Deutsche Dschihadistinnen: Die Witwen von Waziristan
Ein Berliner Gericht verurteilt eine Ulmerin wegen Terrorhilfe. Immer häufiger wollen Frauen eine aktive Rolle in der islamistisch-terroristischen Szene spielen.
BERLIN taz | Ihr Mann Shahab Dashti ist tot. Getötet durch eine US-Drohne. S. lebt, irgendwo in einem unwegsamen Winkel Waziristans. Sie ist jetzt Anfang 20 - und Mutter. Wenn es stimmt, was Kämpfer der Islamischen Bewegung Usbekistan (IBU) verkünden, hat sie im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet einen Sohn geboren, "von dem wir uns erhoffen und Allah darum bitten, dass er in die Fußstapfen seines Vaters tritt".
S. ist in Hamburg geboren, hat an einem Gymnasium in der Nähe der Außenalster Abitur gemacht und wollte Zahnärztin werden. Früher soll sie weltoffen gewesen sein, wie Bekannte berichten. Doch in der Beziehung zu Dashti, den sie im März 2008 nach islamischem Recht heiratet, wird S. immer frömmlerischer, trägt Kopftuch und einen langen Kaftan, darf nicht mehr mit ausgehen.
Ihr Mann - einst Basketballer beim VfL Pinneberg - besucht die Al-Quds-Moschee in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs, wo schon die Todespiloten des 11. September 2001 beteten. "Dschihad" lautet sein Spitzname dort. Er macht ihm alle Ehre.
Dashti verhökert, was er hat, S. verkauft ihren Schmuck, und am 4. März 2009 reisen sie mit drei weiteren Islamisten von Frankfurt über Doha nach Peschawar - one way. Dashti wird wenige Monate später als "Abu Askar" in einem IBU-Video auftreten, in der Hand ein mächtiges Messer mit 80-Zentimeter-Klinge.
Das Urteil: Das Berliner Kammergericht hat die Ulmerin Filiz G. am Mittwoch wegen Unterstützung der "Deutschen Taliban Mudschahidin" und anderer im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet agierender terroristischen Vereinigungen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Gericht hatte keinen Zweifel daran, dass sie über das Internet Propagandavideos verbreitete und einem Terroranführer in Waziristan 3.200 Euro zukommen ließ.
Das Geständnis: Die 29-Jährige hatte während des viermonatigen Prozesses ein umfangreiches Geständnis abgelegt und auch einen Mitangeklagten belastet. Inzwischen bereut Filiz G. ihre Taten. "Dschihad ist keine Lösung", sagte sie in ihrem Schlusswort. Der Vorsitzende Richter sagte am Mittwoch, ihre Abkehr von dschihadistischen Ideen sei glaubhaft. Da keine Fluchtgefahr bestehe, darf sie das Gefängnis zunächst verlassen, die Reststrafe wird sie wohl im offenen Vollzug verbüßen. (taz)
Ihrer Mutter hatte S. gesagt, sie wolle nach Mekka. Jetzt sitzt sie mit Baby in den pakistanischen Stammesgebieten, Rückzugsraum für Taliban, al-Qaida, IBU und weitere Gruppen von Aufständischen und Terroristen.
Dass Frauen aus Deutschland in den Dschihad ziehen, ist kein Massenphänomen. Aber immer öfter reisen Frauen mit in das pakistanisch-afghanische Grenzgebiet: Deutsche und Migrantinnen, als Musliminnen Aufgewachsene und Konvertitinnen, manche schwanger oder mit kleinen Kindern, einige sind noch im Teeniealter.
In der Gruppe, die 2009 aus Hamburg aufbrach, war neben S. noch eine zweite Frau. Zuvor waren schon mehrere Frauen aus dem Bonner Raum mit in den Dschihad gezogen. Aus Berlin brachen 2009 und 2010 ein gutes Dutzend Männer gen Waziristan auf - und mindestens vier junge Frauen. "Der Anteil an Frauen unter den deutschen Dschihadisten hat sich erhöht", schreibt die Stiftung Wissenschaft und Politik.
Ein Abenteuer für die ganze Familie?
