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Der rote Zocker von der Spree

aus Berlin RALPH BOLLMANN

Der arme Eberhard Diepgen. An den rot unterlaufenen Augen des gescheiterten Bürgermeisters hat sich das Fernsehpublikum mittlerweile satt gesehen. Während der CDU-Politiker am Donnerstag im Landesparlament seine Abschiedsrede hielt, lauerten die Kamerateams im Foyer nur auf den Neuen: Wohin der designierte Diepgen-Nachfolger Klaus Wowereit seine Schritte auch lenkte, ob er mit Mitarbeitern plauderte oder mit Journalisten ein Schwätzchen hielt – immer waren mindestens zwei Dutzend Objektive auf ihn gerichtet.

Normale Menschen pflegen bisweilen zu erschrecken, wenn lang gehegte Träume plötzlich wahr werden. Bei Politikern ist das offenbar anders. Seit das Ende der großen Koalition in Berlin feststeht, wirkt Wowereit so gelöst wie nie. Agierte er bei ersten Talkshow-Auftritten im Frühjahr noch etwas hölzern, so kann er mittlerweile die immer gleichen Formulierungen auf eine Weise vortragen, als plaudere er frisch von der Leber weg. Und das entspannte Dauerlächeln weicht gar nicht mehr aus seinem Gesicht. Freudlos blickt er nur, wenn er die „Gemeinsamkeiten“ mit dem bisherigen Koalitionspartner für „aufgebraucht“ erklärt: Niemand soll denken, der Bruch der großen Koalition habe ihm Spaß gemacht.

Die CDU denkt das nämlich, und sie schäumt vor Wut. In den zehn Jahren der großen Koalition war es immer nur die Union gewesen, die den Regierungspartner aufs Kreuz legte – wenn das die Sozialdemokraten nicht selbst besorgten. Zwar pöbelten die lokalen SPD-Größen gerne gegen das Zwangsbündnis mit der CDU. Aber wenn es konkret wurde, steckten sie zurück. Wowereit macht es umgekehrt: Er hat sich in allgemeinen Floskeln stets zur Koalition bekannt und den Bruch über konkrete Fragen herbeigeführt – zuerst stichelte er bei der Kultur, dann zündelte er in der Landowksy-Affäre, und über die Haushaltsfrage ließ er die Koalition schließlich hochgehen.

Der erfahrene CDU-Fraktionschef Landowsky hatte die Gefahr gewittert und zögerte auch deshalb, seinen Platz zu räumen. Nachfolger Frank Steffel fühlt sich von Wowereit schlicht hintergangen. „Ich bin selten von einem Menschen so bewusst getäuscht worden“, wetterte er, nachdem die SPD gerade den Bruch des Bündnisses verkündet hatte. Wowereit sei ein „roter Zocker“.

Tatsächlich haben bei der Union alle Warnsysteme versagt. Nach zehn Jahren des bequemen Regierens hielt sie Wowereit nur für einen weiteren jener Maulhelden, die bei der Berliner SPD während der Neunziger kamen und gingen. Die CDU-Strategen überhörten das Schlüsselwort, das Wowereit im Frühjahr vorigen Jahres erstmals aussprach – und das er auch ins Zentrum seiner bejubelten Nominierungsrede am Wochenende stellte. Es ist dem Sprachschatz von Kanzler Gerhard Schröder entlehnt und lautet ganz einfach: „Option“.

Wie Schröder im Bund nicht auf ewig von den Grünen abhängig sein will, so hat Wowereit die SPD in Berlin aus der ewigen Gefangenschaft der CDU befreit. Das würde, so viel war ihm klar, nur mit Hilfe der PDS funktionieren. „Ich brauche Optionen“, rief er den jubelnden Delegierten zu, die ihn am vorigen Sonntag einstimmig zum Bürgermeister-Kandidaten nominierten.

Innerhalb weniger Monate hat der Senkrechtstarter Wowereit einen der kühnsten Karrieresprünge absolviert, die es in der deutschen Politik je gegeben hat, von revolutionären Umbrüchen einmal abgesehen – und revolutionäre Züge trägt das Ende der Ära Diepgen/Landowsky ja wirklich. Bei der lokalen Union gibt es jetzt ebenfalls Blitzkarrieren: Als mögliche Wowereit-Herausforderer gelten der 35-jährige Frank Steffel, Fraktionsvorsitzender seit wenigen Wochen, und der 41-jährige Peter Kurth, Finanzsenator seit anderthalb Jahren. Beide sind noch jung genug, dass sie nach einer Wahlniederlage im Herbst den neuen SPD-Bürgermeister eines Tages beerben könnten.

