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Deutschland hält Klimaziel einErfolg herbeigeschummelt

Die deutschen CO₂-Emissionen sind erneut gesunken, aber Gebäude, Verkehr und Natur emittieren weiterhin zu viel. Das könnte Milliarden kosten.

Der deutsche Verkehrssektor verfehlte mit 143 Millionen Tonnen Treibhausgas sein Reduktionsziel um 18 Millionen Tonnen Foto: Frank Sorge/imago

Berlin taz | Die Treibhausgasemissionen sind in Deutschland 2024 um 3,4 Prozent gesunken: 649 Millionen Tonnen CO₂ sind ein historischer Tiefstand. Das teilte das Umweltbundesamt (UBA) am Freitag mit. Damit hat die Bundesregierung ihr selbst gestecktes Ziel für 2024 um 44 Millionen Tonnen übererfüllt.

Dem UBA zufolge kann Deutschland mit den aktuell geplanten Klimaschutzmaßnahmen sein Emissionsziel 2030 einhalten. Das gelinge aber nur, weil durch die fortschreitende Energiewende der Ausstoß der Stromerzeugung mit 9 Prozent Reduktion überproportional schnell sinke. Der Gebäude- und der Verkehrssektor verfehlten weiterhin ihre Ziele.

Die Ampelregierung hatte 2024 das Klimaschutzgesetz entschärft, indem es die spezifischen Sektorziele abschaffte. Auf EU-Ebene ist Deutschland aber weiterhin verpflichtet, die Emissionen im Gebäude- und Verkehrsbereich zu verringern. Sollte Deutschland diese Verpflichtungen bis 2030 reißen, drohen Strafzahlungen in Milliardenhöhe, unter anderem an Länder wie Spanien und Bulgarien, die ihre Klimaschutzziele einhalten.

Verkehrssektor konstant schlecht im Klimaschutz

Der deutsche Verkehrssektor stieß 2024 nur 1,4 Prozent weniger CO₂ aus als im Vorjahr und verfehlte mit 143 Millionen Tonnen Treibhausgas sein Reduktionsziel um 18 Millionen Tonnen. Das liege unter anderem am schleppenden Verkauf von E-Autos, der weit hinter den Zielen der Bundesregierung zurückbleibt.

UBA-Präsident Dirk Messner forderte, dass am EU-weit vereinbarten Ausstieg aus dem Verbrenner 2035 „unbedingt festgehalten werden sollte“. Das sei sowohl für den Klimaschutz als auch für die Planungssicherheit der Unternehmen wichtig.

CDU und SPD, die wahrscheinlich die nächste Bundesregierung bilden werden, wollen die Nachfrage nach E-Autos ankurbeln, fordern aber gleichzeitig, dass deutsche Autobauer EU-Vorgaben zur Emissionsreduktion brechen dürfen oder diese Vorgaben abgeschwächt werden.

Heizen weiterhin zu klimaschädlich

Die Emissionen aus dem Gebäudesektor sanken nur um 2,3 Prozent auf 100 Millionen Tonnen CO₂ im Jahr 2024 und somit etwa 5 Millionen Tonnen mehr als erlaubt. Wesentlicher Treiber dafür sei die milde Witterung gewesen, so das UBA, wodurch weniger geheizt wurde.

Das UBA mahnt, die Förderung für Sanierung und klimafreundliches Heizen nicht zu schwächen. Die CDU hatte im Wahlkampf gefordert, das Heizungsgesetz abzuschaffen, ist aber bezüglich Details unklar geblieben.

Die deutsche Industrie reduziert ihre Treibhausgasemissionen gar nicht. Eisen- und Stahlindustrie stießen 2024 sogar mehr CO₂ aus als im Vorjahr, während die Zementindustrie weniger ausstieß – gleichzeitig ist die Baubranche gerade in einer Krise, der Rückgang ist also womöglich nicht nachhaltig.

Im Industriesektor zeigen die UBA-Voraussagen, dass „die langfristige Transformation noch nicht ausreichend implementiert ist“. Um die Industrie in den 2030ern auf einen klimaneutralen Kurs zu bringen, sei der schnellere Ausbau von Infrastruktur, insbesondere für Strom- und Wasserstoffnetze, sowie mehr Planungssicherheit nötig.

