Deutschland ignoriert EU-Richtlinie: Ehsan, abgeschoben auf die Straße
Der 17-jährige Afghane Ehsan Jafary hatte bei seiner Abschiebung nach Italien Anspruch auf Unterkunft und Betreuung. In der Praxis werden Jugendliche wie er allein gelassen.
TRIER taz | Ehsan Jafary sitzt zum zweiten Mal auf der Straße. Der 17-jährige Afghane wurde am 19. Dezember erneut aus dem Saarland nach Italien in die Obdachlosigkeit abgeschoben - obwohl Deutschland damit gegen eine EU-Richtlinie für minderjährige Flüchtlinge verstößt.
Jafary war alleine nach Italien eingereist, hatte dort einen Asylantrag gestellt und war dann nach Deutschland gekommen. Im Saarland lebte er in einer Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Da Jafary die EU über Italien betrat, muss er nach der Dublin-II-Regelung dort sein Asylverfahren beenden.
Deutschland kann ihn dafür nach Italien abschieben. Jedoch verlangt eine ergänzende Richtlinie zu Dublin II von den abschiebenden Behörden, sicherzustellen, dass die Jugendlichen im Ankunftsland in Empfang genommen werden, einen Vormund sowie einen Platz in einer geeigneten Unterkunft erhalten.
Schon bei seiner ersten Rückführung nach Italien habe er auf der Straße leben müssen, sagt Jafary. Er schlug sich erneut nach Deutschland durch. Doch obwohl in Italien sich selbst überlassen, verfügte das Verwaltungsgericht Saarlouis im Dezember die zweite Abschiebung.
Aus Mailand wandte sich Jafary via Facebook an einen Saarbrücker Freund. Wieder habe er keinen Schlafplatz. "Mir ist kalt, ich weiß nicht, wo ich hinsoll", schreibt Jafary. Er habe ohne Erfolg bei kirchlichen Stellen und der Polizei nach Obdach gesucht.
Peter Gillo macht der Hilferuf fassungslos. Er ist Direktor des Jugendamts Regionalverband Saarbrücken, das Jafarys deutschen Amtsvormund stellt. "Wir geben uns große Mühe, die Flüchtlinge jugendgerecht unterzubringen und zu integrieren. Aber dann schiebt man sie einfach ins Ungewisse ab", sagt Gillo.
Saarland schiebt Verantwortung auf Bund ab
Die deutsche Vormundschaft endet erst, wenn ein neuer Vormund existiert. Doch die Praxis zeigt, deutsche Behörden können dafür im Fall Italiens nicht sorgen. In Hessen scheitern deshalb viele Abschiebungen. Das Verwaltungsgericht Saarlouis sah jedoch keinen Grund, die Abschiebung auszusetzen, wie es das Jugendamt erreichen wollte.
Im saarländischen Innenministerium schiebt man derweil die Verantwortung auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Laut BAMF sei Jafary "am Flughafen Mailand von den zuständigen italienischen Behörden in Empfang genommen" worden, sagte das Ministerium zur taz. Welche Behörden gemeint sind, solle man direkt mit dem BAMF klären.
Im Bundesamt will man sich jedoch nicht zu Einzelfällen äußern. Auch allgemeine Fragen bleiben unbeantwortet. Wie viele Jugendliche wegen Dublin II 2011 nach Italien abgeschoben wurden? "Statistisch nicht erfasst." Welche Aufnahmekapazitäten die italienischen Jugendeinrichtungen haben? "Eine konkrete Zahl liegt nicht vor." Minderjährige "erhalten entsprechend der Gesetzeslage in Italien einen Vormund. Weitere Informationen sind für das Verfahren nicht erforderlich", sagt BAMF-Sprecherin Rochsana Soraya.
Der taz liegt ein Papier des BAMF über Dublin-II-Rückkehrer nach Italien vor, mit dem auch in Jafarys Fall vor Gericht argumentiert wurde. Im Kapitel über unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zitiert das BAMF das Flüchtlingshilfswerk UNHCR mit den Worten, dass "in den Aufnahmezentren für Minderjährige immer Plätze zur Verfügung stehen".
Auf taz-Anfrage kann das UNHCR das Zitat nicht bestätigen: "Vielmehr ist der Zugang zu Aufnahmeplätzen nicht immer unproblematisch", sagt Henrike Janetzek vom UNHCR. Nach Angaben des Hilfswerks kamen 2011 bis Ende November ca. 2.600 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Italien. Für einen Teil seien "bis heute keine angemessenen Unterkünfte gefunden worden", sagt Janetzek.
Thomas Berthold, Referent beim Bundesfachverband für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, fordert deswegen, Abschiebungen nach Dublin II für Minderjährige auszusetzen. "Wenn wir es mit dem Kindeswohl ernst meinen, sind solche Rückführungen nicht akzeptabel."
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