Womöglich wurde Wowereit – ganz ähnlich wie der CDU-Finanzsenator – auch deshalb unterschätzt, weil er in die Kategorien des alten Westberlin überhaupt nicht passte. Als er vor sechs Jahren erstmals ins Landesparlament einzog, da stürzte er sich auf zwei Themen, die in der alten Westberliner Politik als wenig karriereträchtig galten – auf die Finanzen und auf die Kultur. Sparkommissare galten als Spielverderber und die Künste als ein elitäres Vergnügen, mit dem sich keine Wahlen gewinnen lassen.

Das hat sich längst geändert. Seit den Auftritten des medialen Zauberkünstlers Michael Naumann ist die Kultur zu einem bevorzugten Feld symbolischer Politik geworden, wo man sich profilieren kann, ohne dass es viel kostet. Und dass sich die Berliner Finanzpolitik an den Grundrechenarten nicht mehr vorbeimogeln kann, ist in den letzten Wochen fast jedem klar geworden.

Dass Wowereit jemals zum Medienstar aufsteigt, hätte ihm vor wenigen Wochen allerdings niemand vorausgesagt. Sein Lebenslauf liest sich so farblos, wie Karrieren im alten Westberlin eben verliefen: Geboren in Berlin; Jurastudium an der FU Berlin; SPD-Bezirksstadtrat in Berlin-Tempelhof. Immer noch wohnt er im biederen Vorort Lichtenrade, in dem Haus, das er von seiner Mutter geerbt hat. Dem dortigen Hauseigentümerverein gehört er auch an.

Noch zu Jahresbeginn setzte er den mitgereisten Journalisten auf einer Klausurtagung seiner Fraktion in Rostock auseinander, dass seine Lebensplanung keineswegs auf eine Spitzenkandidatur ausgerichtet sei. Je bohrender die Fragen, desto hartnäckiger sein Insistieren, er könne sich auch ein Leben jenseits der Politik vorstellen – und sich als Anwalt niederlassen.

Fragte man die Berliner bis vor wenigen Tagen nach ihrer Meinung über den SPD-Fraktionsvorsitzenden, war sich die große Mehrheit völlig einig: „Diesen Politiker kenne ich nicht.“ Das Anforderungsprofil, das die bundesweite Öffentlichkeit für den künftigen Rathauschef formuliert hat, erfüllt Wowereit jedenfalls nicht. Nur noch Bundesprominenz à la Gregor Gysi oder Wolfgang Schäuble scheint der so plötzlich aufgewerteten Metropole angemessen zu sein. Unter einem No-Name-Bürgermeister wie Wowereit, ließ Gysi vorsorglich wissen, wolle er nicht als Senator amtieren.

Was sein rhetorisches Talent betrifft, verspricht der neue Bürgermeister eher eine Fortsetzung Eberhard Diepgens mit sozialdemokratischen Mitteln. Und tatsächlich hat sich die Berliner Aufbruchstimmung erstmals eingetrübt, als sich in den letzten Tagen das Personaltableau für jenen Übergangssenat abzeichnete, mit dem Wowereit heute im Abgeordnetenhaus antritt – statt der neuen Köpfe für die Hauptstadt nur die vertrauten Gesichter aus dem alten Berlin. Da bleibt nur die Hoffnung, dass sich nach der Wahl im Herbst – mit einer Perspektive für fünf Jahre – originelleres Personal einfindet.

Wowereits Programm ist schnell zusammengefasst: Sparen, sparen, sparen – da unterscheidet er sich, zumindest theoretisch, nicht von seinen künftigen Koalitionspartnern, den Grünen und der PDS. Bisher war es seine Rolle, als Opposition in der Regierung die Ausgabenpläne Diepgens zu bremsen, oft genug in einer überparteilichen Koalition mit dem CDU-Finanzsenator. Künftig ist er als Bürgermeister für Schweiß und Tränen verantwortlich. Da werden die Zockerqualitäten, die er im Umgang mit der CDU gezeigt hat, noch oft genug gefragt sein: Freundlich lächeln – und gleichzeitig Arbeitsplätze abbauen, Schwimmbäder privatisieren, womöglich eines jener Opernhäuser schließen, in denen er bei Premieren stets anzutreffen ist.

Auch das ist neu in Berlin: ein Bürgermeister, der nicht in erster Linie auf das Milieu der Schrebergärten und Eckkneipen setzt. Wowereit hat versucht, seine Partei aus dem Mief der Kiezpolitik herauszuholen. In den Neunzigern sah es so aus, als würde die SPD das Terrain der „neuen Mitte“ kampflos der politischen Konkurrenz überlassen. Für Wowereit hingegen sind die Galerien im Scheunenviertel oder die Restaurants am Gendarmenmarkt kein fremdes Terrain. Zum Bürgermeister-Kandidaten ließ er sich in einem Hotel an der Friedrichstraße wählen – in jenem Saal, in dem Eberhard Diepgen nach der letzten gewonnenen Wahl seine triumphale Bestätigung als Landesvorsitzender erlebte.

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