In ihrer Propaganda zielen Terrorgruppierungen immer stärker auf die Familie ab. "Bringt eure Frauen und Kinder mit", heißt es in einem der Videos. "Kommt allesamt." Der Dschihad: ein Abenteuer für die ganze Familie, so die Propaganda.
"Seit einiger Zeit ist eine zunehmende Involvierung von Frauen in islamistische-terroristische Aktivitäten festzustellen", heißt es in einer unveröffentlichten Studie des Verfassungsschutzes, deren Kurzfassung der taz vorliegt. In der Regel stünden Frauen dabei in Beziehung zu einem männlichen Dschihadisten "und entfalten ihre Aktivitäten vorrangig auch aufgrund dieser Beziehung".
Die Verfassungsschützer unterscheiden mehrere Typen. Zum einen: die "passiven Frauen", die einem traditionellen Rollenverständnis der "gehorsamen, aufopferungsvoll dienenden" Frau anhingen. Entsprechend sollen sie ihre Männer zum Kampf motivieren, sie versorgen und pflegen - und die Kinder zu Mudschaheddin erziehen.
Diese Rolle wird auch von Dschihad-Theoretikern eingefordert. Auf islamistischen Internetseiten findet sich eine deutsche Übersetzung eines Textes des einflussreichen Ideologen Abu Muhammad al-Maqdisi. Er propagiert darin, muslimische Frauen "nicht unnötigerweise in Kampfhandlungen, Dschihad, Organisation oder ähnliche Aufgaben zu involvieren, die Männer machen könnten".
"Aktive Frauen" in der deutschen Dschihadszene wollen sich jedoch nicht auf diese Rolle reduzieren lassen, wie der Verfassungsschutz schreibt, sondern forderten "selbstbewusst eine aktive Rolle im Dschihad". Vor allem Konvertitinnen wollten ihre Rolle mit "emanzipierten Vorstellungen" ausfüllen. So wie die Bonner Konvertitin Luisa S., die sich heute "Ummu Safiyya" nennt - Mutter von Safiyya. Auch sie ist eine der deutschen Witwen in Waziristan.
Nachdem ihr Mann Javad S. im Oktober 2009 von pakistanischen Militärs getötet wurde, erscheint sie in einem Propagandafilm der IBU. Ganz in Schwarz, das Gesicht mit dem Niqab verhüllt, preist sie den Märtyrertod ihres Mannes - um sich sodann an die "lieben Schwestern" in Deutschland zu wenden und sie aufzufordern, zu den Mudschaheddin zu kommen - auch ohne "Mahram", einen männlichen Begleiter. "Folgt dem Beispiel unserer Schwestern, die sich uns allein angeschlossen haben."
Frauen allein auf Reisen nach Waziristan? Für stramme Islamisten undenkbar. "Eine Frau darf ohne Mahram nicht verreisen", kommentierte denn auch einer im Internet das Video. Auch der Dschihad erlaube "keine Ausnahmen".
Der Verfassungsschutz drückt es so aus: "Das emanzipierte Selbstverständnis der Frau kollidiert […] noch häufig mit dem traditionellen Rollenverständnis der männlich dominierten islamistisch-dschihadistischen Szene." Wenn Frauen in der Szene aktiv werden, wirken sie darum meist im Hintergrund, als Unterstützerinnen. "Frauen sammeln Spenden, leisten logistische Hilfe oder verbreiten islamistische Propaganda über das Internet", heißt es in der Studie.
Deckname "schokocafe"
So wie Filiz G., die an diesem Mittwoch in Berlin zu zweieinhalb Jahren Haft wegen Terrorunterstützung verurteilt worden ist. Die 29-Jährige hat von ihrer Wohnung in Ulm und von einem Callcenter aus, in dem sie Anzeigen für die Südwestpresse aufnahm, Islamisten in Waziristan unterstützt und Propaganda für sie ins Netz gestellt. In der Online-Dschihadszene steigt sie innerhalb kurzer Zeit auf, was vor allem an ihrem Mann liegt: Fritz G., Kopf der Sauerland-Gruppe und wegen Attentatsplänen seit September 2007 in Haft.
Schnell spricht sich herum, dass hinter Decknamen wie "fisebilillah" oder "schokocafe" die "Frau von Fritz" steckt. Sie wird Moderatorin des wichtigen Szeneforums "Ansar". Mehr als 1.000 Texte, Videos und Kommentare stellt sie ins Internet ein. "Rotte sie aus", schreibt sie einmal über die "Kuffar", die Ungläubigen.
Was Filiz G. so fanatisierte, konnte der fast zwanzigwöchige Prozess im Kriminalgericht Moabit nicht klar beantworten. Im Rückblick erkenne sie sich selber nicht wieder, sagt die 29-Jährige. "Ich habe meiner Religion geschadet."
Filiz G. war direkt in die Propagandaproduktion der "Deutschen Taliban Mudschahidin" eingebunden, verfasste sogar eigene Beiträge im Namen des "Emirs". Sie sammelte Geld ein, das sie über einen Mittelsmann nach Waziristan transferierte. Einem jungen Berliner, der seine Ausreise geplant haben soll, stellte sie ein Paket für die Geschwister im Kampfgebiet zusammen: Ritter-Sport-Schokolade, Gummibärchen - und Babykleidung.
Wie sie während des Prozesses erzählte, hat Filiz G. auch selbst einmal darüber nachgedacht, in das Dorf der Dschihadisten auszureisen. In Waziristan hätte auch Sprengstofftraining auf dem Tagesplan gestanden, wie eine "Schwester" ihr per E-Mail berichtete.
Dass Frauen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet an Waffen ausgebildet werden, wird auch im posthum veröffentlichten Tagebuch des saarländischen Konvertiten Eric Breininger behauptet. Die Schwestern lernten "den Umgang mit Schusswaffen", schreibt er - damit sie nicht "hilflos" seien.
Doch Breininger geht es noch um etwas anderes: "Es wäre gut, wenn auch unverheiratete Schwestern die Hidschra [Ausreise; d. Red.] hierher machen würden, denn es gibt hier viele unverheiratete Brüder, die sich wünschen, eine Familie zu gründen." Auch er hoffe, eine Frau zu finden. Dazu sollte es nicht mehr kommen. Pakistanische Soldaten töten Breininger im April 2010 an einem Checkpoint bei Mir Ali.
Nach allem, was bekannt ist, waren Islamistinnen aus Deutschland dort bisher nicht in Gefechte verwickelt. Auch deutsche Selbstmordattentäterinnen hat es noch nicht gegeben, und Experten halten es auch für unwahrscheinlich, dass es "schwarze Witwen" aus Deutschland geben wird, nach dem Vorbild kaukasischer Frauen, die sich in Russland in die Luft sprengen, oder dem palästinensischer "Märtyrerinnen".
"Höchste Form des Gottesdienstes"
Dass deutsche Frauen eine größere Rolle im Dschihad spielen könnten, befürchten die Sicherheitsbehörden allerdings schon. So könnten Videoauftritte wie der von Luisa S. "als nachahmenswerte Beispiele wirken" und eine Abkehr von einer "rein unterstützenden Rolle verstärken", heißt es in der Verfassungsschutzstudie. Für manche sei "das Konzept der aktiven Kämpferin eine reale Option".
Die neueste Propaganda aus Waziristan scheint direkt auf solche Frauen abzuzielen. So zitiert der Bonner IBU-Kämpfer Yassin Chouka alias "Abu Ibrahim" in einer Botschaft von Februar einen Sheik, der den muslimischen Jugendlichen rät, wie "das amerikanische Mädchen" zu sein. "Viele der amerikanischen Sniperschützen und Jetpiloten in Afghanistan sind Soldatinnen."
Danach wird ein "Abschiedsbrief einer deutschen Schwester an ihre Eltern" präsentiert, der Choukas Schwägerin zugeschrieben wird. "Die Realität zeigt, dass die Anführer des Unheils und des Unglaubens, die Amerikaner und jeder, der sich auf ihre Seite gestellt hat, täglich die Muslime weltweit bekämpfen", schreibt sie in sauberer Schreibschrift, die Buchstaben nach rechts geneigt. "Das Kämpfen in diesen Ländern ist nicht nur Pflicht, sondern gleichzeitig die höchste Form des Gottesdienstes."
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