Deutschlands Rolle in Tschad und Sudan: Schillernde Annäherung
Tschad beherbergt über eine Million Geflüchtete aus Sudan. Zugleich heizt das Regime den Krieg dort mit an. Nun vertieft Deutschland die Partnerschaft.
L achen. Eine Dreiviertelstunde lang drang kein Ton durch die schwere, mit Intarsien verzierte Holztür, dann dieses Lachen. Es hallt bis auf die Gänge des Außenministeriums heraus. Ein paar Sekunden später fliegt die Tür auf. Sichtlich erheitert kommt die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hindurch. Kurz gefolgt von Abderaman Koulamallah, Tschads Außenminister.
„Wir hatten einen sehr guten Austausch“, sagt Schulze. „Ich habe meine Anerkennung ausgesprochen, wie Tschad es schafft, mit so vielen Flüchtlingen umzugehen.“ Die Ministerin schwärmt von „offenen Türen“, von „Zugang“ zum Gesundheitssystem, von der Hilfe für Geflüchtete, selbstständig in Tschad zu leben. „Gerne unterstützen wir das“, sagt Schulze. „Ich habe für dieses Jahr 57 Millionen Euro zusätzlich hier zugesagt.“
Lachen. Wieder. Dieses Mal ist es die Reaktion auf die Frage des Journalisten aus Deutschland, was Außenminister Koulamallah denn von der europäischen Migrationspolitik halte. „Europa hat seine Politik“, sagt er. „Wir haben unsere.“
Er wolle, dass Geflüchtete nicht als Last gesehen werden, sondern als eine wirtschaftliche Chance, was sie ja auch seien. Tschad habe mit über 1,2 Millionen Quadratkilometern Fläche und nur 16 Millionen Einwohnern genug Platz. „Ich könnte jetzt philosophieren und sagen, na ja, die Welt gehört allen menschlichen Wesen“, so Koulamallah. „Aber … so was sagt ein Außenminister nicht.“
Krieg Seit Mitte April 2023 liefern sich Sudans Armee (SAF) und die Miliz „Rapid Support Forces“ (RSF) einen brutalen Krieg. Bis zu 150.000 Menschen sollen getötet worden sein. Über die Hälfte der Bevölkerung hungert.
Massenflucht Von rund 48 Millionen Einwohnern mussten seit Kriegsbeginn laut UNHCR rund 11,7 Millionen fliehen. 8,6 Millionen sind Binnenvertriebene, 3,1 Millionen haben Nachbarländer erreicht, an erster Stelle Ägypten.
Tschad beherbergt laut UNHCR 1,25 Millionen Flüchtlinge, davon 1,08 Millionen aus Sudan. 910.000 Menschen flohen seit April 2023 aus Sudan nach Tschad, davon 700.000 Sudanesen und 210.000 zurückkehrende Tschader. (D. J.)
Es ist Ende November in N’Djamena. Tschads Hauptstadt ist eine ruhige, heiße Metropole, durch die sich sandige orangerote Straßen winden und der trübe Fluss Schari, der in diesen Tagen ungewöhnlich viel Wasser führt. Zwischen der Ministerin eines der reichsten Staaten der Welt und dem Außenminister einer der ärmsten herrscht offenbar Harmonie. Tschad versorge Geflüchtete aus Sudan, sagt der Außenminister, und Europa unterstütze das Land mit Geld dabei – niemand müsse sich auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer begeben. Win-win. Oder?
Schulze leitet bei ihrem Tschad-Besuch eine Wiederannährung ein. Die deutsche Ministerin ist auch als Präsidentin der Sahel-Allianz gekommen, eines Bündnisses von Geberländern zur Unterstützung der Länder in der afrikanischen Sahelzone. Die gesamte Region ist schwer von Terror getroffen und vom Klimawandel. Es gibt extreme Dürren und Überschwemmungen. Außerdem ist die Region eine kritische Zone für Migration aus Afrika nach Europa.
„Wir werden die Entwicklungszusammenarbeit, also die langfristige Zusammenarbeit, ausbauen“, sagt Schulze über ihr Engagement in Tschad. Europa hat in der Sahelzone in den vergangenen Jahren an Einfluss verloren. 2020 und 2021 putschten Militärs in Mali, 2022 in Burkina Faso, 2023 dann auch in Niger, das besonders zentral für die Migrationsbewegungen ist. Die Militärherrscher wandten sich alle vom sogenannten Westen ab.
Niger kündigte gar ein Migrationsabkommen mit der EU, das jahrelang verhindert hatte, dass Menschen einfach den Staat Richtung Libyen durchqueren. Und die drei Sahelstaaten bauten ihre Partnerschaft mit Russland aus, mit Wladimir Putin, der Antithese europäischer Werte. Schnell stellte sich die Frage: Auf wen kann Europa in diesem Teil Afrikas noch setzen?
Im Umgang mit Tschad war vor allem Deutschland lange zurückhaltend, denn das Land wurde drei Jahrzehnte lang vom ehemaligen Kampfpiloten Idriss Déby regiert, Spitzname „Wüstencowboy“. Es war eine brutale Ära. Die Bundesrepublik legte selbst in der Entwicklungszusammenarbeit Wert darauf, zu betonen, dass Hilfe vor allem „regierungsfern“ erfolge. 2021 starb Déby, und Tschads Generäle setzten seinen Sohn Mahamat Déby als neuen Staatschef ein.
Deutschlands Botschafter im Land, der sich kritisch zu ihm äußerte, wurde des Landes verwiesen – „persona non grata“. Doch dieses Jahr gab es in Tschad tatsächlich Präsidentschaftswahlen, Mahamat Déby ist nun der gewählte Präsident und es gibt auch wieder einen deutschen Botschafter in N’Djamena.
„Wir sehen, dass der Tschad sich hier auf einen Weg gemacht hat, einen Transitionspfad“, sagt Schulze. „Die Präsidentschaftswahlen sind gelaufen, jetzt stehen die Parlamentswahlen an, die eben auch frei, transparent, inklusiv sein sollen.“ Sie spricht von einer notwendigen Grundlage für eine „verstärkte bilaterale Zusammenarbeit“. Transition? Freie Wahlen? Ist Tschad doch ein Partner? Vielleicht sogar ein Staat, der, wie einst Niger, dabei helfen kann, Migration zu lenken?
Fast 1.000 Kilometer von der Hauptstadt N’Djamena entfernt, nach einem Flug in einer kleinen Maschine des UN-Welternährungsprogramms und einer stundenlangen Fahrt über unbefestigte Straßen, erreicht man die Kleinstadt Adré, fast an der Grenze zu Sudan. Adré hatte einst 40.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Jetzt sind es 240.000. Und jeden Tag kommen neue hinzu. Es ist fast unmöglich, sich vom Boden aus einen Überblick zu verschaffen. Die Erde in diesem Teil Tschads ist flach, die vielen kleinen Zelte aus Planen und Tüchern in den Lagern am Rande von Adré ragen kaum aus der Ebene empor. Viele sind nicht mehr als ein helles Flirren am Horizont.
Zwei Tage nach ihrem Treffen mit Außenminister Koulamallah erreicht Ministerin Schulze dieses fragile Gebilde, das längst die Dimensionen einer Großstadt angenommen hat, in dem es kaum Häuser gibt, kaum Leitungen für Strom und Wasser, fast keine befestigte Infrastruktur. Schulze sitzt auf bunten Teppichen in einem der wenigen soliden Lagerzelte. Vor ihr hocken mehrere Frauen.
Halina Abdela Omar, in einem dunkelbraunen, gemusterten Gewand, ist in sich zusammengesunken. Sie stammt aus Sudan – wie die meisten der Geflüchteten hier. „Sie haben meinen Bruder vor meinen eigenen Augen ermordet“, sagt sie. Mit „sie“ meint Omar die Paramilitärs der Rapid Support Forces (RSF). Die liefern sich seit eineinhalb Jahren einen brutalen Machtkampf mit Sudans Armee. Eine Konfrontation, unter der vor allem die Zivilbevölkerung leidet, insbesondere in Darfur, das an Tschad grenzt. Im November 2023 zogen bewaffnete arabische Reiter der RSF durch Omars Ort Ardamata. „Sie töten nur Schwarze“, sagt die 32-Jährige. Dabei faltet sie ihre Hände, so als würde sie versuchen, sich selbst Halt zu geben.
Den RSF, deren Vorgängerorganisation Janjaweed schon 2003 für einen Genozid in Darfur verantwortlich zeichnete, werden von Menschenrechtsorganisationen und UN heute wieder „ethnische Säuberungen“ vorgeworfen. Die Miliz setzt auch Hunger als Waffe ein. Humanitäre Helfer bezeichnen Sudan als die vielleicht größte humanitäre Krise der Welt. „24 Millionen Menschenleben stehen auf dem Spiel“, so vor wenigen Wochen Jan Egeland, Ex-UN-Untergeneralsekretär und heute Chef des Norwegischen Flüchtlingsrates. „Wir erleben einen unerbittlichen Countdown hin zu Hungersnot, Verzweiflung und dem Zusammenbruch einer gesamten Zivilisation.“
12 Millionen Menschen in Sudan auf der Flucht
Halina Abdela Omar und die anderen in Adré machen nur einen Bruchteil der davon betroffenen Personen aus. 12 Millionen Menschen in Sudan, ein Viertel der Bevölkerung, sind auf der Flucht, etwas über 3 Millionen haben Sudan verlassen. Knapp 1,1 Millionen von ihnen sind in Tschad gelandet.
Eine Rückkehr Omars und anderer Geflüchteter ist nicht absehbar. Und Hunderttausende sind es, die bereits vor Jahrzehnten aus Darfur flohen. Flüchtlingslager haben sich in Tschad in Städte verwandelt. Das Nachbarland hat sich zum Zuhause vieler Sudanes:innen entwickelt. Allerdings rechnen Migrationsexperten damit, dass sich das ändern kann, wenn die wachsende Zahl an Sudanes:innen in Tschad keine Perspektiven mehr hat.
Und mit denen ist es dort so eine Sache. Das Land hat kaum genug, um die eigene Bevölkerung zu versorgen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag 2023 bei 13 Milliarden Euro. Das entspricht etwa dem BIP-Wert der Stadt Kiel. Mehr als 30 Prozent der Bevölkerung Tschads lebt in extremer Armut. Nur in Jemen und Somalia leiden laut Welthungerhilfe anteilig noch mehr Menschen unter Mangelernährung.
Die Gründe dafür, dass die Regierung Tschads trotzdem hilft, sind vielschichtig. Die Grenze zwischen Tschad und Sudan wurden einst von den Kolonialmächten durch die Landschaft gezogen. Westlich und östlich davon leben dieselben Volksgruppen, mitunter dieselben Familien. Es ist eine Solidarität unter Brüdern und Schwestern, Cousins und Cousinen.
Hinzu kommt, dass die Regierung Tschads in den Menschen aus Sudan tatsächlich auch potenzielle Fachkräfte sieht. Jene wirtschaftliche Chance, von der Außenminister Koulamallah spricht. Denn der Großteil der Menschen in Sudan kann lesen und schreiben. In Tschad trifft das nur auf jeden und jede Dritte zu. Auch Halina Abdela Omar gehört dazu: „Ich würde gern studieren und Lehrerin werden“, sagt sie.
Ministerin Svenja Schulze sitzt wenig später auf der Rückbank eines weißen Jeeps des UN-Welternährungsprogramms. Das Fahrzeug ruckelt über eine unbefestigte Piste zwischen Adré und dem nächsten Flughafen. „Wir gucken darauf, wie können die Menschen wieder in die Lage versetzt werden, sich selber zu helfen“, sagt die Politikerin. Sie spricht über die sogenannte Haguina-Initiative, die im Mittelpunkt ihres Besuchs im Tschad steht: Tschads Regierung verpachtet 100.000 Hektar Land für bis zu 15 Jahre kostenlos an Geflüchtete aus Sudan und Teile der tschadischen Bevölkerung, jeweils einen Hektar pro Familie.
Es handelt sich überwiegend um unfruchtbares Land – Land aber, das Potenzial hat, entwickelt zu werden. Dabei werden die Sudanesen und Tschader vom UN-Welternährungsprogramm unterstützt, das wiederum von Deutschland Geld bekommt. Auf diese Weise schaffen sich die Menschen selbst eine Perspektive, so zumindest die Idee.
Der weiße Jeep rumpelt durch eines der unzähligen Schlaglöcher. Schulze schaukelt von links nach rechts. Auf die Frage, ob es Priorität für sie habe, dass die Menschen hier in Tschad bleiben, statt nach Europa aufzubrechen, antwortet sie: „Das ist erst mal im Interesse der Flüchtlinge hier. Sie wollen hier bleiben.“ Schulze fügt hinzu: „Natürlich haben wir in Deutschland auch was davon.“ Geflüchtete aus Sudan im großen Stil nach Europa zu holen ist nicht geplant.
Während der Jeep in das nächste Schlagloch kracht, fängt Schulze an, über die geflüchteten Frauen zu sprechen, die sie während ihrer Reise getroffen hat. „Sie hatten gehört, dass es in Deutschland Onlinekurse gibt“, erklärt sie. „Wenn das Netz funktioniert, würden sie gern lernen. Das machen wir, das ist ein offenes Angebot.“ Ein Stück Land und ein Fernstudium für Halina Abdela Omar?
Dass die Ministerin und Präsidentin der Sahelallianz mit zusätzlichen Millionen kommt, ist auf jeden Fall ein Signal – auch an andere EU-Staaten. Tschad war lange kein „Donor Darling“, also nicht unbedingt gesegnet mit viel Hilfe aus dem Ausland. Zudem stehen in Europa alle Zeichen auf Sparsamkeit in der Entwicklungszusammenarbeit. Deutschland kürzt seine Mittel von 2024 auf 2025 voraussichtlich um knapp 1 Milliarde Euro, Frankreich um 1,3 Milliarden, die Niederlande bis 2027 um 2,4 Milliarden. Schweden und Finnland wollen Mittel der Entwicklungszusammenarbeit für Abschiebungen umwidmen. Statt Perspektiven zu bieten, geht es darum, die Menschen loszuwerden. Vor diesem Hintergrund wirkt die vertiefte Partnerschaft mit Tschad schillernd.
Victor Zolossou hat da auch so seine Zweifel. Der junge Mann sitzt am Ende einer Seitenstraße im 6. Bezirk von N’Djamena im Erdgeschoss eines mehrstöckigen Hauses mit dicken Mauern und kargem Innenhof. Den Transitionspfad, den Tschad laut Ministerin Schulze beschritten hat, kennt er nur allzu gut. Der Mann trägt Dreitagebart, ein schwarzes Longsleeve, eine weiße Hose. Dazu einen braunen Lederslipper am linken Fuß. Sein rechtes Bein fehlt.
Die Hoffnung hielt nicht lange
Victor Zolossou kam 1999 auf die Welt. Sein Vater war Bauer, seine Mutter Hausfrau. Er selbst war gut in der Schule, wollte Psychologe werden. Doch ihm fehlte das Geld für die Ausbildung. Also wurde er Friseur, machte einen eigenen Salon auf. Zolossou wuchs unter der Herrschaft Idriss Débys auf, jenes Despoten, der in Tschad 31 Jahre lang herrschte. Ein Regime, in dem nur die Eliten Chancen haben – so hat Zolossou es zumindest gesehen. Als Déby im Jahr 2021 starb, keimte bei Victor Zolossou Hoffnung auf. Doch sie hielt nicht lange.
Der neue Präsident Mahamat Déby, Sohn des alten Herrschers, kündigte damals an, in eineinhalb Jahren zurückzutreten und die Macht an eine zivile Regierung zu übergeben. Als diese Frist am 20. Oktober 2022 ergebnislos verstrichen war, ging Zolossou mit Tausenden anderen Tschaderinnen und Tschadern auf die Straßen, um zu protestieren. „Wir waren im 9. Arrondissement, als wir auf schwer bewaffnete Sicherheitskräfte trafen“, sagt Zolossou. „Sie haben einfach in die Menge geschossen.“
Zolossou deutet mit dem Finger auf die Außenseite seines verbliebenen Beines, dann auf die Innenseite. Er versucht, zu demonstrieren, was mit dem Bein passiert ist, das er verloren hat. „Die Kugel ist durchgeschlagen“ sagt er. Zolossou wurde ohnmächtig. Als er wieder aufwachte, lag er im Krankenhaus. „Da konnte ich mein Bein schon nicht mehr bewegen“, erinnert er sich. Als ein Arzt kam, um das Bein zu amputieren, lehnte Zolossou sich noch dagegen auf.
Der junge Mann, der es liebte, Fußball zu spielen, protestierte, bis der Arzt ihm erklärte, dass er sonst sterben würde. Er trennte ihm das Bein kurz unter dem Knie ab, doch das reichte nicht. „Beim zweiten Mal hatte ich gar nicht mehr die Kraft, um zu widersprechen“, erinnert sich Zolossou. Dieses Mal wurde direkt unter der Hüfte amputiert. Seither ist Zolossou ein Pflegefall, kann seine Frau, seine Tochter und seinen Sohn nicht mehr versorgen.
