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„Deshalb bin ich der Jogi“

Wie kommt der Fußballtrainer Joachim Löw einigermaßen unbeschadet aus einer Maschinerie, die an seinem Gesichtsverlust arbeitet?  ■ Von Peter Unfried

Was kann er tun? Was kann er jetzt noch tun? Die Frage hat sich in sein Hirn gebissen. Kreist. Schmerzt. Ist immer da, nicht mehr wegzudrücken. Dabei ist er „von Haus aus“ ein ausgeglichener Mensch. Einer, der von sich gesagt hat, er müsse nicht 24 Stunden am Tag daran denken. Jetzt, sagt Joachim Löw, falle es ihm schwer „abzuschalten“. Beschäftige er sich „pausenlos mit den Problemen“.

Der allgemeine Tenor ist: Joachim Löw kann gar nichts mehr tun, was ihm seinen Job als Trainer des Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart länger als bis zum Saisonende retten könnte. Das ist das eine. Vielleicht geht es aber nicht bloß um die soundsovielte Entlassung der Liga-Geschichte. Sondern darum, wie Löw aus dieser Sache herauskommt – und wie seine Arbeitsweise. Der Mann hat vielleicht, soweit das in einem durch und durch autoritär strukturierten Gewerbe möglich ist, wie dem Fachmagazin Hattrick früh schwante, „ein neues Führungsmodell“ entwickelt: den „Trainer, der weniger Boß und mehr Kollege ist“.

Soviel stimmt: Er habe „nie gesagt, ich bin der Diktator“. Er habe gesagt: „Leute, hört zu. Ich will euch überzeugen.“ Das Ziel: „wegzukommen von der ständigen Fremdmotivation“ (das ist: Spielern permanent in den Arsch treten), hin zur Eigenverantwortung des Kollegen Spieler.

Der Vorwurf, der immer schon da ist, wohin der Trainer in diesen Tagen auch rennt: War doch klar, daß das mit so einem und womöglich entfernt demokratischen Pipifax nix werden kann. Hierarchie! Autorität! Unterdrückung! Er, Löw, habe zugesehen, wie die Jungmillionäre sich völlig zerstritten. Während die „Mannschaft“ zerbröckelte – ein Wort, das die Stuttgarter Zeitung mittlerweile in Anführungszeichen setzt –, habe sich der Jogi zum „Jogi-Bären“ (Bild) machen lassen. Löw betont dann immer, daß sein Führungsmodell etwas differenzierter zu sehen sei, er „intern“ immer durchgegriffen habe, wenn es nötig gewesen sei. Sonst dringt ja viel nach außen, davon freilich nie etwas. Obwohl man ihn gedrängt hat, hat er sich geweigert, Vergehen von Spielern öffentlich zu machen. Dabei verteidigt er auch den Kollegen Trapattoni. Bloß: Er würde das nicht machen. „Hört zu“, hat er den Spielern gesagt: „Nach außen hin stelle ich mich immer vor euch.“ Keine Demontagen. Das werde ihm nun als Schwäche ausgelegt, deshalb heiße es: „Der ist zu weich.“

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Als der Kollege Cesar Luis Menotti in der Süddeutschen über die „Freude“ am Fußball philosophierte, die „über den nackten Erfolg hinausgeht“, hat Löw es gelesen und gedacht: „Hört sich gut an.“ Natürlich denkt er gern an die „besonderen Highlights“ zurück, die „die Leute glücklich gemacht“ haben. Nur, wenn man „nachher verliert... heißt es... vor lauter Dummheit...“ Löw raucht – wie Menotti. Ansonsten war er 17 Jahre Fußballprofi, die meiste Zeit beim SC Freiburg in der zweiten Liga. Er stammt aus der Nähe von Lörrach, ist gelernter Großhandelskaufmann, verheiratet mit einer Großhandelskauffrau. Hört Pur. Ist geschmackvoll angezogen. Kein ausgemachter Utopist.

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Das hier ist aber ein Fakt: Der VfB Stuttgart hat in der Saison 1996/97 den aufregendsten Fußball gespielt seit Jahrzehnten. Okay, seit Jürgen Sundermann (1977/78). Es war gelebter Menotti-Fußball, einer, der das Können der Spieler und ihre Lust am Spiel nicht unter-, sondern auf wunderbare Weise ausdrückte. Von den Gesichtern der Handelnden sprang das freudige Erstaunen hoch auf die Ränge. So kann Fußball sein! Und das Leben dann ja womöglich auch? Wer hätte das gedacht? Die Leute im Neckarstadion gerieten dermaßen außer Rand und Band, daß es für ewigskeptische Schwaben fast schon peinlich war.

Wie kam dieser Fußball zustande? Löw hatte das innovative, aber riskante System von Vorgänger Rolf Fringer etwas stabilisiert, dazu personell ein bißchen korrigiert. Der Wechsel des Co-Trainers auf die Chefstelle hatte die Gruppe neu definiert, ihr ward „eine gewisse Eigenverantwortung“ übertragen und dann Balakov, Elber und Bobic die Freiheit gegeben loszuspielen – die Gruppe merkte, wie sie als Gruppe funktionierte und wie geil das kam. Sie berauschte sich daran und gab sich ganz und mit aller Energie dem Spiel hin. Aber, ehrlich: Kann so eine Idylle Bestand haben? Elber ging, das Jahr 1997 noch zufriedenstellend zu Ende. Aber spätestens als sich in der Winterpause herumgesprochen hatte, daß Balakov nach seiner vorzeitigen Vertragsverlängerung doppelt soviel verdiene wie der am nächstbesten bezahlte, war der Spaß vorbei, „die Konzentration auf das Wesentliche verloren“ (Löw), der ewige Zyklus wieder im Alltag angelangt, das heißt bei Neid und Fixierung auf Eigeninteressen. Nun zermartert Löw sich den Kopf mit der Frage: „Hätte ich früher...?“ Auf die Führungskräfte einwirken müssen? Jene mittleren Angestellten zurück auf Kurs bringen können, die nur noch „von sich ablenken“. Oder die, die für Bild spionieren. Zwischen Balakov und Neuzugang Yakin schlichten. Hat er ja versucht. Sie damit konfrontiert: „Jetzt habt ihr beiden ein Problem. Wo ist das Problem?“

