Deutschland sucht den Supertorwart: Von Helden und Trotteln
Es wimmelt von Wundertätern im Kasten. Was hat das eigentlich mit Fußball zu tun?
Es menschelt derzeit gewaltig, wenn Oliver Kahn nach einem Spiel vor eine Fernsehkamera tritt. Er darf dann über seine Gefühle sprechen, soll sagen, wie es denn war, zum letzten Mal gegen diese oder jene Mannschaft gespielt zu haben. "Da hat alles angefangen", sagte der Kapitän der Bayern nach seinem letzten Spiel gegen seinen ersten Bundesligaklub, den Karlsruher SC, und blickte so versonnen, wie er es eben vermag, in Richtung Kameras. Oliver Kahn befindet sich auf seiner Abschiedstour durch die Bundesliga. Er verabschiedet sich als Mensch - nicht als Torwart. Denn über die Leistungen des einstigen "Titanen" wird kaum gesprochen in diesen Tagen. Elf Gegentore haben die Bayern in dieser Saison erst hinnehmen müssen. In 18 der 23 Spiele stand Kahn zwischen den Pfosten. Doch da kann Jens Lehmann noch so selten spielen, noch so schlecht halten, eine Oliver-Kahn-zurück-ins-deutsche-Tor-Kampagne wird nicht gestartet.
Stattdessen werden Woche für Woche neue Heldenepen auf deutsche Keeper gedichtet. Da wird ein Tim Wiese von seinem Chef Klaus Allofs und natürlich von sich selbst nach ein paar ansehnlichen Paraden als Deutschlands wahre Nummer eins gefeiert und ist dann schnell wieder, was er schon ein paarmal war: eine eitle Witzfigur. Da wird Schalkes Manuel Neuer als neuer Fußballgott verehrt, weil es hilflose Angreifer des FC Porto nicht geschafft haben, an ihm vorbeizuschießen. Keine zwei Wochen zuvor gehörte er noch zu den Volldeppen der Nation, als er eine Flanke von Leverkusens Manuel Friedrich, die sich eher versehentlich in Richtung Tor drehte, passieren ließ und hinterher treudoof versicherte, der Ball sei unhaltbar gewesen. Nun hat er René Adler, sein Gegenüber in jenem Spiel, wieder abgelöst in der Rolle des deutschen Supertorwarts der Zukunft. Dabei schien Adler bis dato nahezu unantastbar zu sein. Sein merkwürdiger Auftritt zum Rückrundenauftakt in Cottbus wurde erst gar nicht zur Kenntnis genommen, denn schließlich galt er als der beste Keeper der Hinrunde. Ein paar Spiele, ein paar Paraden später ward er zum neuen Genie zwischen den Pfosten ausgerufen.
Helden- und Trottelgeschichten werden noch einige erzählt werden in dieser Saison. Das ZDF-Sportstudio machte am Samstag den Karlsruher Markus Miller zum Keepergott in spe, weil er, was vielleicht wirklich nicht ganz übel ist, nur zwei Bayerntore zugelassen hat. Deutschland im Torwartwahn! Und doch: Wenn am Ende der Saison die Münchner tatsächlich Meister sind, sich dabei nicht mehr als 20 Tore eingefangen haben, Oliver Kahn dennoch als Mensch und nicht als Superkeeper verabschiedet wird, könnte doch noch die Einsicht reifen, dass Fußball mehr ist als eine Aneinanderreihung von Glanzparaden und Fehlgriffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Mehr Zugverkehr wagen
Holt endlich den Fernverkehr ins Deutschlandticket!
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Vorteile von physischen Spielen
Für mehr Plastik unterm Weihnachtsbaum
Stromspeicher für Erneuerbare Energien
Deutschland sucht die neue Superbatterie