Wachstum nur mit Klimaschutz, fordert Germanwatch

Klimaschutz- und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte bei der Vorstellung der Ergebnisse, Deutschland sei auf Klimakurs: „Als drittgrößte Wirtschaftsnation weltweit können wir sagen: weniger Treibhausgase sind möglich, auch mit wachsender Konjunktur in den kommenden Jahren.“ Im Gebäudebereich seien die wichtigen Weichen gestellt, „vor allem bei Verkehr haben wir großen Nachholbedarf“.

Mit Blick auf die Verhandlungen um Sondervermögen und Schuldenbremse sagte Christoph Bals, geschäftsführender Vorstand Politik der Organisation Germanwatch: „Ein nicht an den Klimazielen ausgerichtetes Wachstum würde schnell zu einem Anstieg der Emissionen führen. Eine große Chance könnten die Investitionspläne hingegen sein, wenn Konjunkturprogramm und Klimainvestitionen Hand in Hand gingen.“ Bisher habe Klimaschutz in den Gesprächen zwischen Union und SPD keine Rolle gespielt, kritisierte Bals. Das müsse sich ändern.

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7 Kommentare

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  • Statt sich zu freuen, dass das aktuelle Klimaziel erreicht ist, wird hier "rumgemeckert". Man muss eben akzeptieren, dass es in einem Bereich schneller und in einem anderen Bereich langsamer oder auch mal gar nicht weitergeht. Bei den CO2-Emissionen kann man doch nicht einfach in allen Beriechen so wie an einem Ventil zurückdrehen und schon wird es weniger.

  • Die Autoindustrie lebt auch da auf Kosten des Rests. Das sollte selbst die Union schleunigst ändern.

  • Das war echt schwer zu finden, dass Bulgarien und Spanien ihre Ziele eingehalten haben. Eigentlich wurde ich nicht fündig. Ki hat dann geholfen



    "Treibhausgasemissionen in den Nicht-Emissionshandel-Sektoren bis 2020 gegenüber 2005 reduzieren. Spanien hatte ein Ziel von −10% und Bulgarien durfte seine Emissionen bis 2020 um 20% gegenüber 2005 erhöhen."



    Beiden Länder dürfte eine zusätzliche Finanzspritze gut tun.

  • "Heizen weiterhin zu klimaschädlich"

    Hört endlich auf zu heizen ;) Demnächst kommt sowieso die Meldung, dass der Winter wieder viel zu warm war. Wie wird es denn in einem kalten Winter aussehen?



    Staatliche Förderung - also Steuergeld - für alles, Verkehr, Heizung und Industrie (die es offensichtlich auch nicht alleine schafft und mit der Wende in den USA schon mal gar nicht). Ob das Geld reicht?



    Aber wieso steht eigentlich Bulgarien so gut da? Weil die Klimabilanz auf 1990 bezogen wird, also quasi zu dreckigen Sowjetzeiten?

    • @fly:

      Das ist ja auch bei der Bundesrepublik Deutschland der Trick. Die entfallende DDR-Industrie bzw. rasch eingebaute Verbesserungen gegenüber dem Realsozialismus.

      • @Janix:

        Immer das unstimmige Argument mit dern DDR-Emissionen. Bei ourworldindata werden die Emissionen der DDR und der BRD vor der Wiedervereinigung gemeinsam betrachtet, so dass man hier schon sehen kann, dass auch ab 1990 kein besonderer "Schub" erfolgte, es von etwa 1980 an relativ gleichmäßig mit den Emissionen nach unten ging.



        ourworldindata.org...atest&country=~DEU

        • @H2Wirtschaft:

          Man sieht auf der Kurve v.a. sofort, dass 1990 eine Spitze nach oben war. Immer hilfreich so etwas, wenn man x % nach unten soll.



          Ja, und auch in den 1980ern trieben Ölschock und Grüne schon das CO2 hinunter.



          1991 ff. wurden dann die ineffizienten Verbrenner in der DDR von ihren westlichen Neueigentümern stillgelegt bzw. neuausgerüstet. Denken Sie auch an die ökologisch irrwitzige Braunkohlestrategie des Politbüros zuvor.



          Hätte die Kohlregierung damals bereits die Energiewende begonnen, Umweltverschmutzung angemessen bepreist und das Karzinom Autoverkehr zeitig eingedämmt, sähe es heute besser aus. Machbar gewesen wäre es.

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