Deutscher Mixed-Martial-Arts-Kämpfer: No place for losers
Nick Hein ist Polizist, Schauspieler und MMA-Sportler. Am Samstag hat er in Texas seinen zweiten Kampf in der UFC – der Königsklasse seiner Sportart.
KÖLN taz | Es ist dieser eine Moment, der ihn nicht loslässt. Wenn er davon erzählt, bricht ein wenig die Stimme. Es ist dieser Augenblick, der ihn antreibt, den er noch einmal erleben will. Fast nackt, nur mit einer Shorts bekleidet und die an den Fingern offenen Kämpferhandschuhe an den Händen, stand er da in der großen O2-World in Berlin, schweißglänzend mitten im Käfig. Gerade hatte Nick Hein seinen ersten Kampf bei der UFC gewonnen, der US-amerikanischen Ultimate Fighting Championship, jetzt brüllte er glücklich ins Mikrofon, wollte die ganze Welt umarmen, mindestens aber die 8.000 Zuschauer in der Halle.
Es sind diese Sekunden, die süchtig machen.
Nick Hein, Kampfname „The Sergeant“, Sportart Mixed Martial Arts (MMA). Nick Hein, der Bundespolizist aus Köln. Nick Hein, der Schauspieler, der gerade bei der ZDFneo-Serie „Diese Kaminskis“ zu sehen ist. Nick Hein, der ehemalige Judokämpfer, der es nur ganz knapp nicht in den deutschen Olympiakader für Peking 2008 geschafft hatte. Sein Teamkollege Ole Bischoff hatte ihm den Platz weggeschnappt, und jetzt saß eben jener Ole Bischoff in Berlin mit im Publikum und jubelte Nick Hein zu, dem erfolgreichen MMA-Kämpfer, der gerade zum Posterboy der UFC in Deutschland avanciert war.
Geduldig hatte Nick Hein Pressetermine absolviert, hatte Reporterfragen auf Deutsch oder Englisch gleichermaßen eloquent beantwortet, hatte sich von der Boulevardpresse als „härtester Polizist Deutschlands“ titulieren lassen, was natürlich Unsinn war, aber immerhin Aufmerksamkeit brachte für ihn und für den in Deutschland noch immer misstrauisch angesehenen MMA-Sport. All das hatte an diesem 31. Mai in Berlin seinen Höhepunkt gefunden.
Die Gage für den Sieg ist schon in die nächste Vorbereitung geflossen
Ein paar Tage lang kann er den Ruhm genießen, sogar bei der Arbeit. Als er in der Woche nach dem Kampf mit einem Kollegen zu einem Ladendiebstahl gerufen wird, erkennt ihn der Ladendetektiv: „Sind Sie nicht DER Nick Hein, der in der UFC kämpft?“ Ja, ist er. Die Kollegen von der Autobahnpolizei bitten um Autogrammkarten. Nick Hein gefällt das.
Für einen deutschen MMA-Kämpfer ist es etwas ganz Besonderes, in der UFC zu kämpfen – nur eine Handvoll Sportler haben das bislang geschafft. Die UFC ist für sie, was die NBA für Basketballer ist oder ein Vertrag beim FC Barcelona für Fußballspieler – die Königsklasse.
Das Geld, das er für den Kampf und den Sieg bekam, ist längst in die nächste Vorbereitung geflossen. Hein trainiert in verschiedenen Gyms, hat sein ursprüngliches Team, den Combat Club Cologne, kurz vor dem Kampf in Berlin verlassen. Er sucht sich unterschiedliche Trainer für das „Team Hein“. Einen fürs Boxen, einen für die Athletik, einen fürs Ringen, einen für den Bodenkampf. Das ist in diesem Fall Reiner Prang, Cheftrainer des Team Wolfpack aus Köln, ein in Deutschlands MMA-Szene bekanntes und respektiertes Team.
Das „Noch3“ ist ein ebenerdiges Hinterhof-Gym im Industriegebiet am Rande von Köln-Ehrenfeld. Hier trainieren Freizeitsportler mit Kettlebells, um fit zu werden, aber hier trainiert in diesem Oktober auch Reiner Prang mit Nick Hein und ein paar anderen jungen Kämpfern den Bodenkampf. Die Atmosphäre ist locker, die vegane Bewirtschaftung hat nichts vom Hochglanz anderer Fitnessclubs, eher den Charme einer Kreuzberger WG-Küche der 80er.
Kampf in Texas: Der "Texecutioner" wartet
Morgens hat Hein bereits Intervallläufe absolviert. Er muss nicht arbeiten in diesen Wochen vor dem nächsten Kampf, hat fast seinen gesamten Jahresurlaub für die Vorbereitung drangegeben. Unter seinem linken Auge klebt ein Pflaster, er hat beim Training einen Ellbogen abgekriegt, unbeabsichtigt, die Wunde musste mit ein paar Stichen genäht werden. Eigentlich nicht schlimm, aber nur Wochen vor seinem nächsten UFC-Kampf ärgerlich.
An diesem Samstag steht Nick Hein erneut im Oktagon, der umzäunten Kampffläche der UFC. Aber diesmal nicht vor heimischen Fans, sondern in Austin, Texas, USA. Sein Gegner: James Vick, 27, aus Texas, Kampfname „The Texecutioner“, hat all seine sechs Profikämpfe gewonnen. Vick ist 1,91 groß, das größte Leichtgewicht in der UFC, er überragt Nick Hein um 18 Zentimeter. Wie stellt man sich auf so einen Gegner ein?
