Deutsche Unternehmen in China: Das moralische Preisschild
Wirtschaftsvertreter aus Deutschland machen in Peking gute Miene zum bösen Spiel. Und verdienen dabei weiterhin prächtig.
Die Veranstaltung fiel ganz nach dem Geschmack der chinesischen Staatsführung aus, die in der Beziehung der beiden Länder zunehmend den Ton vorgibt: Im gediegenen Grand Ballroom schwangen Anzugträger zwischen goldenen Kronleuchtern und federweichem Teppichböden bedeutungsschwangere Reden, die sich an Inhaltsleere immer weiter überboten.
Fragen von Journalisten waren nicht vorgesehen, nur auf massiven Druck der deutschen Botschaft hin durften einige Korrespondenten in der zweiten Reihe zuschauen. Doch vielleicht spiegelt ja gerade dies die deutsch-chinesischen Beziehungen wider: Solange die Euros und Renminbi rollen, müssen Wertevorstellungen hintanstehen.
Konventionen gegen Zwangsarbeit noch nicht unterzeichnet
Das chinesische Wachstum sei längst ein „Anker“ für die deutsche Wirtschaft, sagt Gabriel Felbermayr, Leiter des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. „Allein die Entwicklung des Güterhandels zwischen China und Deutschland ist eine spektakuläre Erfolgsgeschichte. Anders kann man es nicht bezeichnen.“ Tatsächlich ist allein die Dimension des Warenverkehrs phänomenal. 5,4 Millionen Autos haben deutsche Firmen nach China verkauft, 116.000 Tonnen Schweinefleisch in die Volksrepublik exportiert.
Doch auch die Liste der Konflikte wird immer größer: Kommenden Monat wird etwa der Menschenrechtsausschuss im Bundestag darüber debattieren, ob die Masseninternierung der muslimischen Minderheit in Xinjiang als Völkermord einzustufen ist. Zudem pochen immer mehr Abgeordnete darauf, das ausgearbeitete Investitionsabkommen zwischen der Europäischen Union und China bis auf Weiteres nicht zu ratifizieren.
Marco Wanderwitz, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, mahnte beim Pekinger Wirtschaftsforum, dass Chinas Regierung zunächst „rasch und vollständig“ die internationalen Konventionen gegen Zwangsarbeit unterzeichnen solle.
Boykottaufrufe des chinesischen Staates haben zuletzt die Modehersteller Adidas und H & M getroffen, weil diese wegen der Menschenrechtsverletzungen keine Baumwolle mehr aus Xinjiang beziehen wollten.
„All das sollte natürlich allen Firmen Sorge bereiten, die international tätig sind. Bislang gibt es aber keine Anzeichen dafür, dass auch wir getroffen werden“, sagt Stephan Wöllenstein, der die Chinageschäfte für Volkswagen leitet und auch eine Fabrik in Xinjiang betreibt.
Für deutsche Firmen zählen praktische Fragen
Geschäftemachen ist in China stets mit einem moralischen Preisschild versehen. Bislang üben sich deutsche Unternehmensvertreter jedoch in der Vogel-Strauß-Taktik: Die Probleme werden ignoriert, bis es nicht mehr anders geht. Zuletzt zeigte sich dies bei der Automesse in Shanghai, bei der die Firmenvorstände von Volkswagen, Daimler und BMW regelrechte Lobeshymnen auf die chinesische Regierung anstimmten.
Für deutsche Firmen stehen derzeit praktische Fragen im Vordergrund. Sie erhoffen sich laut einer Umfrage der Handelskammer in Peking mit deutlicher Mehrheit, dass die Regierungskonsultationen eine Erleichterung der Reisebeschränkungen mit sich bringen. Wegen de facto geschlossener Grenzen und Hotelquarantäne ist der Personenverkehr auf einem historischen Tief angelangt. Dies führt dazu, dass Investitionen nicht getätigt, Posten nicht nachbesetzt und Maschinen nicht gewartet werden.
Das für heimische Unternehmen viel größere Problem wird jedoch auch nach der Coronapandemie nicht verschwinden. Derzeit vollziehen Chinas Wirtschaftsplaner einen Paradigmenwechsel, bei dem ausländische Unternehmen immer unwichtiger werden sollen: Der Fokus liegt ganz klar auf dem heimischen Binnenmarkt und auf technologischer Autarkie, Außenhandel und Außenhandelsinvestitionen werden dem untergeordnet. Der Goldgräberstimmung könnte bald ein ernüchternder Kater folgen.
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