Deutsch-polnische Beziehungen: Noch fahren sie zusammen Streife
Das Verhältnis der Länder hat sich verschlechtert, seitdem die PiS den Staat umbaut. In den Grenzregionen spürt man davon noch nicht viel.
Vogt gründete 1994 auf einem Gut bei Görlitz das nach Osteuropa orientierte „Institut für Kulturelle Infrastruktur“. Mit „Befremden“ beobachte er den wiedererstehenden Chauvinismus der in Polen regierenden Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS). Aber von einem Rückschlag der nachbarschaftlichen Beziehungen unmittelbar an der Grenze will er noch nicht sprechen.
Dieses „Noch“ bestimmt die Erkundigungen nach dem deutsch-polnischen Verhältnis in der Neißeregion, seit die PiS-Partei im Herbst 2015 allein die Macht übernahm. Missliebiges und regierungskritisches Personal wird seither ausgetauscht, die Unabhängigkeit der Justiz sieht nun auch die EU in Gefahr, Medien und Kultur droht die Gleichschaltung.
Ola Staszel ist Leiterin des Neiße-Filmfestivals. Die gebürtige Polin, die in Deutschland lebt, berichtet beispielsweise von der Entlassung der Chefin des Polnischen Filminstituts Warschau durch den Kulturminister. Zuvor waren Fördermittel drastisch gekürzt worden. Auch Staszel bekommt die Folgen zu spüren. Bei ihr fragten erste polnische Regisseure an, ob sie in Deutschland arbeiten könnten.
Sie hat auch von der Sorge um das Schicksal des Kulturhauses in Zgorzelec gehört. Die einst zum Lob deutscher Kaiser errichtete Ruhmeshalle auf der östlichen Seite der Neiße bangt um die künftige Kulturförderung. Der Bürgermeister von Zgorzelec ist kein PiS-Mann.
Die Polizei fährt gemeinsam Streife
Deutsche und polnische Polizei fahren weiterhin Streife, sagt der Sprecher der Polizeidirektion Görlitz. Die sächsischen Grenzen nach Polen und Tschechien gelten wegen des teils bandenmäßigen Diebstahls und des Drogenschmuggels als besonders heikel. Sie verbringen sogar mehr Zeit miteinander – die gemeinsamen Wagenbesatzungen gingen nun in einem verlängerten Turnus auf Streife, so der Sprecher. Es sei lediglich ein praktisches Problem, geeignete Paare zu finden, die sich in beiden Sprachen verständigen können. Auch die Zusammenarbeit der Feuerwehren in Görlitz und Zgorzelec wurde nicht eingestellt, wie kolportiert, bestätigt ein Feuerwehrmann auf der Wache in Görlitz. „Aber es ist zumindest nicht besser geworden“, setzt er nach.
Gibt es Erosionserscheinungen in der kulturellen Zusammenarbeit? „Ich habe keine neuen nationalistischen Aversionen gespürt“, sagt Stefan Meier, Leiter der Görlitzer Musikschule. Dass im gemeinsamen Orchester mit der Partnerschule Zgorzelec kaum noch polnische Kinder sitzen, führt er auf Unterschiede in der Ausbildung zurück.
Umgekehrt bewerben sich bei dem mit 12.000 Euro geförderten gemeinsamen Klavierwettbewerb fast nur noch junge polnische Pianisten. Aus Qualitätsgründen wird er künftig nur noch aller zwei Jahre ausgetragen. Von wiedererwachenden Ressentiments zwischen Deutschen und Polen spüren weder die polnische Sekretärin der deutschen Musikschule etwas noch Philipp Bormann, persönlicher Referent des Theaterintendanten Klaus Arauner. Er ist mit einer Polin verheiratet, der Sohn besucht die polnische Musikschule auf der anderen Seite der Friedensbrücke. Auf dieser persönlichen Ebene klappt es, und der Görlitzer Kulturbürgermeister Michael Wieler gibt sich bewusst optimistisch. Im Kulturkalender stehen beispielsweise der „Kunstzug“ nach Wrocław oder die Europa-Chorakademie. Aber den Druck der politischen Großwetterlage spürt man auch am Gerhart-Hauptmann-Theater.
EU-Gelder als Beziehungskitt
An dessen zweiten Standort am Schauspiel Zittau zeigt sich Intendantin Dorotty Szalma skeptisch. Hier gilt es ein bemerkenswertes Dreiländerprojekt zu verteidigen, dessen Kürzel JOS sich von den Initialen der drei höchsten Berge der Region ableitet. Immerhin hat man jetzt gemeinsam mit Liberec und Jelenia Gora drei Uraufführungsprojekte vergeben können, hält ein gemeinsames Abonnement, eine Zeitung, plant ein Kinderprojekt. Solange die Fördermittel der EU fließen, scheint die Zusammenarbeit ungefährdet. „Aber es sind schwierigere Zeiten zu erwarten“, warnt Intendantin Szalma.
Wie ihre Filmkollegin Staszel blickt auch sie mit Sorge auf die polnischen Regionalwahlen im kommenden Herbst und den 100. Jahrestag der Wiedererlangung der Unabhängigkeit am 11. November. Sollte die PiS dann auch in Niederschlesien an die Macht kommen, könnte ein ähnlicher Kulturkampf wie in Krakau oder Warschau drohen.
Dass das sprichwörtliche Rad der Geschichte in der unmittelbaren Grenzregion noch einmal zurückgedreht werden könnte, fürchtet auf sächsischer Seite indessen kaum jemand. Zu viele Selbstverständlichkeiten bis hin zu den Einkaufsgewohnheiten sind seit 2004 gewachsen.
Auch Kulturprofessor Vogt rät zu mehr Gelassenheit und zu gründlicher Beschäftigung mit der polnischen Geschichte. Infolge der früheren Teilungen tendiere diese immer zum Nationalismus. Und die Vorgängerregierung habe nun einmal die Gebiete jenseits der Wachstumsregionen vernachlässigt, wo die PiS jetzt Stimmen holt.
Vom katholischen Rosenkranzbeten an den Landesgrenzen, im Oktober als Abwehraktion gegen muslimische Flüchtlinge gedacht, blieb die Neißeregion jedenfalls verschont.
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