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Des Punkers Prophezeiung

Ralf trägt heute keine Spikes und kein Styling. Zu auffällig. Mit den „Kiddies“ will er nichts zu tun haben. Zu unpolitisch. Von den Krawallen hat er nichts mitbekommen. Aber sonst weiß Ralf Bescheid

von JAN ROSENKRANZ

Ohne Animation geht heutzutage nichts mehr. „Give me an R.e.v.o.l.u.t.i.o.n. – say Revolution“, ruft der Rapper vom Kleinlaster hinein in die träge Menge. Die sitzt, döst und trinkt, nur antworten möchte sie nicht. 1. Mai am Oranienplatz, die Sonne scheint und es sieht verdammt danach aus, als würde die Revolution heute ausbleiben.

„Mann, da rennen doch nur Spinner rum“, erregt sich ein Punk ein paar Straßen weiter und wuschelt sich durch die kaputt blondierten Haare. Er fährt nachher lieber zum Rosa-Luxemburg-Platz auf die 18-Uhr-Demo. Noch sitzt er auf einer Holzbank vor dem M 99 – dem „Gemischtwarenladen für Revolutionsbedarf“ in der Manteuffelstraße. Ralf M. möchte er genannt werden, 22 Jahre alt, ohne geregelte Arbeit.

An Tagen wie diesem trägt er „Streetfighter-Outfit“: Kapuzenpulli, Lederjacke, Jeansweste darüber – alles in schwarz, gut gepolstert und praktisch. Am 1. Mai gilt auch für Punks: „Keine Spikes auf dem Kopf, auch sonst kein Styling. Sonst erkennt dich doch jede Sau wieder“, erklärt er.

Das M 99 macht heute guten Umsatz. Nachwuchs-Autonome und andere Schlachtenbummler rüsten nach. „Vor allem schwarze Tücher und Sturmhauben verkaufen sich gut“, sagt eine Mitarbeiterin. Doch Ladenbesitzer H. G. – wie Hans-Georg – macht das nicht glücklich: „Love Parade, Hanfparade, 1. Mai – das ist doch alles eins geworden. Total unpolitisch. Überall hängt das gleiche Fetenpublikum rum“, sagt er. Da kann Ralf M. nur einstimmen. Auch bei den Punks gebe es Nachwuchsprobleme. Und er kann diese Kinder nicht leiden, die mit ihren 300-Mark-Baggie-Hosen ordentlich Stress machen, aber noch bei Mutti wohnen in Zehlendorf. „So wie der da“, sagt er laut und zeigt auf einen erschrockenen Jungen. Über der Lederjacke trägt der ein Armeehemd ohne Ärmel. Die kurzen blonden Haare hat er hochgegelt und auf die Bullen hat er Hass, weil die ihm auf einer Demo mal das Palituch abgenommen haben. Steine will er heute trotzdem nicht werfen, und wenn es Randale gibt, haut er lieber ab. „Ich will mir ja nicht meine Zukunft verbauen“, sagt er entschuldigend und geht weiter. Auf seinem Rücken prangt ein großes A im Kreis.

An der Skalitzer Straße sammelt sich die 16-Uhr-Demo. Egal, Ralf M. will nachher lieber nach Mitte und von da aus zurück nach Kreuzberg. Auch wenn er nicht glaubt, dass die Demo je dort ankommen wird. „Die werden uns auf keinen Fall nach Kreuzberg reinlassen. Da werden die noch genug mit der 16 Uhr-Demo zu tun haben“, sagt er und lacht. Von den Krawallen gestern hat er schon nichts mit bekommen, hat mit anderen Punks in den Rehbergen gefeiert, Lagerfeuer gemacht und sich gewundert, warum kein einziger Polizist kam. „Na, machste autonome Märchenstunde“, sagt ein Kumpel im Vorbeigehen.

Im Takt der U-Bahn-Ankunft schieben sich mehr und mehr Leute auf den Rosa-Luxemburg-Platz. Auf dem Antifa-Truck vor der Volksbühne hüpft rappend „Das Department“. Um kurz vor acht setzt sich der Zug in Bewegung. Punker Ralf M. hat prophezeit: „Sie werden uns am Alex angreifen, da ist genug Platz.“ Sollte ihm recht sein, warum Kreuzberg in Schutt und Asche legen, wenn es auch die „Bonzenpaläste“ am Alex treffen könnte oder gleich das Rote Rathaus. „Wäre doch geil.“

Die Demo überquert die Spree. Der Kapitän eines Ausflugsdampfers lässt das Horn erklingen und erntet Applaus. Als der Zug in der Straßenenge hinter der Brücke plötzlich stoppt, sieht es kurz so aus, als könnte die friedliche Stimmung kippen. „Wenn es nicht am Alex passiert, dann geht es an der Jannowitzbrücke los“, hat Punker Ralf M. prophezeit. Köpfe verschwinden unter Kapuzen, Gesichter hinter Tüchern und zwei, drei Dosen fliegen. Ansonsten alles ruhig.

Erst am Michaelkirchplatz, an der Grenze nach Kreuzberg, geht nichts mehr. Die Polizei sperrt, niemand weiß so richtig, warum. Technobeats donnern aus riesigen Boxen auf dem Antifa-Truck. Ein Punk torkelt vorrüber auf der Suche nach Zigaretten – zwei Jüngelchen im Schlepptau. Heute morgen sind sie zu dritt mit der Bahn aus Elsterwerda gekommen. Dann haben sie den ganzen Tag auf den Abend gewartet und darauf, dass endlich was passiert. „Erst war zu wenig und jetzt ist es zu viel“, sagt einer. Aber in Elsterwerda, da sei ja nun „gar nüscht“ los. Und man könne dem Bürgermeister ja nicht jeden Tag auf die Motorhaube kacken.

Nebenan zerschlagen vier Vermummte die Scheiben eines geparkten Taxis. Fünf Meter weiter geht ein Wagen in Flammen auf. Ein junger Pole spricht aufgeregt in sein Handy. Dann fahren Wasserwerfer vor und blenden ins Dunkel des Platzes. Punker Ralf M. hat es prophezeit: „Ich glaube nicht, dass die uns nach Kreuzberg reinlassen.“

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