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Deutsche mit polnischen WurzelnSollten Migranten unsichtbar sein?

Die größte Gruppe, die nach Deutschland einwandert, sind Polen. Merkt nur keiner, weil sie sich integrieren, bis keiner sie sieht. Unsere Autorin ärgert das.

Manchmal verstecken sich Migranten einfach. Bild: dpa

Kennen Sie den noch?

„Eine kurze Anzeige mit drei Lügen: Anständiger Pole mit eigenem Auto sucht Arbeit.“

Oder den?

„Woran merkt man, dass noch kein Pole im All war? Der große Wagen ist noch oben.“

Harald Schmidt hat diese Witze erzählt, der große Entertainer des deutsches Fernsehens. In den neunziger Jahren war das.

Damals auf dem Schulhof habe ich so getan, als hätten sie nichts mit mir zu tun. Ich war keine Polin mehr. Sondern längst auf dem besten Weg, deutscher als die Deutschen zu werden.

taz.am wochenende

Als Kind hat unser Autor auf einem Massengrab Fußball gespielt. Erst viel später fand er das heraus. Seine persönliche Geschichte zu 70 Jahren Kriegsende lesen Sie in der taz.am wochenende vom 2./3. Mai 2015. Außerdem: Der Rammstein-Keyboarder Flake über seine sexuelle Zurückhaltung, Schlüsselbeinbrüche beim Crowdsurfen und Bandschlüpfer auf Tour. Und: Die größte Migrantengruppe Deutschlands sind die Polen. Warum wir sie übersehen. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Meine Eltern, meine Schwester und ich – wir sind 1988 aus dem sozialistischen Polen geflohen. Wir galten als Aussiedler. Kaum waren wir in Westberlin, kaum hatten wir einen deutschen Pass bekommen, machten wir uns als Polen unsichtbar.

Ein Phänomen, das es nicht nur in meiner Familie gibt. Je älter ich wurde, desto mehr „unsichtbare Polen“ traf ich. Unsere Biografien ähneln sich auf erschreckende Weise. Ach, deine Eltern haben dir auch verboten, auf der Straße polnisch zu sprechen? Wie, deine Mutter hat auch die Stirn gerunzelt, wenn du nicht nur Einsen in der Schule hattest?

So wurden wir Polen zu Supermigranten

Alexandra Tobor hat über ihr Ankommen in Deutschland ein Buch geschrieben, es heißt „Sitzen vier Polen im Auto“. Sie sagt: „Als wir in Deutschland angekommen waren, und ich sah, wie hier alle leben, habe ich angefangen, Polnisch zu hassen. Mit einem Hass, zu dem nur Kinder fähig sind. Ich habe beschlossen, es zu verlernen. Und ich habe es verlernt. Fürs Deutsche.“

So wurden wir Polen zu Supermigranten. Zu Vorzeigebeispielen, die keiner wahrnimmt.

Zum einen lag das daran, dass die meisten Polen, die in den achtziger Jahren nach Deutschland kamen, auf keinen Fall wieder zurück wollten. „Sie hatten einen festen Entschluss gefasst“, sagt der polnische Historiker Robert Traba. „Im Gegensatz zu den meisten Flüchtlingen, die davon träumen, irgendwann in ihre Heimat zurückzukehren, wollten die Polen, die dem Sozialismus entflohen waren, auf keinen Fall zurück.“

Deutschland wollte die Strebermigration

Katharina Blumberg-Stankiewicz kam wie ich als Kind mit ihren Eltern nach Deutschland. Heute promoviert sie als Politikwissenschaftlerin über die unsichtbaren Polen. Sie sagt: „Diese Strebermigration war ja irgendwie auch von Deutschland gewollt. Die Polen wurden zu Deutschen gemacht und sollten nicht weiter auffallen.“

Heute gibt es kein Volk, das zahlreicher nach Deutschland einwandert, als wir Polen es tun. 70.000 waren es unterm Strich im Jahr 2013. Schaut man auf den aktuellen Migrationsbericht der Bundesregierung, wird schnell klar: Die Einwanderung nach Deutschland ist europäisch. An zweiter und dritter Stelle des Wanderungssaldos, also abzüglich derer, die Deutschland verlassen, stehen die Rumänen und Italiener. Syrische Flüchtlinge kommen erst an neunter Stelle, nach den Russen. Die Türken, derzeit noch die größte Migrantengruppe in Deutschland, verlassen das Land eher wieder.

Deutschland braucht Einwanderung, das sagt die Wirtschaft seit Jahren. Denn in den kommenden zehn Jahren könnten fünf Millionen Fachkräfte fehlen. Fast alle Parteien sprechen sich deshalb für ein Einwanderungsgesetz aus – mit dem Vorbild Kanada. Dort werden bevorzugt Hochqualifizierte ins Land gelassen. Nachdem sie eine gewisse Punktzahl (zum Beispiel für Berufsabschluss, Sprachen, Alter) erreicht haben. Doch das System gilt mittlerweile nicht mehr als Allheilmittel. Zu unsicher ist, welchen Bedarf an Arbeitskräften es in Zukunft überhaupt geben wird.

Machen es die Türken besser?

Die Migrationsforschung in Deutschland ist eine vergleichsweise junge Disziplin. Seit 2005 wird überhaupt erst die Herkunft der Menschen statistisch erfasst, davor wurde im Mikrozensus lediglich nach der Staatsbürgerschaft gefragt. In Zeiten, in denen so viele Menschen wie nie zuvor nach Europa fliehen, stellt sich immer drängender die Frage: Wie deutsch muss man in diesem Land werden? Wie klappt Integration am besten?

Der Minimalkonsens lautet heute: Wenn sich die Menschen auf gemeinsame Werte verständigen können, wenn sie dieselbe Sprache sprechen, gleiche Chancen auf Bildung haben und sich an politischen Entscheidungen beteiligen können.

Wir dachten damals, je deutscher, desto besser. Wir schämten uns, Polen zu sein. In den ersten Wochen in Deutschland liefen wir mehr oder weniger stumm durch die Gegend. Meine Eltern hatten sich in den Kopf gesetzt: Auf deutschen Straßen sprechen wir deutsch. Wenn Freunde zum Essen kamen, gab es Lasagne und Tiramisu. Von Piroggen hatte meine Mutter genug.

Zur De-Assimilierung nach Polen

Katharina Blumberg-Stankiewicz sagt: „Es ist verständlich, dass unsere Eltern so reagiert haben. Aber man sieht, wie wir als zweite Generation darauf reagieren. Wir straucheln. Und holen uns irgendwann das Polnische zurück.“

Machen es die Einwanderer aus der Türkei besser? Sie haben zumindest das Stadtbild vieler deutscher Städte entscheidend geprägt. Piroggen-Buden gibt es dafür so gut wie keine. Sogar die Vietnamesen, die ebenfalls als top-integriert gelten, sind sichtbarer. Allein, weil man ihnen die Herkunft ansieht.

Um mich zu de-assimilieren, fahre ich nach Polen. Nach Danzig, Breslau, Warschau. Ich sehe Hipster und Hochhäuser und kaum einen Unterschied!

Ein paar dieser Hipster-Polen sind voriges Jahr nach Kopenhagen gefahren, zum Finale des Eurovision Song Contest (ESC). Vorher hatten sie mehr als 40 Millionen Klicks auf Youtube gesammelt.

„Wir Slawen“

„My Slowianie“, wir Slawen, heißt der Song des polnisches Rappers Donatan (Youtube-Clip). Im Video rühren Frauen in Trachten lasziv in Butterfässern und singen: „Wir Slawinnen haben das, was kein anderer hat. Wodka ist besser als Whiskey und Gin. Das, was unseres ist, ist das Beste, weil es unseres ist.“ Man weiß nicht, ob das gute Ironie ist oder doch ein Softporno. Aber vor zwanzig Jahren wäre so ein Song beim ESC undenkbar gewesen. Mittlerweile hat er auf Youtube 55 Millionen Klicks. Kaum ein polnisches Lied ist im Netz bekannter geworden.

Mein Heimatland hat sich verändert. Wie kein anderes aus dem ehemaligen Ostblock hat es den Systemwechsel geschafft. Polen wird heute bewundert, nicht belächelt. Die jungen Leute dort kennen den polnischen Minderwertigkeitskomplex gar nicht! Die gehen ins Ausland und sind polnisch und stolz drauf.

Soll man sich als Einwanderer angleichen? Oder doch lieber die eigene Kultur leben? Und wenn ja, wie viel davon?

Diskutieren Sie mit!

Die Titelgeschichte „Wir Supermigranten“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 2./3. Mai 2015.

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18 Kommentare

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  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    Unsichtbare Migranten? Nun in den großen Städten mag das ja der Fall sein. Wenn man aber als Mensch mit polnischer Abstammung auf dem Land aufwächst ist das völlig anders. Dort kennt jeder die Familiengeschichte und man wird als "Pole" abgestempelt und nicht selten als "Polacke" beschimpft. Man wird von Anfang mit der gesellschaftlichen und staatlichen Diskriminierung konfrontiert. Aber das kann einen auch hart und unachgiebig machen. Heute lasse ich mir von niemandem mehr vorschreiben wer ich bin und wr ich zu sein habe.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @4845 (Profil gelöscht):

      Abgesehen davon sollte man eben kein unsichtbarer Migrant sein. Man soll zu seiner Herkunft stehen und stolz darauf sein.

  • "Mein Heimatland hat sich verändert. Wie kein anderes aus dem ehemaligen Ostblock hat es den Systemwechsel geschafft. Polen wird heute bewundert, nicht belächelt. Die jungen Leute dort kennen den polnischen Minderwertigkeitskomplex gar nicht! Die gehen ins Ausland und sind polnisch und stolz drauf."

     

    Das ist mir noch nicht so aufgefallen. Ich habe keinerlei Bewunderung für ein Land, in dem sich ein neoliberale Rechtspartei und eine schwulenfeindliche, antiliberale national-rechtskonservative Partei um die Stimmenmehrheit streiten.

    Für die konservativen Menschen, die ich kenne, bleiben Polen eh meist die geborenen Faulenzer und alle, die links der Mitte sind, blicken eh sehr skeptisch auf ein Land, das unbedingt mit in den Irakkrieg ziehen wollte. Es wird evtl. noch nicht so abgelehnt wie Ungarn, aber bewundert bestimmt nicht.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @Age Krüger:

      Also immerhin ist Polen nachwievor das einzige Land in Europa, in dessen Geschichte Homosexualität niemals gesetzlich verboten war und nicht staatlich verfolgt wurde. Etwas was Deutschland nicht von sich behaupten kann...

  • Was passiert, wenn man sich hyperassimiliert und versucht, die Sprache möglichst schnell zu lernen?

     

    Bringt es Nachteile mit sich, Powermigrant zu sein?

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @Frank Mustermann:

      "Bringt es Nachteile mit sich, Powermigrant zu sein?"

       

      Möglicherweise die gelegentliche Konfrontation mit der Diskrepanz zwischen der Selbstwahrnehmung (Selbstanspruch?) und Außenbetrachtung.

  • Hallo Frau Smechowski,

     

    Ich glaube sie bringen da einige Sachen durcheinander. Wie sie selbst sagen, sind sie als Aussiedler nach Deutschland gekommen. Diese Leute wurden in Polen häufig als Deutsche oder zumindest als nicht "richtige Polen" diskriminiert. Bei den meisten von Ihnen handelte es sich um im 18. und 19. Jahrhundert germanisierte Polen, die sich auch nach den Vertreibungen weiterhin als Deutsche fühlten (wie die Masuren in Ostpreußen oder die Oberschlesier), von den polnischen Behörden aber als ethnische Polen eingestuft wurden und deshalb im Land bleiben mussten um die nun menschenleeren Gebiete zu rekultivieren und ihn einen "urpolnischen" Charakter zuzuschreiben. Diese Leute sind also nicht nur dank des Sozialismus ausgewandert. Ich denke da ist es verständlich, dass man sich hier dann besonders der Deutschen Identität zugewandt hat, um endlich "dazuzugehören".

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @Tina Plesnach:

      Man kann diese ca. 2 Millionen Menschen nicht über einen Haufen werfen. Es handelt sich um Menschen mit unterschiedlichesten Familienbiografien.

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @Tina Plesnach:

      Die "polnischen"Aussiedler hatten mehr oder weniger 4 Auswanderungswellen: 1. Im/direkt (erste 2 Jahre) nach dem Krieg 2. 50er Jahre nach dem Ende des Stalinismus 3. 70er Jahre nach dem deutsch-polnischen Vertrag 4. 80er Jahre und danach.

      Bei 1-2 (evtl. auch 3) handelte es sich noch um eine durch Nationalgesinnung geprägte Auswanderung. 3 und v.a. 4 war reine Wirtschaftsmigration. Sicherlich war jedem Schlesier oder Masuren das Deutsche nicht komplett fremd, allerdings die 2 Generationen seit 1945 wurden komplett polnisch assimiliert.

      • 4G
        4845 (Profil gelöscht)
        @10236 (Profil gelöscht):

        Sie vergessen zum einen die Auswanderungen zum Ende des 19. zum Beginn des 20. Jahrhunderts (vor dem 1. WK) in den Ruhrpott. Außerdem vergessen Sie die Menschen die durch die Zwangsverschleppungen des 2. Weltkrieges letztlich in Deutschland strandeten. Manche dieser Menschen konnten nicht nach Polen zurückkehren und auch nicht in einanderes Land auswandern.

        • 1G
          10236 (Profil gelöscht)
          @4845 (Profil gelöscht):

          Nein, die habe ich nicht vergessen. Meine Ausführungen sollten sich lediglich auf die Gruppe der "Aussiedler" beschränken. Also diejenigen die nach dem IIWK aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit und Teritorialverluste des 3. Reiches ihrer Heimat den Rücken gekehrt haben.

          • 4G
            4845 (Profil gelöscht)
            @10236 (Profil gelöscht):

            "Nein, die habe ich nicht vergessen."

             

            Dann ist ja gut.

  • Ganz banaler Rat:der goldene Mittelweg ist meist gar nichht schwer zu finden und immer die beste Lösung.Und - man kann durchaus zwei Kulturen angehören; es bereichert unglaublich und erleichtert das tägliche Leben.Ist allerdings mit primitivem Nationalismus nicht vereinbar.

  • Es geht glaube ich nicht nur den Migranten so.... die "Gesellschaft" möchte Mitglieder die leistungsbereit, angepasst (sowohl politisch, als auch sozial, als auch optisch), unauffällig und gut steuerbar sind.

     

    Barrierefrei für Behinderte Menschen gebaut ist es dennoch gern gesehen, wenn man allgemein von den Behinderten, bzw. ihren spezifischen Einschränkungen nicht so viel sieht und sie den Ablauf nicht behindern.

     

    Die Linke beobachtet man nicht mehr (vielleicht) mit dem Verfassungsschutz, seitdem sie brav und zahm geworden sind und sich einreihen.

     

    Schwule und Lesben werden heute toleriert..... Der Preis den wir dafür zahlen ist Unsichtbarkeit. Dem Konsens verpflichtet in der Öffentlichkeit nicht all zu viel von der Zuneigung zueinander zu zeigen und sich analog der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft zu benehmen, dürfen wir heute in unseren eigenen vier Wänden unbestraft unser Leben leben. Zum Beweis leistet man sich auch ein paar ultraangepasste Beispiele in der Öffentlichkeit. (Westerwelle und Co.) Schwule in den Medien werden heute bevorzugt bei der Diskussion um Hochzeit und Kindesadoption gezeigt. Ganz so, wie es den Großkoalitionären und der "Gesellschaft" gefällt.

     

    Genauso verhält es sich eben bei Migranten. Hier ist ein guter Migrant der Migrant, dem man es nicht anmerkt. Ergibt sich dann doch einmal, dass der Betreffende aus Polen, der Ukraine oder woher auch immer kommt, dann wir ganz anerkennend gesagt: "Toll, das hatte ich gar nicht gemerkt. Schau mal wie gut er/sie deutsch spricht. Da hat sie doch glatt letzte Woche ein Rezept für Schweinebraten vorgeschlagen........"

     

    Nicht ausgegrenzt wird, wer sich unsichtbar macht. Jeder Mensch möchte irgendwie anerkannt sein, nicht ausgestoßen sein.

     

    Das können glaube ich viele "Randgruppen" bestätigen. Ich habe es zumindest so am eigenen Leib erfahren. Das ist widerlich.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @Jean Noire:

      Also ich möchte nicht angepasst sein. Anpassung ist nur ein anderes Wort für Selbstaufgabe. Ich will nicht auf eine meiner beiden nationalen Identitäten reudziert werden. Ich bin stolz der deutschen und der polnischen Kulturnation anzugehören. Das hat man auch gefälligst zu akzeptieren. Auf Leute die das nicht können, kann ich sehr gut verzichten!

    • @Jean Noire:

      aber hallo!

      Hab so noch nie darüber nachgedacht aber das klingt sehr überzeugend.

      Danke fuer den Beitrag