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Der neue Papst Leo XIV.Und jetzt ein Augustiner

Papst Leo XIV. ist ein Gesamtamerikaner – und bewandert in der Diplomatie. Daraus lässt sich Hoffnung schöpfen gegen Unterdrückung und Diskriminierung.

Jetzt beginnt ein neues Leben für Kardinal Robert Prevost als Papst Leo XIV Foto: Stoyan Nenov/REUTERS

Rom/Berlin taz | Wenigstens die italienischen Zeitungen wissen genau, wie das Konklave gelaufen ist. Darf man dem Corriere della Sera glauben, lag erst der heiße Favorit, der Italiener und bisherige Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin vorn, hatte er angeblich im ersten Wahlgang 49 Stimmen auf sich vereinigt, während Kardinal Robert Francis Prevost 38 erhielt. Dann aber habe sich das Blatt gewendet. Wieder also kein Italiener. Der 267. Papst ist Amerikaner. Gesamtamerikaner. Damit könnte Leo XIV. ein Gegengewicht werden zu Donald Trump und seinem katholischen Vizepräsidenten J. D. Vance.

Robert Francis Prevost wurde 1955 auf Chicagos armer South Side geboren. Als Sohn eines Schuldirektors französisch-italienischer Herkunft und einer kreolischen Mutter mit französisch-spanischen Vorfahren – und afrikanischen. Ist Leo XIV. damit nicht nur der erste US-amerikanische, sondern der erste Schwarze Papst? „Es ist kompliziert“, sagt der kreolische Historiker Jari Honora im National Catholic Reporter. „Eine Person kann Schwarzer Abstammung sein oder Schwarze Wurzeln haben, aber sich als Schwarz zu identifizieren, hängt meiner Meinung nach vor allem von der gelebten Erfahrung ab.“ Prevost selbst hat sich bislang nicht auf seine Schwarzen Ahnen bezogen.

Die Heimat des neuen Papstes ist traditionell migrantisch geprägt und benachteiligt, seit Jahren wird die Chicagoer South Side zusätzlich von Gentrifizierung gebeutelt. Angesichts einer drohenden Insolvenz musste der Orden der Barmherzigen Schwestern vor vier Jahren das Mercy Hospital, in dem Papst Leo XIV. geboren wurde, an ein Tech-Unternehmen verkaufen. Die Pfarrei St. Mary of the Assumption, die Prevost als Kind mit seiner Familie besuchte, wurde schon 2011 zu teuer für die Erzdiözese Chicago. Die Pfarrgebäude wurden geschlossen und zum Verkauf angeboten, die Pfarrei fusionierte mit einer anderen. Gerade einmal 20 Prozent der US-Amerikaner:innen sind katholisch. Leo XIV. ist damit der erste Papst aus einem mehrheitlich protestantischen Land.

Große Teile seines bisherigen Lebens hat Prevost allerdings im katholischen Süden Amerikas verbracht. Nach einem Mathematikstudium wurde er Priester, trat dem Augustinerorden bei und ging als Missionar nach Peru, wo er nach Jahren in der Ordenshiercharchie auch als Bischof des Bistums Chiclayo wirkte. Seit 2015 hat er neben der US-amerikanischen auch die peruanische Staatsbürgerschaft. Prevost vereint damit beide Teile des amerikanischen Kontinents in seiner Biografie. Und, so könnte man sagen, sowohl den Globalen Norden als auch den Süden.

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Lage für queere Personen spitzt sich weltweit zu

Prevost gilt als pragmatisch und diplomatisch. Als Pontifex wird er konservative Ka­tho­li­k:in­nen in Amerika, Afrika, Asien und Europa nicht vor den Kopf stoßen. Zwar gehört er zu den Kardinälen, die sich im Vatikan mit dem synodalen Reformprozess in der deutschen Kirche beschäftigt haben. Ob er aber die Frauenweihe einführen wird, wie sie hierzulande viele fordern, darf mehr als bezweifelt werden.

„Lassen wir ihn erst mal ankommen in seinem Amt“, sagt Philippa Rath der taz am Telefon. Die Ordensschwester ist Mitglied des Synodalen Ausschusses und setzt sich für die volle Gleichberechtigung von Frauen in der katholischen Kirche ein. Man habe bei der ersten Ansprache des neuen Papstes gemerkt, dass er innerlich bewegt und aufgeregt gewesen sei, sagt Rath, die gerade in Magdeburg mit dem Synodalen Ausschuss berät. „Die Ansprache hat mir sehr gut gefallen. Ein guter Start, alles andere würde ich abwarten.“

Auch Mara Klein ist Mitglied des Synodalen Ausschusses und vertritt dort die Perspektive von queeren Katholik:innen. „Gerade mit Blick auf die zunehmend sich zuspitzende Situation von trans* Menschen“, sagt Klein, „auch im globalen Norden und besonders in den Vereinigten Staaten, erhoffe ich mir ein Pontifikat, das kompromisslos an der Seite der Betroffenen steht – und Entwicklungen dahingehend auch in der katholischen Kirche in Deutschland unterstützt.“ Klein hofft, dass Papst Leo XIV. durch „eine radikale Linie für Menschlichkeit und den Schutz von Verfolgten und Unterdrückten, klare Zeichen setzt“. Ganz im Sinne seines Vorgängers Franziskus.

Dass er in seiner ersten Ansprache auf dem Balkon des Petersdoms Papst Franziskus dankte, dass er davon sprach, eine synodale Kirche zu wollen, „eine Kirche im Aufbruch, für den Frieden und die Nächstenliebe“, deutet in der Tat darauf hin, dass Papst Leo XIV. nicht den Bruch sucht mit seinem befreiungstheologisch geprägten Vorgänger. Auch, dass er auf Spanisch seine Diözese in Peru grüßte, deutet in diese Richtung.

Papst Leo betont Bedeutung des Friedens

Prevosts Papstname zeugt zudem von einer sozialen Vision. Leo XIII. (1810-1903) war ein hochpolitischer Pontifex und machte zum ersten Mal die soziale Frage zum Thema einer päpstlichen Enzyklika: Rerum Novarum, von den neuen Dingen, war dazu gedacht, der aufstrebenden sozialistischen Bewegung etwas Kirchliches entgegenzusetzen. Leo XIII. prangerte darin die Ausbeutung der Ar­bei­te­r:in­nen an und ihre Verelendung infolge der Industrialisierung. Arbeitsschutz sei eine staatliche Aufgabe, schrieb der Papst damals, ebenso der gesetzliche Rahmen für die Arbeiterrechte. Seit Leo XIII. kann man von einer lehramtlich fundierten katholischen Soziallehre sprechen. „Die katholischen Pfaffen“, ätzte Karl Marx damals, „würden wie „Hunde kokettieren, wo es passend scheint, mit der Arbeiterfrage.“

Leo XIII. gilt nicht nur als „Arbeiterpapst“, sondern auch als der erste Papst, der populäre Medien für die kirchliche Sache einsetzte. Und er gilt als „Friedenspapst“. Durch Zugeständnisse an den protestantischen Reichskanzler Otto von Bismarck und gegen den Willen der katholischen Zentrumspartei, beendete Leo XIII. den konfessio­nellen Kulturkampf in Deutschland. Er forderte die französischen Katholiken zum Frieden mit der laizistischen Republik auf und half Streitigkeiten in den lateinamerikanischen Staaten beizulegen. Leo XIII. knüpfte engere Beziehungen zu Russland und den USA, im Kolonialstreit des Deutschen Reiches mit Spanien um die Karolinen und die Palauinseln im Westpazifik vermittelte der Papst erfolgreich. Nachdem der Kirchenstaat auf den Vatikan zusammengeschrumpft war, definierte Leo XIII. so eine neue weltliche Rolle für das Papstamt: Diplomatie.

Die Grünen-Ikone und Friedensaktivistin Petra Kelly zitierte Leo XIII. am 15. Juni 1983 sogar in einer Bundestagsrede, um gegen das Aufrüsten im Kalten Krieg zu sprechen: „Wenn aber die Staatsgesetze sich offen gegen das göttliche Recht auflehnen … dann ist Widerstand Pflicht, Gehorsam aber Verbrechen.“

Auch der neue Leo betonte in seiner Antrittsansprache die Bedeutung des Friedens. Mit seinen 69 Jahren ist der Pontifex, was auf Deutsch Brückenbauer bedeutet, durchaus noch jung genug für diplomatische Reisen.

Topdiplomat seit Jahren

2023 hatte Papst Franziskus Kardinal Robert Prevost zum vatikanischen Minister für die Bischöfe ernannt. Als Chef der Personalabteilung des Heiligen Stuhls verbrachte er viel Zeit in Flugzeugen, um weltweit geeignete Bischöfe zu finden. Viele der aktiven Oberhirten in aller Welt lernte er persönlich kennen. Das kann ihm jetzt beim Managen der auseinanderdriftenden Kirche zum Vorteil werden. Genauso wie die fünf Sprachen, die er spricht. Prevost genießt in Rom einen Ruf als bescheidener, fleißiger Geistlicher, als jemand, der auch mit Problembischöfen umgehen kann.

Doch es gibt auch Vorwürfe. Prevost habe als Bischof in Peru Missbrauchsfälle nicht konsequent verfolgt. Im März 2025 reichte das US-amerikanische Netzwerk von Missbrauchsopfern SNAP Beschwerde ein. Prevost hat die Vorwürfe stets bestritten, auch das Bistum Chiclayo wies die Anschuldigungen zurück. Peruanische Journalisten geben dem ihm in der Causa Rückhalt.

„Die Tatsache, dass die Anschuldigungen gegen Prevost gerade jetzt wieder aufleben“, wird der Investigativreporter Pedro Salinas in der La República zitiert, „liegt an dem Kontext, in dem wir leben: einem Konklave, einem Moment der Wahl des nächsten Papstes.“ Salinas hat die Vorwürfe um die ultrakonservative peruanische Bewegung Sodalicio untersucht, in der über Jahrzehnte hinweg sexualisierte Gewalt verübt worden sein soll.

Papst Franziskus hatte Sodalicio im April aufgelöst. Prevost habe dabei eine entscheidende Rolle gespielt, sagt Salinas, sich immer hinter die Opfer gestellt. „Diese Vorwürfe einer angeblichen Vertuschung sind absolut falsch“, sagt er. Sie seien Teil eines Gegenangriffs von Sodalicio, „sie betreffen alle, die zu dieser sektenartigen und mafiösen Gruppe auf Konfrontation gehen.“ Ob Prevost sexualisierter Gewalt wirklich entgegentritt, muss sich erst zeigen.

Euphorie in Peru

Perus Staatschefin Dina Boluarte ist aus dem Häuschen über die Wahl Leos XVI. Für sie ein historischer Moment: „Der Papst ist Peruaner. Gott liebt Peru. Lang lebe Papst Leo XIV. Lang lebe Peru!“ US-Präsident Trump, der sich kürzlich in den sozialen Medien noch selbst als Papst vorgeschlagen hatte, zeigte sich ebenso erfreut: „Was für eine Freude und was für eine große Ehre für unser Land. Ich freue mich darauf, Papst Leo XIV. kennenzulernen. Es wird ein bedeutsamer Moment sein!“

Es könnte auch ein kritischer werden. Zwar ist Prevost dem National Catholic Reporter zufolge registrierter Republikaner im US-Staat Illinois. Den Versatzstücken des heiligen Augustinus, mit denen Trumps katholischer Vize J. D. Vance die menschenverachtende Migrationspolitik der US-Regierung rechtfertigt, steht nun aber ein leibhaftiger Augustiner-Papst mit einem Herzen für Lateinamerika gegenüber.

In den Monaten vor seiner Wahl hat Prevost wiederholt Kritik an Trump und Vance in den sozialen Medien geteilt. Am 3. Februar postete Prevost einen Artikel mit der Überschrift: „J. D. Vance liegt falsch: Jesus verlangt von uns nicht, unsere Liebe zu anderen abzustufen“. Prevost kritisierte, dass Vance sich auf die katholische Lehre berief, um die massive Streichung von Auslandshilfen zu rechtfertigen. Der 2019 zum Katholizismus konvertierte Vance hatte im Anschluss an Augustinus argumentiert, dass Christen zuerst ihre Familie lieben sollten, bevor sie sich um den Rest der Welt kümmern.

Bollwerk gegen Trump und Vance?

Der jüngste Retweet von Prevost vom 15. April bezieht sich auf ein Treffen Trumps mit dem Präsidenten von El Salvador, Nayib Bukele, bei dem es um die Nutzung eines salvadorianischen Massengefängnisses durch die USA ging: „Sehen Sie das Leid nicht? Haben Sie kein schlechtes Gewissen?“, hieß es dort. Auch in Trumps erster Amtszeit äußerte sich Prevost kritisch, solidarisierte sich etwa mit der Black-Lives-matter-Bewegung. Rechtsgerichtete US-Medien und Make-America-Great-Aktivisten raunen bereits über einen „woken, marxistischen Papst“, der „schlimmer als Franziskus“ sei. Das wiederum könnte dem Rest der Welt Hoffnung geben­. „Das Böse wird nicht die Oberhand gewinnen“, sagte Leo XIV.

Die Ära der eher bescheidenen Motorisierung dürfte jetzt aber enden. Während Franziskus sich im Fiat 500L herumkutschieren ließ, kam schon am ersten Abend bei Leo XIV. ein VW-SUV zum Einsatz. Mit dem fuhr er in sein bisheriges Domizil im Palazzo del Sant’Uffizio neben dem Petersdom. Begrüßt wurde er dort von einer Gruppe Gläubiger. Ein Mädchen hielt ihm ein Buch hin, mit der Bitte um ein Autogramm, und Leo gab zurück, „die alte Unterschrift“ gelte ja nun nicht mehr, um sogleich kokett zu fragen: „Welchen Tag haben wir heute?“, ach ja, der 8. Mai, ach ja, der Tag der Papstwahl.

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3 Kommentare

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  • Mit einem Augustiner kam ja schon mal ein gewaltiger Umbruch. Damals war das ja wohl eher progressiv. Hoffen wir das Beste und wünschen Leo ein gutes c h t r i s t l i c h e s Pontifokat

  • Augustiner. Das lässt hoffen. Auch D. Martin Luther war Augustiner.

  • Blos keine dogmatischen Bergrutsche erwarten, sonst ist Enttäuschung garantiert. Als Vertreter Katholischer Evolution könnte er dennoch ein guter Papst werden:



    Veränderung so langsam, dass die Alten wegsterben, bevor sie etwas bemerken und die Jungen meinen, es wäre immer so gewesen.



    Denn dass der Gesamtzusammenhalt wichtiger ist als alles andere, ist doch im Begriff katholikós - allumfassend bereits festgelegt: Katholisch - die allgemeine, allumfassende Kirche zu sein (wikipedia) Daher versündigen sich die Erzreaktionäre genauso am katholischen Wesen, wie ´die Liberalisierung oder Kirchenaustritt´- Defaktoprotestanten. Schismatiker, Reformdogmatiker, reaktionäre Fundamentalisten, Taliban der eigenen Bibelwortklauberei, Zeitgeistrevolutionäre und -reaktionäre sowie Protes-tierer und -tanten, haben also alle nicht den Markenkern des Katholizismus begriffen.



    Franziskus hat ihn begriffen, Leo im Gegensatz zu Benedikt (der statt Evolution Reaktion wollte) hoffentlich auch.