piwik no script img

Deutschlands maue DebattenkulturDas Intellektuellendilemma

Nach dem Krieg sprach der Intellektuelle über Schuld. Heute hat er ein Problem: Nichts polarisiert wie die Vergangenheit. Worüber also reden?

Die Zeiten des ausgestreckten Zeigefingers sind für Intellektuelle vorbei. Bild: dpa

„Pinscher“ nannte Bundeskanzler Ludwig Erhard mit liebevoller Verachtung die deutschen Intellektuellen. Er konnte sich des Beifalls der Mehrheitsgesellschaft sicher sein. Das war 1965. Wenige Jahre später wendete sich das Blatt.

1968, im Jahr der Revolte, veränderte sich auch das Verhältnis der Republik zu ihren Vordenkern. In der Folge wurden neue Bezeichnungen für jene ausprobiert, die sich, ohne politisches Amt, in die Belange der Politik einmischten, um Missstände anzuprangern. Die Pinscher mauserten sich zu Verteidigern der Freiheit und streitbaren Demokraten.

Damals entstand das Vokabular, das wir jetzt wortgetreu in den Nachrufen auf jene erste Generation von „unbequemen“ Zeitgenossen der zweiten deutschen Republik wiederfinden. „Intellektueller“ wurde in Deutschland der neue Übername für engagierte Menschen, die von ihrem Verstand öffentlichen Gebrauch machten.

Aus eben diesem Jahr 1968 stammt eine Art Definitionsversuch, der dem Intellektuellen bescheinigt, nicht das Partikulare, sondern das Allgemeine im Blick zu haben: so sehr, dass er selbst die eigene Besonderheit auslöschen will.

Wo sind bloß unsere Intellektuellen? Die Titelgeschichte „Auf der Suche nach Adorno“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 29./30. Juni 2013. Darin außerdem: „Die verneinte Idylle“: Eine Fotoreportage über sterbende Dörfer. Und der Streit der Woche zur Frage: "Stuttgart, Rio, Istanbul: Schafft Wohlstand Protest?" Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Der Grundkonsens war „Antifaschismus“

Nur wer bereit sei, „im Namen des Allgemeinen das Besondere in ihm selbst und damit überall zu bekämpfen, ist ein Intellektueller,“ meinte Jean-Paul Sartre, der französische Großintellektuelle des 20. Jahrhunderts. Offenbar beflügelt vom Zeitgeist, fand er Grund und Mut, diesen definitorischen Trompetenstoß um den Fundamentalsatz zu erweitern, „daß kein Intellektueller existiert, der nicht ’links‘ ist“. So sieht man es seither vor allem in Deutschland, während sich Frankreich, das Mutterland der Intellektuellen, längst von solcher politischen Einäugigkeit verabschiedet hat.

Blicken wir zurück. Nachdem aus dem Volk der Dichter und Denker im NS-Staat das der Richter und Henker geworden war, konnte kritisches Denken in der neuen Republik nur ein Ziel haben. Der exemplarische deutsche Intellektuelle der Nachkriegszeit, Theodor W. Adorno, fasste es in den kategorischen Imperativ, alles sei dafür zu tun, „daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts ähnliches geschehe“.

Und er ließ keinen Zweifel daran, dass eine Wiederholung nur auszuschließen sei, wenn die weiter existierenden gesellschaftlichen – sprich: kapitalistischen – Grundlagen radikal verändert würden: „Die Gefahr ist objektiv; nicht primär in den Menschen gelegen.“ Diese antikapitalistische, ganz im Sartre’schen Sinne linke Perspektive war in Westdeutschland vor 1968 die einer kleinen Minderheit, die nahezu ein Monopol auf Kritik innehatte.

Christian Schneider

Christian Schneider, 62, ist Sozialpsychologe. Er lehrte an den Universitäten Hannover und Kassel und forschte zur Generationengeschichte des Nationalsozialismus. Zuletzt hat Schneider für die sonntaz die nächste Politikergeneration porträtiert. Von Boris Palmer bis Ilse Aigner finden sich seine Texte unter taz.de/diagnose1 bis taz.de/diagnose6

Die richtige und die falsche Seite

Mochten in Staat, Wirtschaft, Politik und Verwaltung noch alte Nazis zuhauf wichtige Funktionen innehaben: Der „Geist“ hatte, Schreckschussgewehr bei Fuß, links zu stehen. „Antifaschismus“ hieß, über die politischen Systemgrenzen hinweg, der Grundkonsensus der kritischen Intelligenzija. Mit Blick auf die Geschichtskatastrophe war es unverrückbares Programm und Gebot jedes Intellektuellen, dem Adorno’schen Imperativ zu folgen. Der Parole „Nie wieder“ war der Gestus der Mahnung eingeschrieben, eine Wiederholungsphobie, die die alte „welthistorische Alternative“ von Faschismus und Sozialismus wiederaufleben ließ.

Damals, in den zwanziger und dreißiger Jahren, gab es scheinbar glasklar eine richtige und eine falsche Seite samt der moralisch fordernden Frage „Which side are you on?“ Diese schöne Dichotomie war nun der viel unklareren Ost-West-Konfrontation mit ihren vielgestaltigen Ambivalenzen gewichen. Ja, wo stand man nun eigentlich als letztlich pro-westlicher Kapitalismuskritiker in einem geteilten Land und einer durch und durch antikommunistischen Gesellschaft?

„Der Intellektuelle in unserer Zeit ist ein politischer Neurotiker“, konstatierte der Schriftsteller und Exkommunist Arthur Koestler 1953. „Er trägt einen eigenen Eisernen Vorhang in seinem Schädel.“ Die westdeutschen Intellektuellen lebten in einer schizophrenen Situation. Ihr aus dem Antifaschismus erwachsender Anti-Antikommunismus, damals eine durchaus ehrenwerte Option, machte viele auf dem linken Auge blind. Gerade nach 68 wurde es deutlich. Während sich in Frankreich spätestens Mitte der siebziger Jahre mit dem durch Solschenizyn ausgelösten Gulag-Schock der Blick der Intellektuellen auf den Kommunismus und die UdSSR radikal wandelte, war in Deutschland keine Rede davon: Man blieb linientreu.

„Der deutsche Intellektuelle“, so schrieb im Herbst des Staatssozialismus der ostdeutsche Dichter Rainer Kunze, „hat einen besonderen Hang zu in sich geschlossenen Denksystemen, und in denen hält er stand wie ein Zinnsoldat, der auch dann nicht schmilzt, wenn die Wirklichkeit außerhalb seines Denksystems die Hölle ist.“

Nichts beweist das mehr als das Epochenjahr 1989. Dass der Ereigniszusammenhang, für den „89“ steht, noch wenig begriffen, ja kaum in die deutsche Denkgeschichte integriert ist, hat viel mit der intellektuellen Tradition des Anti-Antikommunismus und der Fixierung auf die rechte Vergangenheit zu tun. Sie impliziert eine bis heute wirkende, an die Altershierarchie des Vatikans erinnernde Fixierung auf bestimmte Leitfiguren.

Es muss nachdenklich machen, dass nach wie vor Günter Grass die Rolle des Topintellektuellen der Bundesrepublik besetzen kann. Er baute sich seinen moralischen Denkmalsockel durch furiose Anklagen gegen alte Nazis, wortreiche Attacken gegen das Verschweigen der NS-Vergangenheit. Dass das Amt des Klägers auch den Sinn haben kann, ihm selber Immunität zu verschaffen, gehört zur Geschichte der deutschen Intellektuellen nach 1945.

Bezahlt wird mit Aufmerksamkeit

Es ist mehr als bittere Ironie, dass einige aus der alten Garde intellektueller Chefankläger mittlerweile als Nazimitläufer (oder mehr) geoutet sind: Es ist ein Symptom. Die rigorosesten Moralattacken pflegen gerne von denen zu kommen, die damit ein eigenes Schuldproblem bewältigen wollen. Auch wenn diese Problematik sich, aus biologischen Gründen, mittlerweile bald erledigt haben wird – aufgearbeitet ist sie bei weitem nicht.

Derzeit erleben wir wenn nicht das Ende, so doch einen Funktionswandel der alten „Nie-wieder“-Mahnkultur. Das Paradigma verliert an moralischer Bindungskraft, der erigierte Zeigefinger stochert immer häufiger hilflos in der Luft.

Wofür ereifern sich Intellektuelle heute? Mit welchem Grund, welcher Legitimation? Gibt es noch Themen, die ähnlich polarisieren, ähnlich moralisierbar sind wie die aufregend mörderische Vergangenheit? Und die Währung garantieren, in der Intellektuelle sich bezahlen lassen: öffentliche Aufmerksamkeit?

Denn das vergaß Sartre zu sagen: So sehr sein idealisierter Intellektueller das Allgemeine im Blick haben mag – er tut es nicht zuletzt zur Pflege seiner höchstpersönlichen Besonderheit, die er angeblich bekämpft.

Nicht dass man es unbedingt kritisieren muss. Aber man könnte darüber nachdenken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • BB
    Betty Boop

    Die Philosophen heute könnten sich mit der Frage beschäftigen, wie man leben sollte.

  • L
    lowandorder

    Ja geht's noch?

     

    "„Pinscher“ nannte Bundeskanzler Ludwig Erhard mit liebevoller Verachtung die deutschen Intellektuellen…"

     

    Wer so startet, überstrapaziert die Gnade der späten Geburt

    und hat sich nicht sonst schlau gemacht.

     

    " liebevoll"? -

    Vor ein paar Wochen ist in der taz an die nochmalige,

    annährend zeitgleiche Verbrennung der Bücher von Erich Kästner

    und …weiter der von Satre in Düsseldorf erinnert

    worden. You get it? Das war bitterer Ernst - was sonst!

     

    Der ( ohnehin völlig überschätzte) "Nazizeit-Übriggebliebene"

    und Erfinder/Apologet: Der Formierten Gesellschaft,

    Ludwig Ehrhard, fühlte sich persönlich von Mitgliedern

    der Gruppe 47 angegriffen und meinte sein

    Verdikt bitter ernst.

     

    Intellektuelle, Künstler, Dichter - dafür war in seiner

    Formierten (Wirtschafts) Gesellschaft naheliegenderweise

    kein Platz;

    zumindest aber sollten sie die Klappe halten.

    ( was ich bei unserem verlogen-ramenternden

    Berufsmoralisten Günter G.-SS schon damals sehr sehr begrüßt hätte.)

     

    Und weiter im Text der schiefen Parameter.

    Günter WaffenSSGrass gehörte auch dazu.

    Kein geringerer als Alfred Andersch befand schon

    damals aber völlig zu recht:

    " politischer Plattekopf"

    und - mit Verlaub - daran hat sich nichts geändert.

     

    Aber für einen Christian Schneider

    "…muss (es) nachdenklich machen, dass nach wie vor Günter Grass die Rolle des Topintellektuellen der Bundesrepublik besetzen kann."

     

    Ja bitte, bei wem denn?

    Und zwar schon vor seiner Zwiebelei.

    Meinen Sie denn Intellektualität wächst auf den

    Bäumen und nach?

    Nicht einmal in Kaschubien!

    Sorry - aber für wie blöd halten Sie eigentlich " das Publikum"?

     

    Und nochens.

    "…machte viele auf dem linken Auge blind.

    Gerade nach 68 wurde es deutlich. Während sich in Frankreich spätestens Mitte der siebziger Jahre…der Blick der Intellektuellen auf den Kommunismus und die UdSSR radikal wandelte, war in Deutschland keine Rede davon: Man blieb linientreu."

     

    "Linientreu"? - ja wer denn? welche Linie, bitte!

    Das ist - mit Verlaub - schon leicht benagelt.

    Wozu es schick paßt, daß Roß und Reiter einfach

    nicht genannt werden.

     

    Hans Blumenberg und Jürgen Habermas

    schrieben bei Suhrkamp in einer Reihe,

    Ralf Dahrendorf, Theodor Eschenburg ( zuvor Karl Jaspers)

    und - mit den bekannten Einschränkungen -

    ein Heinrich Böll;

    wollen Sie die alle als fellow traveller hinstellen?

    Wie kommt man, wie kommen Sie auf dieses

    schmale Brett?

     

    Frankreich ist ja gerade wohl das schlechteste Beispiel;

    ein scharfer Anti-Kommunismus existiert(e) gar nicht;

    dennoch blieb die KPF - anders z.B. Italien -

    lange scharfer Gegner des Euro-Kommunismus.