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Hier kommt ein anderer Fakt: Meister wurde im letzten Jahr bekanntlich Bayern. Der VfB hatte zwar Tor auf Tor geschossen und war Pokalsieger – aber nur Bundesligavierter. Gut – aber kein gerechter Lohn für die Qualität des Fußballs. Die Konsequenz: Löw wollte „etwas weniger Euphorie, etwas mehr Kaltschnäuzigkeit“. Effizienz. „Auch mal sagen: Okay, 1:0.“ Löw fing an zu suchen. „Unterkühlten Fußball“, nennt er das, was Trapattonis Bayern spielen. So wolle er „nicht unbedingt Meister werden“. Punkt? Nein, Nachsatz: „Wenn's auch anders geht.“ Geht es anders? Spielfreude. Leidenschaft, „und dann im entscheidenden Moment cool sein“ (Löw)? Im Moment hat er zwar andere Sorgen. Aber eigentlich ist er „immer noch auf der Suche“.

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Dieser Mann ist offenbar anders als die meisten in der Branche. Sagen alle. Er ist nämlich „normal“. „Da gibt es nichts hineinzugeheimnissen“, konstatierte die Stuttgarter Zeitung bereits am Tage seiner Berufung. Ja, klar, sagt er oft. Oder: Isch klar. Er ist nicht introvertiert. Er stößt mit hoher Geschwindigkeit und gewissem Vergnügen daran Worte aus. Eher selten aber sagt er: Ich. Es gibt wenig Leute, die ihn nicht mögen. Selbst nach dem 0:3 bei Hertha stand letzten Samstag eine Gruppe VfB-Anhänger vor dem Olympiastadion und sang: „Außer Jogi könnt ihr alle gehn.“ Genau das macht die Sache so gefährlich für ihn. So einen guten Mann kann man nicht lapidar entlassen – um dafür eine Akzeptanz zu bekommen, muß man ihn vorher schon demontieren. Fachlich. Total.

So hat der Machtpolitiker und Populist Gerhard Mayer-Vorfelder sein perfektioniertes Spielchen in aller Ruhe vorangetrieben, bis nun allenfalls der Zeitpunkt spannend scheint, an dem er „der Verantwortung der Vereinsführung gerecht“ wird. Der CDU-Finanzminister Baden-Württembergs ist schon so lange VfB- Präsident, daß zwischen seinem und dem Charakter der Mannschaft schwer zu unterscheiden ist. Die Mannschaft gilt als selbstverliebt und intrigant. Und ihr Präsident liebt Inszenierungen, Trainerfiguren wie Haan oder Daum – aber bisher hat er noch jeden wieder verabschiedet, ohne selbst bleibenden Schaden zu nehmen. Ein Löw aus Strümpfelbach ist in seiner Vita allenfalls als Randnotiz vorgesehen. Überhaupt: Jogi! Das gäb's doch bei Daum, Berger, Stevens, Rehhagel oder den anderen nicht, die die Erwartungshaltung an einen Bundesligatrainer definiert haben. „Jogi“, sagt Löw, „heiße ich, seit ich laufen kann. Deshalb bin ich der Jogi.“ Im übrigen habe er noch nie gehört, daß irgend jemand den Bundestrainer Vogts „Hans-Hubert“ gerufen habe.

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Ein letztes Mal: Was kann er tun? Simpel. Er muß nur heute abend im Europapokalhalbfinale der Pokalsieger gegen Lokomotive Moskau gewinnen. Sagen wir mal: 5:0. Und am Sonntag gegen Köln noch mal. Sagen wir: 3:0. Dann könnte er dem VfB am Saisonende womöglich den ersten Europapokal und eine erneute Uefa-Cup-Plazierung zurücklassen. Aber selbst dann: Ist Löw (38), der weiterhin jüngste Trainer der Liga, nach knapp zwei Jahren etabliert? Und wenn er morgen rausfliegt? Ein Trainer sei heutzutage auch ein Verkäufer, sagt Löw. Ein Selbstverkäufer. Er ahnt, daß er in dieser Hinsicht Defizite hat. Er ist ein Erfolgstrainer, so oder so, aber er paßt nicht in die Branche. Welcher Verein wird ihn verpflichten? Ein Spitzenklub? Ein Abstiegskandidat? Ihm sei „um die Zukunft nicht bange“. Sagt er.

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„Spiele kann man mehrere verlieren“, das sagt er häufig, „aber sein Gesicht nur einmal.“ Und dann erzählt er noch, wie er lächeln müsse, wenn wieder Leute kämen und ihm erzählten, das Spiel heute gegen Moskau sei ein „Schicksalsspiel“.

„Schicksal“, sagt Joachim Löw in seinem ziemlich unprätentiösen südbadischen Idiom, „ist für mich etwas anderes.“ Er sagt das nicht extra betont, damit man es ja aufschriebe. Er sagt es schnell und eher beiläufig. Der Mann verkauft sich wirklich nicht. Kann sein, daß das ein Fehler ist. Den Jogi-Bären, so sieht das aus, macht der jedenfalls für niemanden.

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