"Deutschland sucht den Superstar": Die Freaks vom Dienst
RTL inszeniert beim laufenden "Superstar"-Casting die Konflikte gleich mit. Denn die sechste Staffel von "DSDS" zeigt sehr deutlich Abnutzungseffekte. Ein Setbesuch.
KÖLN taz Fußball sei doch nur noch Popkultur, lautet eine gängige These. Dass hingegen auch Musik als Bundesligaspiel inszeniert werden kann, beweist ein Setbesuch bei "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS). Denn wie im Stadion tragen auch hier die verfeindeten Fangruppen einheitliche Trikots, sitzen in verschiedenen Blöcken und schwenken ihre Banner. Sprechchöre markieren die Reviere, besonders die Anhänger von Holger Göpfert imponieren durch laute Schlachtgesänge.
Vielleicht wird dieser Kandidat, der Freddy Mercury als Vorbild nennt, von seinen Freunden gerade deshalb so vehement unterstützt, weil er der Rolle des Popstars nicht entspricht. Das Idol als Sonderling, nuschelnd, distanzlos. Göpfert winkt in die Kamera wie ein aufziehbares Blechspielzeug. Wenn er aufgeregt ist, zucken seine Gesichtsmuskel. So besetzt der 27-jährige die Rolle des Freaks in der Show.
Zu dem Drama, das RTL am Samstagabend aufführte, gehört aber noch die Rolle des schönen Biestes, verkörpert von der aus Dessau stammenden Annemarie Eilfeld. Wie bei den anderen Kandidaten wird vor ihrem eigentlichen Auftritt ein kurzes Video eingespielt. Darin sagt die 18-jährige, dass der Holger gar nicht zu DSDS passe. Im Auditorium bricht darauf ein Pfeifkonzert los, später in der Couchgarnitur baut sich der Kritisierte bedrohlich vor ihr auf. Andere Kandidaten halten Holger zurück, die Kameras sind verliebt in die brenzlige Szene. Und natürlich werden beide Beteiligte kurz danach von Moderator Marco Schreyl befragt. Prompt wittert Cowgirl Annemarie einen Skandal: "Das war ein Trick von RTL." Denn der Sender habe sie missverständlich und verkürzt wiedergegeben.
Dabei geht es eigentlich bloß wieder einmal um das Grundmuster solcher Castingshows, die davon leben, dass sich manche für genial halten und auf ihre Umwelt eher debil wirken - jene seltsamen Gestalten also, die den Preis der Selbstmontage gerne zahlen, nur um ins Fernsehen zu kommen.
Dass die Kandidaten in der neuen Staffel weniger wegen ihrer musikalischen Fähigkeiten, sondern im Kampf um die Quote vielmehr nach "prägnanten Persönlichkeiten" gesucht werde, hatte unlängst schon "DSDS"-Frontjuror Dieter Bohlen verkündet. Und da ist die Inszenierung von Skandalen bestenfalls solides Handwerk: Dem Saalpublikum wurden Annemaries provozierende Äußerungen extra erst kurz vor ihrem Auftritt gezeigt, damit der Mini-Eklat perfekt gelang.
Dass scheint auch nötig zu sein, denn insgesamt kämpfen die Macher von "DSDS" bei der aktuellen sechsten Staffelmit Abnutzungseffekten, da passt die kontrollierte Eskalation im Publikum ganz gut.
Die Atmosphäre im Studio ist, anders als bei den Staffeln zuvor, deutlich agressiver. Schwarz gekleidete muskulöse Ordner stehen vor der Bühne und beobachten aufmerksam das Publikum. Wenn die Kameras ausgeschaltet sind und im Fernsehen die Werbung läuft, wird der Saal auf noch niedrigerem Niveau unterhalten, vom gleichen Einpeitscher, der schon vor Sendebeginn am Mikro stand: "Das ist hier kein Musikantenstadl. Ihr dürft völlig spontan ausflippen."
In den dann beängstigend wenigen Werbepausen - auch RTL bekommt also die Krise zu spüren - holt sich der Alleinunterhalter nach "DSDS"-Maßstäben geradezu betagte Menschen aus dem Publikum zum "Popo-Schüttel-Wettbewerb". Ein graumelierter Herr gewinnt und erhält als Preis ein Handy. Denn wer sich in der Show zum Affen macht, ist klar vorgegeben. Ungehörige Aktionen des Publikums vor laufender Kamera sind nicht erwünscht, ja geradezu tabu: "Das schneiden wir sowieso alles wieder raus", ruft der Einpeitscher.
Tatsächlich unterscheidet sich die Liveausstrahlung dann auch in einem wichtigen Detail von der Wiederholung am nächsten Tag: Am Sonntagnachmittag war, im Gegensatz zur Samstagssendung, die Verschwörungstheorie der Annemarie Eilfeld nicht mehr zu hören. Der ganze Pseudo-Zoff kam nicht mehr vor. Wahrscheinlich, weil sonst nicht genügend Menschen aus den neuen Bundesländern bei der Voting-Hotline anrufen würden.
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