■ Die Bundesregierung verbucht die deutsch-tschechische Deklaration zur Historie auf ihrem Konto. Zu Unrecht: Der mühsame Sieg der Normalität
Man sollte sich schon etwas darüber freuen, daß das fast zwei Jahre dauernde Hin und Her um die deutsch-tschechische Erklärung endlich ein Ende nimmt und der unter schweren Geburtswehen zustande gekommene Text am 20. Dezember in Prag von beiden Außenministern unterzeichnet wird. Eine symbolische Bedeutung darf man der Deklaration, in der sich beide Seiten in der historischen Folge zu den Schatten der Vergangenheit bekennen und die Bereitschaft bekunden, diese Vergangenheit nicht zur Belastung ihrer gegenwärtigen Beziehungen werden zu lassen, sicherlich nicht absprechen.
Von einem historischen Ereignis nach Geschmack von Helmut Kohl oder gar dem Erfolg der Bonner Regierungskoalition kann allerdings keine Rede sein. Dafür ist der Weg zu der Erklärung mit zu vielen Peinlichkeiten gepflastert. Insofern offenbarte der Verhandlungsverlauf wieder einmal die Konzeptionslosigkeit und Zufälligkeit der deutschen Außenpolitik, ihre Unfähigkeit, Politik zu gestalten und glaubwürdig zu vertreten, statt sie als Wählerwerbung oder den verlängerten Arm der deutschen Wirtschaftsinteressen zu betreiben.
Es waren in erster Linie die Rücksichten auf die CSU-Wähler sudetendeutscher Herkunft und keineswegs die Belastungen der Vergangenheit, die die Verhandlungen so schwer und kompliziert machten. Denn was die Bewältigung der Vergangenheit anbelangt, haben die Tschechen und Deutschen, darunter auch sehr viele Sudetendeutsche, namentlich die Ackermann-Gemeinde und der Adalbert-Stifter-Verein, in den vergangenen Jahren viele der unsäglichen Hinterlassenschaften verarbeitet und in ein gemeinsames historisches Erbe verwandelt.
Die Repräsentanten der Sudetendeutschen Landsmannschaft waren leider nicht dabei. Bis heute haben sie nicht begriffen oder nicht begreifen wollen, daß man das individuelle Schicksal, wie hart und bedauernswert es auch sein mag, nicht zum Maßstab der Geschichtsschreibung machen kann. Durch ihre Unnachgiebigkeit hat sich die Landsmannschaft letztlich auch an den Rand des ganzen deutsch-tschechischen Diskurses manövriert.
Gewiß ist es einerseits zu begrüßen, daß es der Landsmannschaft nicht gelungen ist, mit ihrer Sicht der Geschichte die deutsch-tschechischen Verhandlungen zu majorisieren beziehungsweise zum Scheitern zu bringen. Manchmal, insbesondere im Zusammenhang mit der Forderung an die tschechische Regierung (!), die Benesch- Dekrete zu annullieren, konnte man den Eindruck gewinnen, daß sich auch Außenminister Klaus Klinkel diese Position zu eigen machte. Trotzdem: Erfolg hatten sie nicht. Und so ist es andererseits durchaus zu bedauern, daß sich die traditionelle sudetendeutsche Politik des Alles oder Nichts, die bisher stets in Niederlagen endete – die Zwangsaussiedlung ist eine davon –, auch diesmal durchsetzte.
Daran trägt allerdings auch die deutsche Öffentlichkeit einen Teil der Schuld. Jahrelang hat man die Vertriebenen als Wählerpotential hofiert, ohne sich ernsthaft mit ihrem Schicksal auseinanderzusetzen. Man hat sie für politische Zwecke instrumentalisiert, als Menschen und „Zuwanderer“, die „Rucksackdeutschen“ aber in der Tat abgelehnt. So haben sie sich in Positionen eingegraben, die heute in die Rüstkammer des Kalten Krieges gehören und den Rahmen der deutschen Außenpolitik weit sprengen. So war es auch möglich, daß an diesen Gruppen die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit spurlos vorbeiging. Die Sudetendeutsche Landsmannschaft lehnt sie bis heute ab. All die jahrelangen Versäumnisse haben sich jetzt gerächt. Die Sudetendeutsche Landsmannschaft steht wieder einmal in der Schmollecke der deutschen Geschichte.
In einer Hinsicht spielte allerdings die von der Landsmannschaft ausgehende Obstruktionspolitik ungewollt doch auch eine positive Rolle. Das Hin und Her um Formulierungen, die mehrfache Verschiebung des Unterschriftstermins und kürzlich Edmund Stoibers Ankündigung, man brauche diese Deklaration ja gar nicht, riefen letztlich die demokratische deutsche Öffentlichkeit auf den Plan. Wohl zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wurden die deutsch-tschechischen Beziehungen zum zentralen Thema einer öffentlichen Diskussion.
Um die harten Felsen – die ins Stocken geratenen Verhandlungen und einen Kanzler, der entschlossen schien, das Ganze auszusitzen – wurden viele Umgehungsstraßen in Form von bürgerlichen Aktivitäten wie Gesprächsforen, Seminaren und Treffen gebaut. Die gab es natürlich auch schon früher, jetzt aber wurden sie verbindlicher. Nicht zuletzt wurden durch dieses öffentliche Interesse auch viele Lücken in historischen Kenntnissen geschlossen. Inzwischen ist der deutschen Öffentlichkeit klarer geworden, was das Münchener Abkommen 1938 für die tschechische Gesellschaft bedeutete. Dies wiederum ist die Voraussetzung, um die moderne tschechische Geschichte zu begreifen – und damit die Motive für die harte, wenn auch flexible Position der tschechischen Delegation. In diesem Sinne hatte die Erklärung einen wesentlichen Teil ihres Zweckes schon vor ihrer Unterschrift erfüllt. Mit der Paraphierung holen die Politiker die Entwicklung nur nach. So kann man wohl weniger von einem Erfolg der deutschen Politik als von einem Erfolg der Zivilsgesellschaften in beiden Ländern sprechen. Und dies ist vielleich das Beste, was passieren konnte.
Wenn jemand aus der Bonner Politik im Zusammenhang mit der Erklärung zu würdigen ist, dann sind es Roman Herzog und Antje Vollmer. Immer wieder, Hand in Hand mit Václav Havel, sowohl bei dem Jugendtreff in Polićka als auch bei der Begegnung der tschechischen und ostdeutschen Dissidenten und weiteren Gelegenheiten, gab Roman Herzog klare, unmißverständliche Signale, wo er steht und wie wichtig ihm die guten Beziehungen zwischen den beiden Staaten sind. Auf der Seite der Opposition gelang es wiederum Antje Vollmer, die „Berührungsängste“ der „Linken“ zu den Vertriebenenverbänden zu überwinden und die Problematik ihres menschlichen Schicksals auch in diesem politischen Spektrum zu thematisieren.
Alles in allem ist also die Bilanz der zweijährigen deutsch-tschechischen Verhandlungen gar nicht so schlecht. Langsam, aber sicher kehrt Normalität in die deutsch- tschechischen Beziehungen ein. Alena Wagnerová
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