Deutsche bekommen mehr Babys: Mit Kind durch die Krise
In Deutschland werden wieder mehr Kinder geboten. Arbeitslose Männer schrecken in Krisenzeiten vor Familiengründung zurück, schlechter qualifizierte Frauen wechseln in Mutterrolle.
Die Sorge war in der Pressekonferenz herauszuhören: Gerade in der Wirtschaftskrise müsse Familienpolitik eine Priorität bleiben, mahnte Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU). "Das ist keine Schönwetterpolitik. Ohne Familienpolitik ist kein Staat zu machen", sagte die Ministerin bei der Vorstellung des "Familienreports 2009" am Montag.
Dabei hatte die Ministerin eine klitzekleine positive Nachricht verkündet: Auf 1,37 Kinder pro Frau ist die Zahl der Geburten im vergangenen Jahr angestiegen, im Jahr 2004 waren es noch 1,33 Kinder pro Frau. Nach Schätzungen kamen im vergangenen Jahr rund 5.000 Babys mehr zur Welt als noch im Jahr davor. Doch flacht der mühsam gepäppelte Geburtenanstieg schon wieder etwas ab, im Jahr 2007 hatte es noch einen Zuwachs von 12.000 Neugeborenen im Vergleich zum Vorjahr gegeben. Auch reicht die Geburtenziffer lange nicht aus, um die Schrumpfung der Bevölkerung zu stoppen. Um den Verlust durch Sterbefälle auszugleichen, seien 1,6 bis 2,1 Kinder pro Frau nötig, sagte der Soziologe Hans Bertram am Montag. In Frankreich zum Beispiel liegt die Zahl der Geburten pro Frau bei 1,9.
Ob sich die Wirtschaftskrise auf die Entscheidung von Paaren auswirken könne, ein Kind zu bekommen, hinge von der Perspektive ab, die künftige Eltern für sich sähen, meinte Bertram. Dabei spielt die Entwicklung des Arbeitsmarkts eine entscheidende Rolle. Arbeitslosigkeit hat Folgen für die Familienplanung, wie eine internationale Studie des Sozialforschers Christian Schmitt vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) belegt.
"Bei Männern hemmt Arbeitslosigkeit die Familiengründung", erklärt Schmitt. In allen betrachteten Ländern - neben Deutschland wurden Frankreich, Großbritannien und Finnland untersucht - schreckten erwerbslose Männer vor einer Vaterschaft zurück. Schmitt führte dies auf die Befürchtung der Männer zurück, eine Familie nicht ausreichend finanzieren zu können.
Bei Frauen hingegen könne die Arbeitslosigkeit das Kinderkriegen sogar begünstigen, meint Schmitt. Vor allem Frauen mit niedrigem bis mittleren Bildungsniveau, bei denen die Arbeitslosigkeit länger andauere und die Aussichten auf einen schnellen Wiedereinstieg in den Jobmarkt düster seien, tendierten dazu, in die Mutterrolle zu wechseln, so das Ergebnis der Studie. Oft hätten diese Frauen schon einen Mann, von dem sie ökonomisch abhängig seien, und führten eine eher traditionelle Partnerschaft. Die Bereitschaft der jobmäßig schlechter gestellten Frauen, Kinder zu bekommen, ist dabei laut Schmitt besonders in Deutschland und in Großbritannien ausgeprägt.
Besser qualifizierte Frauen zögern jedoch, ausgerechnet in einer Phase der Arbeitslosigkeit Kinder zu bekommen und damit Gefahr zu laufen, auf die Rolle der Hausfrau reduziert zu werden. "Ein Kind kann zu einem solchen Zeitpunkt den endgültigen Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt bedeuten und damit sowohl die eigenen Investitionen in die Ausbildung entwerten als auch die Karrierechancen blockieren", erklärt Schmitt. "Zudem schreckt viele gut ausgebildete Frauen die Vorstellung ab, sich in finanzielle und soziale Abhängigkeit vom Partner begeben zu müssen."
Ob eine höhere Arbeitslosenquote am Ende zu mehr oder weniger Kindern führt, ist daher nicht eindeutig zu sagen. Eine Studie aus den Sechzigerjahren in den USA zeige, dass damals eine schwächere Konjunktur mit mehr Geburten einherging. Dieser Effekt sei aber heute nicht mehr messbar, so Schmitt. "In der aktuellen Forschung geht man davon aus, dass eine schlechte gesamtwirtschaftliche Entwicklung sich über düstere Zukunftsaussichten auch eher negativ auf die Geburtenrate auswirkt. Aber auch dieser Zusammenhang ist keineswegs eindeutig und unter Forschern unumstritten", sagte Schmitt im Gespräch mit der taz.
Aus der Geschichte weiß man, dass Zeiten schwerer Krisen und Umwälzungen die Geburtenrate senken. So sackte die Geburtenrate während der Weltwirtschaftskrise 1929 ab, stieg danach aber wieder an. Besonders eindrucksvoll war der Einbruch der Geburtenrate nach der Wende in der ehemaligen DDR und den ehemaligen Ostblockstaaten.
Die Massenarbeitslosigkeit nach der Wende in den neuen Bundesländern war allerdings dramatischer als der derzeit prognostizierte Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg ging am Montag von einem Plus von jahresdurchschnittlich 400.000 zusätzlichen Erwerbslosen für 2009 aus. Die Expertenmeinungen gehen über die Entwicklung in den kommenden Jahren auseinander. Zum Vergleich: zwischen den Jahren 1992 und 1997 stieg die Zahl der Erwerbslosen in Deutschland von drei Millionen auf fast 4,5 Millionen an.
In den Daten des am Montag vorgelegten Familienreports ist die aktuelle Wirtschaftskrise, die im Herbst begann, noch nicht berücksichtigt. Der Soziologe Hans Bertram betonte, der Staat könne mit einer verlässlichen Familienpolitik Paaren einen Teil ihrer Unsicherheit vor der Elternschaft nehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen