Deutsche Sektensiedlung in Chile: Letzte Chance zur Aufklärung
Das frühere Mitglied der Colonia Dignidad, Willi Malessa, ist in Chile verhaftet worden. Der Grund: Beihilfe zum Verschwindenlassen von Gefangenen.
In der 1961 in Chile gegründeten „Kolonie der Würde“ gehörten sexualisierte Gewalt, Prügel und Zwangsarbeit jahrzehntelang zum Alltag vieler Bewohner:innen. Während der Pinochet-Diktatur (1973 bis 1990) kooperierte die Sektenführung um Paul Schäfer eng mit dem chilenischen Geheimdienst Dina, der ein Gefangenenlager auf dem streng abgeriegelten Gelände errichtete. Hunderte Oppositionelle wurden in der deutschen Siedlung gefoltert, Dutzende ermordet.
Seit 2005 ermittelt Chiles Justiz wegen dieser Menschenrechtsverletzungen. Seit 2021 hat die Untersuchungsrichterin Paola Plaza dazu viele Zeug:innen vernommen.
Malessa ist wegen mutmaßlicher Beteiligung an der Entführung und dem Verschwindenlassen von Juan Maino, Elizabeth Rekas und Antonio Elizondo angeklagt. Die drei Mitglieder der linken Organisation Mapu waren am 26. Mai 1976 von Dina-Agenten in der Hauptstadt Santiago verschleppt worden. Bis heute fehlt von ihnen jede Spur.
Angehörige hoffen auf Aufklärung
„Es ist schwer zu akzeptieren, dass wir nicht wissen, wo und wie sie ermordet wurden“, erklärt Mariana Maino, die Schwester von Juan Maino. „Seit fast 47 Jahren suchen wir meinen Bruder. Unsere Mutter war unermüdlich, doch vor neun Jahren ist sie gestorben, ohne Wahrheit und Gerechtigkeit zu erhalten“.
Gegenüber Ermittlungsbehörden und in TV-Dokumentationen hatte Malessa mehrfach eingestanden, dass er als Baggerfahrer 1978 Leichen aus Massengräbern in der Colonia Dignidad ausgegraben hatte. Diese seien danach verbrannt und ihre Asche in den nahegelegenen Fluss Perquilauquén geworfen worden.
Trotz forensischen Grabungsarbeiten und Bodenanalysen konnte bis heute keine der auf dem Gelände ermordeten oder verschwundenen Personen identifiziert werden.
„Wir hoffen, dass die Colonos [Bewohner:innen der Siedlung] jetzt Informationen über den Verbleib der Verschwundenen offenlegen, die sie seit Jahren zurückhalten“, sagt Mariana Maino.
Kritik an deutscher Justiz
„Die Untersuchungsrichterin wird Malessa in den kommenden Tagen vernehmen“, erklärt die Anwältin Mariela Santana, die Mariana Maino vertritt. „Falls Malessa aus der Untersuchungshaft entlassen wird, muss ein Ausreiseverbot verhängt werden, damit er sich nicht nach Deutschland absetzen kann“, fordert Santana. Denn als deutscher Staatsangehöriger würde er nicht nach Chile ausgeliefert.
Die Berliner Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf begrüßt die Aufklärungsbemühungen der chilenischen Justiz, die es „im Gegensatz zu den deutschen Ermittlungsbehörden auch nach langer Zeit nicht aufgibt, die Verbrechen in der Colonia Dignidad zu verfolgen“.
Schlagenhauf hatte Angehörige der 1976 verschleppten Elizabeth Rekas und weitere Opfer der Colonia Dignidad bei Ermittlungen der deutschen Justiz gegen Hartmut Hopp vertreten. Der frühere Leiter des Krankenhauses der Siedlung ist in Chile rechtskräftig verurteilt wegen Beihilfe zur Vergewaltigung, lebt aber unbehelligt in Krefeld.
Deutschland als sicherer Hafen für mutmaßliche Täter
Die Ermittlungen der deutschen Justiz gegen ihn und auch gegen Reinhard Döring wegen der Beteiligung am Verschwindenlassen von Gefangenen wurden allesamt eingestellt. Die Anwältin kritisiert, in Deutschland herrsche faktische Straflosigkeit, denn die deutsche Justiz habe nie mit der nötigen Tiefe und Energie ermittelt.
„Deutschland ist zu einem sicheren Hafen für mutmaßliche Täter geworden“, kritisiert auch Jan Stehle vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika. In demselben Verfahren wie Malessa seien auch der frühere Sektenarzt Hopp und Döring von der chilenischen Justiz angeklagt worden. „Obwohl gegen beide ein internationaler Haftbefehl vorliegt, leben sie straffrei und unbehelligt in Deutschland“.
Malessa war 1961 als Elfjähriger aus Deutschland in die Colonia Dignidad gekommen. Er genoss gewisse Privilegien, so durfte er im Unterschied zu den meisten Bewohner:innen heiraten. Bereits 1998 verließ er die Siedlung, die inzwischen Villa Baviera heißt und zu einem touristischen Ausflugsziel im bayerischen Stil geworden ist und wo es bis heute keine Gedenkstätte gibt.
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