    Einfach mal dazu Jorg Semprun lesen;

    auch wie er den Wandel Yve Montand/Simon Signoret

    beschreibt.

     

    Ja - es gab einige fellow traveller,

    und sie und ihre Nachbeter

    hielten sich für den " Nabel des Geistes";

    ihr Zusammenstoß mit der Realität

    - meistens nach der Wende - war und bleibt bizarr;

    aber es ist schlicht Schludderigkeit, das hier

    als vermeintlich reale Abbildung aufzublasen

    bzw nachzubeten.

    Was eine dünne Suppe!

  • A
    anonyma

    Keine Kriegsbeteiligung?

     

    War nicht der Krieg an allem Schuld?

     

    Da nutzt sich schuldigen zu fühlen - die ganze Zeit herum zu laufen zuversuchen "böse Worte" zu bekämpfen.

     

    Migrantionshintergrund usw nach super hat sich ein Wort geändert - zu vergleichen - machen wir den Winkel rot oder gelb oder vielleicht kein Dreieck oder vielleicht drei Punkte...

     

    Wie ein Mensch zu Tode kam ist schon faszierend - aber tot ist ob vergast, verhungert, erschlagen, auf dem Schlachtfeld erschossen, in Selbstmord getrieben, zur Auferrechterhalt der offentlichen Ordnung erschossen, aufgrund unterlassen Hilfeleistung auf der Straße zu Tode gekommen...

     

    jedes zerstörte Leben schadet der Gemeinschaft denn in Europa sind im Gegenteil zu anderen Konitineten zu wenig statt zu viele Menschen in bestimmten Altersklassen.

     

    In Kopfen bleibt "ich will anderes sein" und deshalb grenzen sich die Menschen irgendwie ab mit irgendeinem austauschbarem Attribut....

  • A
    anonyma

    @ Flo

     

    sind auch Menschen*, die einen sowas oder irgendwas anderes an den Kopf schmeissen oder glauben man sei blöd und einem Zeugs erklären - dauert manchmal eine Weile bis man zur Nachsicht gelangt....

     

    Schafhirte auf Lande wäre fast eine Alternative - nein und Dankschön an Herrn Feuerbach...

     

    *andere Einsichtsphase

     

    bei Junghegelaner hau ich allerdings dann zu :D

  • SB
    Siegfried Bosch

    Die Kritik hier bleibt meilenweit hinter Schelskys "Die Arbeit tun die anderen" zurück. Der hat alles bereits vorhergesehen und u.a. den Egoismus und den Herrschaftsanspruch der Intellektuellen, der übrigens insbesondere zu ihrem eigenem persönlichem, materiellem Vorteil benutzt wird, aufgezeigt.

  • R
    reorient

    Es gaebe schon genug zu diskutieren, wenn denn nicht die Schere im Kopf und eine oppositionellen Intellektuellen gegenueber recht feindselig Gesellschaft waeren. Das Problem ist ein repressives gesellschaftliches und oekonomisches Klima, das einen Grossteil diejenigen, die jenseits des Mainstreams denken, reden und schreiben, gnadenlos als "unbrauchbar" aussortiert bzw. in prekaere Existenzen abdraengt, z.T. kommt es auch zu handfesteren Repressionen, wenn jemand zu unbequem wird.

  • H
    hto

    Intellektuelle sind Symptome des "Individualbewußtseins" in Bildung zu Suppenkaspermentalität / der "individualbewußten" Bewußtseinsbetäubung im / für nun "freiheitlichen" Wettbewerb um ... (der wiederum nur das blöd-, stumpf- und wahnsinnig kreislaufende Symptomatik des geistigen Stillstandes seit der "Vertreibung aus dem Paradies" ist).

     

    "Nie wieder"? - Die daraus resultierende Konfusion in Überproduktion von Kommunikationsmüll mußte schließlich wieder einmal im "Dilemma" der absoluten Zweifelhaftigkeit kulminieren!?

  • FR
    Freie Rede

    Ohne freie Rede gibt es keine Debatte und man hört eben nichts außer Mainstream. Sarrazin war ein gutes Beispiel für den Zustand der freien Rede bei uns. Reden konnte er. In seinem Buch. Das sollte dann als "Kunst" in Berlin geschreddert werden. Er wurde medial von der bewegung geschreddert. Jobverlust und Erklärung zum Nazisrassisten. Immerhin bekam er Gersonenschutz. Das ist schon mal besser als bei Dutschke. Die Menschen haben Angst. Deshalb kommt nichts außer dem 70/80er Mainstream der Bewegung. Bewegungen kommen und gehen. In Zukunft hat dann eben jemand anderes Angst. Die freie Rede gibt es dann auch nicht und die Angst bleibt.

  • EB
    erik böllerts

    Die kapitalistische Triebstruktur zeigt ihre Langzeitwirkungen: Sex, Drugs and Rockn Roll gingen auch nicht spurlos an den Intellektuellen vorüber.

    Sie irrten streckenweise ziellos umher, laberten zuviel Unverstandenes über zuviele Dinge, schmissen Steine, fickten viel und wurden schließlich Papis, kauften Gehäuse und erlagen Karriereplänen.

    Schliesslich wurden sie zwischen fies geierigen Neocons und spiessig dumpfen Spezialdemokraten an der Basis aufgerieben. Der Bimbes blieb der eigentliche Magnet.

    Die Kraft des reinen Geistes allein reichte nicht zur Systemüberwindung aus. Es brauchte Veränderungen gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, die allenfalls langfristig, aber nicht spontan zu erreichen waren.

    Das Projekt erwies sich in der Praxis oft tückischer, als in der strahlenden Theorie vorhergesehen. Hinzu kam ein unterschätzter subjektiver Faktor, der die Aufspaltung der Kräfte in Individuen nährte; das Partikulare schlich sich unbemerkt in die Köpfe zurück.

     

    Die Themen sind teils geblieben, was sie waren, teils sind neue hinzugekommen. An kritikfähiger Inhumanität der schwärzesten aller CDU/CSU-Jahre mangelt es nicht, was fehlt ist ein Konsens über die Notwendigkeit einer neuen, einer übergreifenden Verständigung.

    Und natürlich braucht es ein Forum der Langzeit-Qualifizierten - abseits der säuselnden narzistischen Schminktöpfe in grellbunten Trendoutfits - das sich verständlich zu machen weiß und die Kommunikationsfehler der Vergangenheit nicht wiederholt.

    Horkheimer, Adorno, Marcuse haben uns einen großen wertvollen Ball zugespielt, der weit über das Feld des Antifaschismus hinaus fliegen möchte. Dazu bedarf es jedoch eines neuen Spielertypus', der das Schisma einer praxislosen Theorie überwindet.

  • M
    Michel_Berlin

    "Die rigorosesten Moralattacken pflegen gerne von denen zu kommen, die damit ein eigenes Schuldproblem bewältigen wollen."

     

    Wie wahr, wie wahr!

     

    Ein wundervoller und lange überfälliger Artikel, Danke!

  • HG
    Hans Gruber

    Das Problem ist einfach zu finden in dem Satz das Intellektueller zu sein prinzipiell heisst links zu sein...wird Zeit das dieses Monopol bricht.

  • F
    Flo

    "Denn das vergaß Sartre zu sagen: So sehr sein idealisierter Intellektueller das Allgemeine im Blick haben mag – er tut es nicht zuletzt zur Pflege seiner höchstpersönlichen Besonderheit, die er angeblich bekämpft."

     

    Es ist schade, dass Menschen, die sich offenkundig der "Verbesserung der Welt" verschrieben haben, der Pflege ihrer "höchstpersönlichen Besonderheit" bezichtigt werden. Wertschätzung bleibt hier ein wenig auf der Strecke. Genau wie beim Sonntag-Bericht über Richard David Precht. Anstatt seinen Enthusiasmus zu würdigen, beschwert man sich, dass er der Masse Wissen vermitteln will. Anscheinend haben vermeintliche-heutige Intellektuelle Angst vor dem Verlust der Bedeutung ihrer Meinung.

  • AU
    Andreas Urstadt

    Skills wie Ganzheitlichkeit hat man in der Empathie entdeckt, das Rationelle wurde als Abwehrmechsnismus gegenueber dem Gegenstand entlarvt. Gutmenschendemos und deren Wortfuehrer wurden als positiver Rassismus geoutet.

     

    Dr. Angela Merkel redet von Mass und Mitte und partikularisiert dabei scheinbar nicht, was sie aber dabei gerade tut. Wenn das keiner merkt und nicht adaequat begruendet fehlt Peilung. Mit der Perspektive von Intellektuellen peilt man s aber nicht. Intellektuelle sind schnell als Mangelwesen entlarvt.

     

    Der EQ ist laengst ein gleichwichtiger skill.

     

    Die Intellektuellen haben sich spaetestens Anfang der 90er Jahre selbst erledigt. Gleichzeitig war es logisch, dass lange komplizierte Aufsaetze in Wochenzeitschriften usw immer kuerzer wurden.

     

    Es gibt pro Jahr ueber 5000 Suizide wegen Mobbing in Deutschland. Dickes Schweigen. Seit Jahrzehnten. Kommt s drauf an, wird versagt. Es kommt nichts.

     

    Die Medien haben sog Intellektuelle durch Experten ersetzt, es wird ganz offen kraeftig partikularisiert.

     

    Wissen wurde soziales Kapital zum eigenen Aufstieg.

     

    Konsequenzen will niemand ziehen, so ein verzweifelter Journalist und Buchautor, die Leute lesen, wissen und tun nichts. Riskieren nichts. Sartre sagte, wer sich selbst nicht riskiert, erreicht nichts. Es gibt viele sinnlose Karrieren inkl Experten, die nie was riskiert haben. Staendig tauchen sie als Label wieder in den Medien auf.

     

    Sartre war kein Intellektueller? Es faellt allerdings auf, dass zwischen Worten und Dingen der EQ unterdrueckt wird. Ohne EQ wird das Kunststueck fertig gebracht, von den Dingen und Worten getrennt zu bleiben. Die sogenannten Intellektuellen partikularisierten alle. Damit verfehlt man die Welt. Eine Moral auf Ratio ist "Wortwichserei (Kittler)".

     

    Dr. Merkel partikularisiert. Das tun alle, die mit Programmen arbeiten. Das tun alle, die disputieren.

     

    Der Autor hat die Basics nicht erfasst.

     

    Empathie ist, wenn ueber 5000 Suizide wegen Mobbing pro Jahr zu einem Skandal fuehren.

    Empathie ist, wenn die Amerikaner das Abhoeren ihrer Freunde in Uebersee skandalisieren usw - nichts davon passiert.

     

    Stattdessen grosse Indolenz, das zeigt auch, was fuer ein dumpfer Zeitgenosse der Intellektuelle war. Kuerzlich erschien in der taz eine wahnwitzige Analyse ueber ein Maruschainterview. Intellektuelle stehen bei der taz noch in Lohn und Brot.

     

    Allein der gefuehrte Diskurs ist verdaechtig.

     

    Paulo Freire haette sich gekringelt bei der Sascha Lobo Analyse. Aus Freires Sicht waere ein Intellektueller ein ismus, genauso wie der Aktivist auf der andern Seite. Oft ist in dem Diskurs ein und dieselbe Person.

  • F
    FriendofAdorno

    Die Angst des Intellektuellen vor dem "shitstorm". Das wird wohl der Grund sein, weshalb die intellektuelle Debattenkultur "am Arsch" ist. Sie haben einfach keine Lust, sich mit dem Gerülpse des Pöbels zu beschäftigen oder von diesem angegriffen zu werden.