Noch brutalere Herrschaft des neuen Regimes
Laut der Oppositionsbewegung „Les Transformateurs“ gab es an jenem 20. Oktober 2022 nicht nur Verletzte wie Zolossou. 300 Menschen wurden getötet. Im Schari-Fluss, der sich durch N’Djamena schlängelt, trieben Leichen. Weitere 600 Menschen landeten im Wüstengefängnis Koro Toro im Norden des Landes. Schon auf dem Weg dorthin starben Menschen, ihre Leichen wurden von den Lastwagen geworfen. Déby junior setzte die eiserne Herrschaft seines Vaters fort – sogar noch brutaler, so sagen einige Beobachter.
Für Mai 2024 setzte der Junior dann jene Wahlen an, die für Schulze Anlass für eine Stärkung der Zusammenarbeit sind. Kurz zuvor erschossen Débys Sicherheitskräfte mit Yaya Dillo aber noch einen der wichtigsten Oppositionellen des Landes. Déby gewann den fragwürdigen Urnengang. Selbst danach gab es weiter gewaltsame Tode. Débys Anhänger zogen durch die Straßen N’Djamenas und gaben „Freudenschüsse“ ab, mehrere Menschen starben. Die Opposition spricht von Einschüchterung.
Nicht nur die Transition wirkt zwiespältig, sondern auch der Umgang Tschads mit dem Konflikt im Sudan. Die New York Times dokumentierte im September 2023, wie Tschads Regime den Krieg in Sudan mit anheizt. Tschad lässt demnach zu, dass die Vereinigten Arabischen Emirate Waffen durch das Land an die RSF in Darfur liefern. In einem weiteren Bericht ein Jahr später dokumentierte die Zeitung dann noch, dass Tschads Regierung es auch duldet, dass die Emirate von einer Drohnenbasis in Tschad aus Einsätze in Sudan fliegen, um die RSF mit Informationen zu versorgen.
Für Kritiker des Déby-Regimes ist der Grund für diese Politik, die kaum mit der großzügigen Aufnahme Geflüchteter zusammenpasst, offensichtlich: Die finanzstarken Emirate haben Déby junior kurz nach dem Ausbruch des Krieges im Sudan ein Darlehen von 1,5 Milliarden US-Dollar genehmigt. Das entspricht fast dem gesamten Staatshaushalt.
Opportunismus scheint das Gebot der Stunde des Regimes zu sein. Nicht nur deswegen ist fraglich, wie verlässlich Tschad als Partner ist. Frankreich hat, anders als Deutschland, die Déby-Dynastie immer gestützt, es unterhält in Tschad seit der Kolonialzeit eine ständige Militärpräsenz und hat immer wieder militärisch eingegriffen, auch zum Schutz von Idriss Déby. Als dessen Sohn Mahamat Déby 2021 an Tschads Verfassung vorbei zum neuen Präsidenten ausgerufen wurde, kam sogar Emmanuel Macron zur Amtseinführung.
Wenige Tage nach dem Besuch Schulzes hat Tschads Regierung aber Frankreich aufgefordert, seine rund 1.000 Soldaten aus Tschad abzuziehen. Tschad wolle damit echte und vollständige Souveränität erreichen, heißt es in der offiziellen Mitteilung. Ein Schritt, der einigen Beobachtern zufolge innenpolitischem Kalkül folgt, da Ende Dezember Parlamentswahlen anstehen. Auch in Tschads Bevölkerung wachsen antifranzösische Ressentiments, die einstige Kolonialmacht ist verhasst.
Vor der schweren, mit Intarsien verzierten Holztür des Außenministeriums in N’Djamena, durch die eben noch ein Lachen drang, erwähnt Svenja Schulze derweil weder die Toten des 20. Oktober noch Tschads Waffenlieferungen an die RSF. Tschads Außenminister Koulamallah, auf die Waffenlieferungen über tschadischen Boden angesprochen, schwört auf Gott: „Ich kenne keinen Staat, der Waffen liefert.“
Und dann fängt Koulamallah doch an zu philosophieren, obwohl er das als Außenminister doch gar nicht gerne macht. „Sudan braucht keine Waffen, er braucht Freiheit und Demokratie.“ Worte, die für Menschen wie Victor Zolossou wie Hohn klingen müssen.
Von Isso Ehrich ist aktuell im Quadriga Verlag erschienen: „Putsch. Der Aufstand gegen Europas Kolonialismus in Afrika“ (270 S., 25 Euro)
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