimmung auf. Wie auf Kommando attackierte die Vorstandsriege des TGD Heitmeyer, zog die Wissenschaftlichkeit und die Ergebnisse in Zweifel. Dabei ging es bei der „Heitmeyer-Diskussion“ weniger um ein Richtig oder Falsch, sondern um die Frage, wer thematisiert Probleme des interkulturellen Zusammenlebens? Und da verfolgte die gastgebende TGD eine klare Linie: Die Probleme interkulturellen Zusammenlebens werden verschwinden, ist erst einmal die rechtliche Gleichstellung durchgesetzt, das Staatsangehörigkeitsrecht reformiert und die diskriminierende Gesetzgebung abgeschafft. Für einen Lobbyistenverband ist eine solche interessenbestimmte Reduzierung komplexer Zusammenhänge legitim, ja notwendig. Für eine Annäherung an die bundesdeutsche Wirklichkeit ist sie untauglich.

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