Prang und Hein haben sich Videos von Vicks Kämpfen angesehen, haben sich einen Plan überlegt. Schwächen beim Gegner? „Er gibt halt Hinweise darauf, was er macht“, sagt Hein. „Wenn er kickt, sieht man das, wenn er schlägt, auch. Ich glaube, dass meine Stärken ganz gut zu seinem Kampfstil passen und dass ich seine Reichweitenvorteile durch meine Physis gut egalisieren kann.“
Als ehemaliger Judokämpfer musste Hein sich damals vollkommen umgewöhnen – Judokämpfer stehen tief und stabil, Boxer müssten beweglich und leichtfüßig sein. Aber mit einem Gegner, der so viel größer ist, will man eigentlich auf den Boden, und so rollt Hein mit Prang auf der Matte herum. Von der linken Oberlage auf die rechte Seite wechseln, den Gegner mit Schlägen eindecken, Möglichkeiten für Aufgabegriffe erarbeiten. Prang korrigiert, wenn Hein etwas falsch macht: „So kann er dich leicht abschütteln“, oder „So fängst du dir ’nen Ellenbogen!“
Krise und Nachdenken über das Leben
Von seinen 12 Kämpfen hat Nick Hein nur einen verloren, das war 2011 gegen den Bremer Sebastian Risch. Damals kämpfte Hein noch im Mittelgewicht, inzwischen hat er aufs Leichtgewicht abgespeckt. Er trinkt keinen Alkohol, achtet immer auf sein Gewicht, in der Kampfvorbereitung ganz besonders. Dass andere Pommes in sich hineinstopfen, während er beim Salat bleibt, stört ihn nicht mehr, auch wenn die Kellnerin seltsam schaut, als er sagt, er müsse auf sein Gewicht achten.
Die Technik, mit der Risch ihn bezwungen hat, braucht Hein jetzt nicht zu fürchten: Kniestöße zum Kopf am Boden sind bei der UFC verboten. Aber da war noch mehr – die erste Niederlage im sechsten MMA-Kampf war für Nick Hein eine Wende. „Ich hatte mich unbesiegbar gefühlt“, sagt er. Dem Kampfsportmagazin Groundandpound gab er damals ein Videointerview, er war niedergeschlagen, zweifelte an seiner Zukunft im Sport, wollte nachdenken. Er meldete sich vom MMA ab, trainierte monatelang nur Boxen, beantragte eine Amateurboxlizenz, absolvierte Kämpfe. Zurück im MMA, nahm er seinen Boxtrainer mit. Seitdem trainiert er noch härter, hat die Vorbereitung optimiert. Und gebetet.
Hein ist religiös, obwohl er so nicht aufgewachsen ist. Seine Eltern, Mutter in der Verwaltung in einem Kölner Krankenhaus, Vater im Vertrieb bei Siemens, haben ihren Sohn im katholischen Köln zwar protestantisch getauft. Aber die Konfirmation, sagt Hein, war für ihn eine Gelegenheit, große Geschenke zu bekommen, ansonsten hat ihn das nicht weiter interessiert mit der Kirche. Er ging zum Judo, seine Eltern fuhren ihn zum Training und zu Wettkämpfen, er hatte Erfolg, wurde mehrfach deutscher Meister.
Und doch hat der Sport ihn zum Glauben gebracht. Nach einer Niederlagenserie im Judo schließt er sich im Gym ein, bevor die Kindergruppe kommt, die er trainiert. Sein Vater hat ihm gesagt, man könne mit Gott auch reden, ohne zu beten. Heim brüllt allein im Gym herum – und hat den Eindruck, dass Gott ihm antwortet. Seitdem ist ihm das wichtig, er betet mehrmals am Tag.
Als er mit Judo aufhört, fliegt er aus der Sportfördergruppe
Als Hein 2010 mit Judo aufhört, fliegt er auch aus der Sportfördergruppe der Bundespolizei und muss Vollzeit arbeiten. Als er im gleichen Jahr Vater wird, entscheidet er mit seiner Frau, dass beide auf Teilzeit gehen. Wenig später ziehen sie bei seinen Eltern ins Haus – seither kümmern die sich auch um den Sohn, und Hein hat wieder Zeit zum Trainieren. Dann kommt die Niederlage gegen Sebastian Risch, die Selbstfindung. Es geht bergauf.
In Deutschland mag Hein eine große Nummer sein. Aber wenn er in der Nacht zu Sonntag in Austin in den Käfig steigt, gegen 2.30 Uhr deutscher Zeit, dann ist er einfach nur ein eingeflogener Kämpfer, der bisher einen einzigen UFC-Kampf nach Punkten gewonnen hat und in den Vorkämpfen des Abends gegen den Lokalmatadoren antritt.
Aber da war dieser Moment in Berlin im Mai. Er muss den „Texecutioner“ schlagen. Verliert er klar, geht er gar schnell K. o., ist er schon halb wieder raus aus der UFC – no place for losers. Schafft er einen spektakulären Sieg, katapultiert ihn das nach oben, und wenn die UFC im Mai nächsten Jahres wieder nach Berlin kommt, könnte er schon einen Platz unter den Hauptkämpfen bekommen.
15 Minuten Schlagen, Treten, Werfen, Hebeln und Würgen entscheiden, wie es weitergeht mit Nick Hein, dem Polizisten, Schauspieler und Kämpfer. Er weiß das und versucht, die Chance als Geschenk zu begreifen, ohne sich weiter Gedanken zu machen. „Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm von deinen Plänen“, sagt er oft, wenn es um die Zukunft geht. Im Vordergrund steht der Moment: Drei Runden à fünf Minuten gegen James Vick, 27, aus Texas.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee