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Designhistoriker über totalitäre Ästhetik"Du brauchst Logos"

Kunstwerke, die beeindrucken und keine Fragen offenlassen, sind unverzichtbar für totalitäre Regime, sagt der Designhistoriker Steven Heller.

Nazi-Symbol Hakenkreuz: Totalitär ist die Idee dahinter. Bild: dpa

taz: Was macht ein Design totalitär, Herr Heller?

Steven Heller: Alles, was Macht suggeriert. Macht kann visuell und grafisch dargestellt werden. Dafür gibt es viele Symbole: das Schwert, den Adler, Blitze. Das sind Symbole, die in beide Systeme passen, zum rechten Totalitarismus und zum linken. Was ein Kunstwerk totalitär macht, ist etwas, was stark ist und keine Fragen offenlässt. Das Hakenkreuz, die Swastika, war kein Nazi-Symbol, und wenn man seine grafische Kraft unvoreingenommen betrachtet, ist es ein großartiges Symbol, eine schöne Form. Aber seit die Nazis es zu ihrem Symbol gemacht haben, wurde es zu etwas anderem. Essenziell totalitär ist die Idee dahinter.

Was fasziniert Sie so an dem Thema?

Ich war ein jüdisches Kind in New York, und ich mochte Kriegsfilme. Ich hatte solche Soldatenfiguren, und die, die mir am besten gefallen haben, waren die, die ganz schwarz angezogen waren, wie die italienischen Faschisten. Obwohl ich politisch links stehe und pazifistisch bin, auch gegen den Vietnamkrieg protestiert habe, war ich verführbar. Also, wenn ich verführbar bin, was ist dann mit den Leuten, die eine Verbindung zu dieser Art Ideologie fühlen? Ich wollte ergründen, wie das vom visuellen Standpunkt her gelingt, denn ich bin ein visueller Mensch.

Sie hatten Angst vor dem Material?

Es ist sehr einfach, es anzusehen und beeindruckt zu sein. Als ich jung war, war ich ein Hippie, und ich kaufte eine Uniform. Es war keine Nazi-Uniform, es war eine Wehrmachtsuniform, aber - sie war schön. Schön geschneidert, sie saß gut. Und ich trug sie, mit langen Haaren, in New York. Da kam ein paar Frauen auf mich zu und brüllten mich an: Wissen Sie, was Sie da tun? Und was ich tat, war, dieses Ding, diese Uniform, die solche symbolische Macht hat, zu ästhetisieren. Es ist einfach, es als Mode zu betrachten.

Die Marxisten lehnten Symbole ab, eben wegen ihrer manipulativen Kraft - paradoxerweise schufen sie ein sehr starkes Symbol, indem sie einfach eine Farbe zum Symbol machten: das Rot.

Das Rot war schon lange vor den Marxisten die Farbe der Revolution. Aber, ja, sie wollten weg von all den Fallen des Imperialismus und sind dann doch hineingetappt. Denn so baut man ein Land auf: Du brauchst Logos. Die Leute tragen diese Symbole an ihrem Arm oder tätowieren sie auf ihre Rücken, und die Sowjets haben das verstanden. Die chinesische Volksarmee war die puristischste Armee, sie haben keine Medaillen verteilt, und ihre Uniformen waren ganz schlicht, es gab keine Hierarchieabzeichen.

Wenn ein Staat heute ein Logo für sich kreiert - ab wann wird es für Sie verdächtig?

Logos sind ein Teil unseres Lebens. Aber wann immer jemand eine Idee oder eine Person zur Marke macht, muss man es sich bewusst machen. Ich benutze das Wort "branding" in meinem Buch, denn "branding" ist Teil unseres Lebens. Die Bluse, die Sie tragen: ein Designer hat sie gestaltet, sie ist Teil einer Marke. Daran ist nichts falsch, so werden Dinge attraktiv. Das Logo auf Ihrem Mac, das Logo auf Ihrem Walkman: so unterscheiden wir einen Gegenstand von einem anderen. Daran ist per se nichts Finsteres. Finster ist, wie diese Logos benutzt wurden.

Was war Ihre überraschendste Entdeckung während der Recherche?

Kleine Dinge. Was ich nicht wusste, war, dass es einen deutschen Designer namens Will Burtin gab, der in die USA emigrierte. Er war damals sehr wichtig, ist heute aber nicht mehr bekannt. Es gibt eine Monografie über ihn, in der stand, dass Goebbels ihn gebeten hatte, der Artdirector des Propagandaministeriums zu werden. Ich habe immer versucht, herauszufinden, wer diejenigen waren, die das offizielle Propagandadesign machten. Und ich fand sie nie. Wenn ich Deutsch sprechen würde und den Rest meines Lebens hier verbringen würde, würde ich es wohl herausfinden.

INTERVIEW: JULIA BÜTTNER

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