  • KT
    Kein Täter

    Ich finde den Artikel wirklich sehr erfrischend. Geschichte ist unglaublich wichtig um die Welt zu verstehen. Von Generation zu Generation wird die Geschichte via kollektivem Gedächtnis weiter getragen und beeinflusst natürlich den Fluss der Dinge und die jeweilige Gesellschaft. Problematisch wird es dann, wenn Geschichte eingesetzt wird um einzelne Menschen, mehrere Menschen, Gruppen, Völker, Staaten, damit gedanklich zu knebeln. Mein Sohn, 6 Jahre alt ist eben kein Täter... Bei all den grausamen Dingen, die passiert sind, ist es für eine Gesellschaft hinderlich, sich stets nur in diesem Gedankenspektrum aufzuhalten. Die Medien allgemein, leisten hier einen sehr großen Beitrag, indem sie die Menschen immer wieder mit Bildern, Filmen und Vorwürfen drangsalieren, ja quasi gedanklich auspeitschen und nicht zur Ruhe kommen lassen. Mein Sohn, 6 Jahre, ist nicht als Täter auf die Welt gekommen. Niemand kommt als Täter auf die Welt. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte ist insgesamt aber schon sehr wichtig. Aber es darf nicht zu einseitig sein. Und man muss Geschichte auch in globalen Zusammenhängen sehen, sich nicht, wie vielfach geschieht, in einzelnen Schlachten aufhalten usw. Dann kann Geschichte unglaublich interessant sein. Wie haben die Menschen im 16 Jhd. getickt? Was blieb uns erhalten? usw. Kulturen, Wirtschaftssysteme und, und, sind dadurch geprägt worden. Eine vernetztere Darstellung, in Zusammenhang auch mit außergeschichtlichen Themen fehlt vollkomen in unserer Medienkultur. Oft bewegt sich der Historiker nur im Klein-Klein. Vereinfacht gesagt, mit ein bisschen Fantasie kann ich auch in einen Kieselstein einen Nazi hinein interpretieren. Und da so langsam die großen Geschichten ausgehen, beschäftigen sich viele mit dem Kiesel. Ich bin ein Geschichtsfan. Es muss einem aber auch immer bewusst sein, dass Geschichte auch Auslegungssache ist. Wahrheiten, Ereignisse müssen natürlich aufgehoben werden. Aber sie müssen auch nicht permanent Gegenstand der Diskussion sein. Weil das nicht weiter führt und uns zu geistigen Gefangenen macht. Dennoch über Geschichte lassen sich Generationen von kollektiven Gedächtnissen und Kulturen studieren. Und es gibt ja auch schöne Dinge. Gewisse Institutionen, die sich als moralische Instanz wähnen, haben aber die ehrliche Aufarbeitung noch vor sich. Das gilt auch für andere Staaten. Wenn sie das nicht tun, werden sie nie glaubhaft sein, nicht für den, der ihre Bücher und Kultur studiert hat. Und die Zeitgeschichte, die Hintergründe, wirtschaftlich, Investments usw., wer steckt hinter was, sollte im Fokus stehen.

  • S
    S.K

    Wer über eine sozialistische Zukunft nachdenkt und entsprechend handeln möchte, wird sich über mangelnden Widerspruch nicht beklagen können.

  • C
    Cometh

    Immerhin: Ein kleiner Hauch von Selbstkritik, man muss es loben.

     

    Der Begriff "Intellektueller" läuft heute leer, denn man hat sich selbst abgeschafft und alle, die sich heute so nennen lösen nur Schaudern aus. So etwas will keiner sein, mit Halbbilldung und Größenwahn und Pullover. Früher musste man die ertragen, jetzt kann man weglaufen, das ist der Fortschritt...

  • B
    bigbrother

    Also ich kann kein Dilemma erkennen. Statt Themen zu behandeln die ca. siebzig Jahre zurückliegen und von einer anderen Zunft "beackert" wird (Historiker)

    könnte die Intelligenzia sich vieleicht auch mal der wahren Geißel der Welt zuwenden.

    Das aus Schuld entsprungene, verzinste Geld welches immer in die Verelendung führte. Ob Sozialisten, Faschisten, Paternale oder Liberale, alle wahren den Herschern der Leitwährungen ausgeliefert.

    Dies in der Bevölkerung zu verbreiten wäre eine noble (meiner meinung) Aufgabe. Pluspunkte gäbe es auch noch für Alternativen.

    So ist den Menschen geholfen und die Kopfakrobaten haben endlich was sinnvolles zu tun.

     

    Für Interesierte einige Schlagwörter zum Thema Geld;

     

    Silvio Gesell, Wörgl Freigeld, negativer Zins,

    Prof. Senf, Zinseszinsfalle......

     

    Ich möchte darauf hinweisen das meine Geldkritik ohne ethnische oder religiöse Schuldzuweisungen auskommt.

     

    in diesem Sinne

     

    der Humanismus

  • G
    Garuni

    "Gibt es noch Themen, die ähnlich polarisieren, ähnlich moralisierbar sind wie die aufregend mörderische Vergangenheit?"

     

    Wie wärs mit der möderischen Gegenwart?